Die Mossadegh-Legende
Seite 4: Warum scheiterte Mossadegh?
66 Jahre nach Mossadeghs Sturz ist es immer noch ein Rätsel, wie der deutliche Sieg über die Putschisten in der Nacht vom 15. auf 16. August 1953 nur drei Tage später eine dramatische Kehrtwende nahm und in das Ende einer Ära munden konnte.
International ausgewiesene Experten, Historiker und Politikwissenschaftler gehen von der Annahme aus, dass der Coup ohne die Unterstützung der CIA nicht geglückt wäre. Doch der Putsch wäre auch nicht ohne iranische Agenten, den iranischen Straßenmob und der vom Chaos frustrierten iranischen Bevölkerung gelungen.
Analysiert man den Erfolg des Coups auf der Makro-Ebene, verdeutlichen sich die Einflussfaktoren der sich verändernden innenpolitischen Kräfte im Iran und den damit verbundenen breiteren nationalen und internationalen Bedingungen. So gesehen sind diese Faktoren ein Konglomerat von Umständen des Kalten Krieges, der inneriranischen Machtstruktur und rivalisierenden politischen Kräften.
Mossadeghs Gegner hatten in den schicksalhaften Tagen vom 16. bis 19. August eine gehörige Portion Glück. Nach dem ersten gescheiterten Putschversuch hatten viele der Putschisten aufgegeben und die CIA-Führung in Teheran, darunter der Architekt des Putsches Kermit Roosevelt, wurden aus dem Iran zurückbeordert. Daher gehen einige Experten davon aus, dass Roosevelt und die CIA eine stärkere Rolle am gescheiterten Putsch des 15. und 16. August als am erfolgreichen Putsch des 19. August gespielt haben.
Letzterer hingegen sei vielmehr einem Zusammenschluss mehrerer Faktoren geschuldet, darunter die Untätigkeit Mossadeghs, das generelle Chaos, antikommunistische Agitationen und abermals Glück. Im Endeffekt kann von einer "Eigendynamik" der Verhältnisse in Teheran des 19. August gesprochen werden.
Unterschiedliche Analysen
Professor Mark J. Gasiorowski (siehe wie auch andere aufgeführte Stimmen die Literaturliste am Ende des Artikels) von der Tulane University in New Orleans hebt den Zeitkontext des Kalten Krieges hervor und meint: "Nach meinem Wissen wäre der Putsch ohne die USA nicht möglich gewesen. Wenn die CIA es nicht geplant hätte, wäre es nicht möglich gewesen. Natürlich waren einige Iraner beteiligt und ohne sie hätte es auch nicht passieren können, aber die CIA führte sie an."
Gasiorowski, der auch Gastprofessor in der politikwissenschaftlichen Abteilung der Universität Teheran war, fügt hinzu: "Es waren wirklich nur Mossadegh und die Leute um ihn herum, die sich der Demokratie verschrieben hatten. Nicht Kashani, nicht andere und schon gar nicht die Tudeh-Partei, die sich für die Sowjetunion einsetzte […]. Es war nur Mossadegh. Aber das heißt nicht, dass er hätte Erfolg haben können. Er handelte auch undemokratisch […]. Es gibt Hinweise darauf, dass er die Wahlen von 1952 manipuliert hat. Er hat das Referendum kurz vor dem Putsch sicher manipuliert."
Gasiorowski sieht bei Mossadegh auch eine parteiorganisatorische Schwäche: "Ich denke, die Iraner verehren Mossadegh übermäßig. Er war kein sehr effektiver Premierminister. Er schuf eine Situation, in der sich die Wirtschaft verschlechterte. Er war politisch nicht sehr effektiv, da er keine gut organisierte politische Partei hatte. Er war nicht in der Lage, die Nationale Front zusammenzuhalten, da Schlüsselpersonen wie Ayatollah Abol-Ghassem Kashani, sich von ihm trennten."
Für Malcolm Byrne von der George Washington University nimmt das Zeitalter des Kalten Krieges ebenfalls eine bedeutende Rolle ein und er glaubt, dass auch die Truman-Administration zum demselben Ergebnis kommen würde wie die Eisenhower-Administration, wenn er im Jahr 1953 US-Präsident gewesen wäre.
"Angesichts eines anhaltenden Abwärtstrends im Iran und vor dem Hintergrund der zunehmenden Spannungen im Kalten Krieg mag Truman zu dem gleichen Schluss gekommen sein wie Eisenhower: Dass es gefährlicher wäre, auf einen kommunistischen Erstschlag zu warten, als den Vormarsch mit einem Präventivschlag zu beenden. Schließlich hatte er Ende 1952 mit Entschlossenheit geäußert, dass es sich lohnen könnte, den Iran eher aus der sowjetischen Sphäre herauszuhalten, als das Risiko eines globalen Krieges einzugehen, was die Stärke des militärischen Engagements der USA in der Region erhöht."
Darioush Bayandor - ehemaliger Diplomat unter Mohammad Reza Pahlavi, UN-Mitarbeiter und Autor mehrerer historischen Bücher zur neuzeitlichen Geschichte des Iran, schreibt, dass Mossadegh die Komplexitäten der innenpolitischen Rahmenbedingungen unterschätzt bzw. diese nicht realistisch eingeschätzt hane.
Mossadegh habe parallel an mehreren Fronten gekämpft, was zu seinem Fall führte. Nach dem grandiosen Erfolg und der Verteidigung der Rechte Irans gegen Großbritannien beim UN-Sicherheitsrat und Internationalem Gerichtshof habe Mossadegh damit angefangen, das innenpolitische System des Iran und dessen Institutionen zu reformieren.
Sein Ideal war eine säkulare Demokratie nach westlichem Vorbild, in der der Monarch eine zeremonielle Rolle spielt und der im Parlament verankerte Wille des Volkes die Oberhand gewinnen sollte. Dieses edle, wenn auch überaus ambitionierte Ziel war jedoch an das politische System und die Machtstruktur des Iran der damaligen Zeit kaum anpassbar, so Darioush Bayandor.
Andrew Scott Cooper, der Autor von Büchern wie "Oil Kings" und "The Fall of Heaven, The Pahlavis and the Final Days of Imperial Iran", macht in einem Interview auf die Bedeutung des Kalten Krieges und einen "Irrtum" aufmerksam: "Dies war auch die Zeit des Kalten Krieges. Ohne 1953 hätte es in dieser Zeit eine andere Krise gegeben. Aufgrund der geografischen Lage des Iran, aufgrund der Tatsache, dass der Iran im Kalten Krieg ein Frontstaat war."
Der Irrtum besteht darin: 1953 ist wichtig, aber die Herrschaft des zweiten Pahlavi beginnt nicht 1953. Viele Menschen - außerhalb Irans - nehmen an, dass der Shah 1953 von der CIA auf den Thron gesetzt wurde, was nicht wahr ist. Wenn man den zweiten Shah Pahlavi verstehen will, muss man das ganze Leben des Menschen verstehen und nicht nur 1953.
Interessant ist, dass Cooper auf ein anderes Ereignis hinweist, dem wenig Beachtung geschenkt wird. Es ist der erste, von Ayatollah Khomeini initiierte Aufstand im Jahr 1963, der auch maßgeblich für die Revolution von 1979 verantwortlich war. Dieser gescheiterte bzw. niedergeschlagene Aufstand wurde von allen Fraktionen (Mossadeghis, Säkularen, Liberal-Demokraten, Nationalisten und Intellektuellen) aufgrund des irrationalen Hasses gegen den Schah unterstützt.
Es war eine völlig rückständige Bewegung gegen Elemente der "Weißen Revolution" des Schah wie die Einführung des aktiven- und passiven Wahlrechts für Frauen. Cooper schreibt:
Ich persönlich denke, dass 1963, der erste Khomeini-Aufstand, so wichtig ist wie 1953, und möglicherweise wäre es in gewisser Weise interessant zu sehen, ob er sich als wichtiger erweist. Betrachtet man Bücher über die Pahlavi-Zeit, wird 1963 kaum diskutiert. Wir müssen verstehen, was 1963 geschah, denn dies ist das erste Zeichen für den Aufstieg des schiitischen Fundamentalismus, und das ist sehr wichtig.
Andrew Scott Cooper
Cooper sieht eine Schwäche bei Mossadegh in der Art seiner politischen Führung:
Mossadegh war der erste Regierungschef, der sich in der Frage der natürlichen Ressourcen und der Kontrolle der Rohstoffe einsetzte. Seine Entscheidung, die Briten herauszufordern, war eine wichtige Bewegung in der Geschichte der postkolonialen Zeit. Sein Untergang hatte viele Tragödien, aber ich sehe ihn nicht als ewiges Opfer schändlicher Kräfte. Wir müssen uns sein eigenes Verhalten ansehen. Es gibt heute nicht wenige nationalistische revolutionäre Führer [...], - ich kann mir heute ein paar vorstellen - die sehr gute Politiker sind, wenn es darum geht, Reden zu halten, sehr gut darin, Menschen für ihre Sache zu mobilisieren. Sie sind aber keine guten Administratoren und manchmal nicht an Details der Regierungsführung interessiert.
Andrew Scott Cooper
Das deckt sich mit Darioush Bayandors Annahme, dass Mossadegh etliche Frontkämpfe nach innen wie nach Außen (gegen zwei Großmächte) nicht gewinnen hätte können.
Der prominente US-Journalist Stephen Kinzer hingegen zieht einen kausalen Zusammenhang zwischen 1953 und 1979. Kinzer schreibt, wer die aktuelle Lage in der Islamischen Republik Iran verstehen will, müsse sich mit den Ereignissen von 1953 beschäftigen. Mossadegh sei für die Iraner das Symbol der Freiheit gewesen. Er sei ohne Zweifel das Symbol der Freiheit und des Patriotismus, und das werde er auch immer bleiben.
Fakhreddin Azimi, Professor für Geschichte an der Universität Connecticut konstatiert: "Mossadegh hatte mehrere Schlachten gewonnen, aber in Ermangelung der strukturellen Voraussetzungen für den Erfolg und angesichts der erodierten nationalen Solidarität, die teilweise durch die Aktivitäten von Überläufern symbolisiert wurde, konnte er nicht optimistisch sein, den Krieg zu gewinnen. Das Ziel des Putsches, der nur durch die kombinierte ausländische und inländische Unterstützung gelingen konnte, war es nicht nur, die Ölfrage zur Zufriedenheit des Westens zu lösen, sondern auch die Wünsche und Kämpfe der Iraner um die nationale Souveränität zu untergraben und sich in Richtung Demokratie zu bewegen."
Homa Katouzian (Oxford-Universität), ein Befürworter Mossadeghs, hebt ebenfalls beides, sowohl innere als auch äußere Rahmenbedingungen hervor:
Der Putsch von 1953 markierte in mehrfacher Hinsicht einen Wendepunkt in der modernen iranischen Geschichte. Es war der erste Militärputsch, der von ausländischen Regierungen geplant und durchgeführt wurde. Teile der Armee, Großgrundbesitzer, konservative Politiker und der Großteil des religiösen Establishments direkt oder indirekt halfen dem Putsch und bildeten die soziale Basis des neuen Regimes. Amerika versuchte zunächst, als neutraler Vermittler zu fungieren, entschied sich aber später, den britischen Seniorpartner bei der Organisation eines Putsches gegen Mossadegh zu spielen. Dies wäre jedoch nicht möglich gewesen ohne die Zusammenarbeit verschiedener königlicher, militärischer, konservativer und religiöser Gegner der Volksbewegung.
Das erklärte Ziel von Mossadegh und der Nationalen Front war es, eine konstitutionelle und demokratische Regierung aufzubauen und zu erweitern. Unter der Regierung von Mossadegh waren politische Parteien und Gruppen frei; dazu gehörte auch die Tudeh-Partei (nicht offiziell). Die Presse war so frei. Die Regierung manipulierte nicht die Wahlen. Die Gerichte waren völlig unabhängig, und alle Militär- und anderen Sondergerichte wurden abgeschafft. Doch die Politik des Chaos und der Eliminierung hörte nicht auf; die anderen politischen Hauptakteure waren nicht an die Demokratie interessiert und nicht bereit, ihre Regeln zu beachten. Tatsächlich wurde das Chaos immer intensiver, denn sowohl der innere als der äußere Druck waren hoch. Es gab einen heftigen Kampf sowohl von der Linken als auch von der Rechten.
Homa Katouzian
Ervand Abrahamian hält aber nicht viel von internen Faktoren und sieht eher die USA (CIA) verantwortlich für den Coup. Abrahamian argumentiert, dass es die Schlüsselfrage in der Krise war, wer das Öl des Iran kontrollieren würde.
Für die meisten Iraner bedeutete die Verstaatlichung die souveräne Kontrolle über die Ölindustrie. Großbritannien und die Vereinigten Staaten weigerten sich, dies zu akzeptieren und schließlich beschlossen sie, dass der einzige Weg, ihre Ziele zu erreichen, darin bestand, einen Putsch zu organisieren, um den populären nationalistischen Premierminister Mohammad Mossadegh, den Hauptarchitekten der Nationalisierung, zu beseitigen.
Er hält auch nichts von "wenn und aber" - ob Mossadegh es geschafft hätte, Iran zu demokratisieren, wenn der Putsch nicht gesiegt hätte. Ihm zufolge haben die beiden Großmächte die Iraner um eine Chance beraubt.