Deutsche Lehren aus dem Ukraine-Krieg

Seite 5: Widerstand kann und will sich Deutschland nicht leisten – noch nicht

Die USA unterbinden den bisherigen außenpolitischen Erfolgsweg Deutschlands, reihen die europäische Führungsmacht ein in die Einheitsfront gegen Russland und zwingen sie zu Sanktionen, die ihre Wirtschaft und Energiepolitik hart treffen. Da stellt sich die Frage: Warum tut sich Deutschland das an? Warum kann es nicht den Sonderweg weitergehen, das hat man doch selbst zu Atomkriegs-Szenarien im Kalten Krieg geschafft?

Nur: Wie sähe die Alternative aus? An Nord Stream 2 haben die USA demonstriert, welche Mittel sie einsetzen können, um ihre westlichen Bündnispartner unter Druck zu setzen: Wer sich daran beteiligt, macht mit uns keine Geschäfte mehr. Das kann sich kein Partner mit seinen Konzernen und Banken leisten, die Deutschen mit ihren zahlreichen Geschäften auf dem amerikanischen Markt schon gleich nicht.

Um die Erdgaspipeline durch die Ostsee auf den letzten Metern dennoch fertigzustellen, gründete man in Mecklenburg-Vorpommern die "Stiftung Klima- und Umweltschutz MV" mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Erwin Sellering an der Spitze. So sollte der amerikanische Bann umgangen werden.

Was einst als cleverer Schachzug galt, fällt heute in Ungnade. Die Stiftung ist passé. Nun gilt sie als ein Skandal, der sogar die bislang hoffnungsvolle Karriere einer SPD-Führungspolitikerin stoppt.

Außer diesen wirtschaftlichen Konsequenzen spricht gegen den weiteren deutschen Sonderweg bezüglich Russland, dass die EU mit Berlin voran jahrelang daran gearbeitet hat, die Ukraine dem russischen Einfluss zu entziehen. Der Putsch 2014 gegen die nicht umstandslos vom EU-Assoziierungsabkommen begeisterte Regierung in Kiew machte zwar die Vermittlung Deutschlands durch Außenminister Frank-Walter Steinmeier zunichte.

Aber im Ergebnis passte es: Der zu sehr auf russische Interessen Rücksicht nehmende Präsident Janukowitsch wurde fortgejagt. Damals warnte der Minister allerdings noch vor einer harten Gangart gegen Moskau. Europa und Russland seien für wirtschaftliche Sankionen zu eng verflochten.

Steinmeier plädierte für ein "internationales Gesprächsformat" – ohne die USA. So wollte er Russland die Ukraine eigenständig abverhandeln – und gleichzeitig die einträglichen Beziehungen mit dem großen Staat im Osten nicht gefährden.

Das mit dem Verhandeln zog sich im erwähnten "Normandie-Format" lange hin, legte den Konflikt aber nicht bei. Die ukrainische Regierung unternahm entgegen der Minsker Vereinbarung keinerlei Anstrengungen, den abtrünnigen Republiken Angebote für eine Autonomie innerhalb des Staates zu unterbreiten. Stattdessen hielten sie die Regionen weiter unter Beschuss. Deutschland und Frankreich übten allerdings auch keinen großen Druck auf Kiew aus, diese Obstruktion zu unterlassen.

Umso mehr gilt es aus deutscher Sicht, die Ukraine gegen den Versuch Russlands, militärisch deren Aufrüstung zum Nato-Frontstaat zu verhindern, mit allen Mitteln zu unterstützen. In dieser Beziehung brauchte es von Seiten der USA keine allzu große "Überzeugungsarbeit".

US-Präsident Joe Biden erklärte jedoch beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Washington Anfang Februar, dass Nord Stream 2 nicht in Betrieb ginge, falls es zum Krieg komme. Eigentlich eine unfreundliche "Einmischung in innere Angelegenheiten", noch dazu eines Verbündeten. Doch der Kanzler widersprach nicht, sondern wich aus.

Damit war deutlich geworden: Wieder einmal würde in einer genuin europäischen Ordnungsfrage nicht die EU das Sagen haben, sondern die USA – wie Ende der 1990er-Jahre im ehemaligen Jugoslawien.

Mehr Handels- und echte Kriege mit deutscher Beteiligung: So sieht die Zukunft aus

Für Deutschland ist die neue Situation sehr ärgerlich. Schließlich hat man zusammen mit der EU den Anspruch, eine Weltmacht zu sein. Aktuell ist man aber in die zweite Reihe zurückversetzt und hat noch dazu die Sorge, in einem zukünftigen Konflikt zwischen den USA und China zerrieben zu werden.

Kurzfristig ist daran nichts zu ändern. Jetzt geht es allem Anschein nach darum, Russland möglichst viel zu schaden, auch wenn es Deutschland selbst hart trifft. Und ihm eine Niederlage zu bereiten, für die vom Westen bewaffnete Ukrainer mit ihrem Leben bezahlen.

Mittel- bis langfristig erteilt sich die hiesige Politik den Auftrag, dass sich eine solche abhängige Situation möglichst nicht wiederholen darf. Deshalb will man in der Rüstung enorm und schnell aufholen, um als Weltmacht ernster genommen zu werden.

Verdolmetscht wird das mit "mehr Verantwortung übernehmen", Konflikte "eigenständig" lösen. Und in der Schlüsselindustrie Energie noch schneller unabhängiger werden – erst von Lieferungen des Feindes, dann sukzessive auch von denen anderer Staaten, sei es Katar oder die USA. Der erste Teil wird klar so ausgesprochen, den zweiten darf man sich dazu denken.

Und was heißt das für den Staatsbürger? Als "Deutscher" wird man in Zukunft noch häufiger in Kriege hineingezogen und deren Risiken und Kosten zu tragen haben. Denn die Interessen von Staat und Kapital, pardon die "Werte" müssen natürlich überall auf der Welt "verteidigt" werden.

Der nächste große Gegner steht ja bereits fest: China. Die spannende Frage für Deutschland: Wann ist man in der Lage, bei der nächsten Einheitsfront Marke USA sich zu verweigern? Und wann, sogar den USA die Stirn zu bieten? Dafür wird sicher alles getan, koste es, was es wolle.