Die Mossadegh-Legende

Seite 6: War es ein Coup d'État?

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In Iran beschuldigen die Anhänger von Mossadegh im Allgemeinen externe Akteure für dessen Untergang. Die Befürworter des Premiers schließen sich damit Mossadegh an und halten die Farman (königliches Dekret) für verfassungswidrig.

Mossadeghs Gegner leugnen in der Regel, dass ein Staatsstreich tatsächlich stattgefunden hat oder dass fremde Länder essentiel beteiligt waren, sondern sie nennen es "ghiyame meli" (Nationaler Aufstand) gegen Mossadegh. Mossadegh-Gegner, meist Royalisten, sehen die Entlassung Mossadeghs durch den Schah als verfassungskonform und in der Tat habe Mossadegh mit seiner Weigerung einen Putsch gegen den Schah unternommen.

Die ausländische insbesondere die westliche Journalistenwelt, allen voran Stephan Kinzer, gehen fast alle von einem Putsch gegen Mossadegh aus, der den Verlauf der Geschichte Irans grundlegend veränderte und durch 26 Jahre brutaler Diktatur des Schah den Weg zur Khomeini-Revolution geebnet hat. So einig ist sich aber die Fachwelt, die iranische wie die westliche, nicht. Der bereits zitierte Mark J. Gasiorowski schreibt:

Ich denke, der Schah hatte wahrscheinlich die Befugnis, Mossadegh verfassungskonform zu entlassen. […] Aber er hat es nicht alleine geschafft. Der Schah feuerte Mossadegh, nachdem die USA ihn unter Druck gesetzt hatten. Aus diesem Grund kann dieses Ereignis als quasi-legaler Staatsstreich oder "Pseudo-Coup" bezeichnet werden, da der Schah den Erlass zur Vertreibung von Mossadegh unterzeichnet hatte. Die Unterzeichnung des Dekrets war jedoch nicht der einzige wichtige Schritt, um Mossadegh zu verdrängen. Seit Monaten vor dem Putsch hatte die CIA hart daran gearbeitet, Mossadegh zu untergraben. Und tatsächlich gab es am Tag des Putsches keinen Schah im Land. Meiner Meinung nach gibt es keinen Zweifel, dass der Putsch ohne die CIA nicht gesiegt hätte. Wenn wir also das Ganze auf die Unterzeichnung der Farman reduzieren, haben wir das Gesamtbild dessen, was passiert ist, ignoriert.

Mark J. Gasiorowski

Und Abrahamian schreibt:

Ich verwende das Wort Coup, weil die Panzer schließlich auf die Straße kamen, direkt zu zentralen Plätzen zogen und den Premierminister gewaltsam stürzten. Ein Militärputsch ist nicht mehr als das. Meinungsverschiedenheiten über die rechtlichen Dimensionen der Geschichte und ob der Schah laut Verfassung das Recht hatte, Mossadegh zu entlassen, hängen von der Auslegung der Verfassung durch verschiedene Fraktionen ab.

Abrahamian

Der in London ansässige iranische Historiker und Forscher Majid Tafreshi schließt sich Gasiorowski an:

Meines Erachtens kann nicht explizit gesagt werden, ob 19. August ein Staatsstreich war oder nicht, da die Hauptangelegenheit [Entlassung Mossadeghs] auf dem gesetzlichen Recht des Königs beruhte, aber die ausländische Einmischung es einem Staatsstreich sehr nahebringt. Wir können also nicht wirklich beurteilen, ob dies ein Putsch war oder nicht.

Majid Tafreshi

Dr. Manouchehr Razmara, Universitätsprofessor und letzter Gesundheitsminister im letzten Kabinett vor der Revolution unter Mossadeghs ehemaligem Mitstreiter Dr. Bakhtiar, ist der jüngere Bruder von Generalleutnant Razmara, der während seiner Amtszeit ermordet wurde. Er betont: "Es war ein Ereignis, ein Unglück. Es war weder ein Putsch noch ein Aufstand."

Dr. Sadreddin Elahi, ein Forscher und einer der prominentesten iranischen Journalisten, behauptet die These eines Vorfalls: "Nur ein Vorfall, nicht mehr. Denn die Definitionen des Putsches passen nicht zu diesem Ereignis. Es war ein Ereignis, das sich im Kontext unseres täglichen Lebens ereignete, und ich bedaure, dass wir es uns seit 60 Jahren wie eine offene Wunde anschauen und an dessen Schmerz immer noch leiden."

Iraj Amini, dessen Vater Ali Amini Minister Mossadeghs war, verwendet den Begriff "unangenehmer Schachzug" anstatt Putsch. Amini fügt in einem Interview hinzu:

Unglücklicher Schachzug, weil es genügt hätte, wenn der Schah ein paar Tage vor dem 19. August oder am selben Tag den Hofminister des Königs - übrigens mein Onkel Abulghasim Amini - mit der Farman sehr respektvoll zu Mossadegh geschickt hätte und dieser es ihm überreicht hätte. Hätte Mossadegh dann abgelehnt, wäre es tatsächlich ein Putsch gegen den Schah gewesen.

Ich bezeichne es als einen unangenehmen Akt, weil Unklarheit besteht, warum sie am Morgen des 15. August die Minister Fatemi und Zirkadeh verhaften ließen und dann Oberst Nasiri mit Panzer und Soldaten Mossadegh die Unterlassungsurkunde ausgehändigt haben. Gut, diese Situation wird zu einem Staatsstreich, wenn wir annehmen, dass Dr. Mossadeghs Regierung zu dieser Zeit legal war. Aber wenn die Regierung nicht verfassungsmäßig war, kann dieses Ereignis nicht als Putsch gewertet werden. Wie auch immer, es war ein sehr schlechter und amateurhafter Schachzug.

Ali Amini

Selbst der Neffe Mossadeghs, der prominente Jurist Dr. Hedayatollah Matin-Daftari, antwortete auf die Frage, ob Mossadegh verfassungsmäßig befugt war, das Parlament zu schließen, wie folgt: "Der Premierminister war nicht befugt, aber das iranische Volk schon. Weil das Gesetz und alle Prinzipien für die Menschen da sind, nicht umgekehrt. Referenden sind eines der wichtigsten Prinzipien der Demokratie."

In der Abwesenheit des Parlaments hatte der Schah die Berechtigung, seinen Premier zu entlassen, und wenn das tatsächlich der Fall war, was sogar Mossadeghs enge Mitstreiter glaubten, dann hatte Mossadegh mit der Weigerung seiner Entlassung vom 15. bis zum 19. August 1953 illegal regiert. Mossadeghs Innenminister Dr. Gholamhossein Sedighi war eine bekannte Persönlichkeit mit sehr gutem Ruf, einer der erfolgreichsten Professoren der Teheraner Universität, der sich Mossadegh angeschlossen hatte.

Er wird heute als "Vater der iranischen Soziologie" bezeichnet. Sedighi sprach sich klar gegen eine Auflösung des Parlamentes aus. Alles hätte für ein "kudeta" (Putsch) gesprochen, wenn diese Farman nicht gewesen wäre. Nach der Encyclopaedia Britannica definiert sich ein Coup d'État wie folgt:

"Coup d'État, auch Coup genannt, der plötzliche, gewaltsame Sturz einer bestehenden Regierung durch eine kleine Gruppe. Die wichtigste Voraussetzung für einen Staatsstreich ist die Kontrolle über alle oder einen Teil der Streitkräfte, der Polizei und anderer militärischer Elemente."

Encyclopaedia Britannica

Lässt sich diese klassische Definition auf den Coup von 1953 im Iran anwenden?

Die Entlassung des Premiers hatte nicht eine kleine Gruppe, sondern der Schah mit seiner rechtlichen Autorität getätigt. Auch wenn der Schah gegen die Verfassung verstoßen haben sollte, hatte Mossadegh dies bereits zuvor getan, indem er das Parlament auflöste. Zweifeln einige die Rechtsmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit des Handelns des Schah an, so besteht jedoch kein Zweifel darüber, dass Premier Mossadegh keine verfassungsmäßige Befugnis hatte, ein Referendum auszurufen und das Parlament aufzulösen.

Der Zeitpunkt des Überbringens der Entlassungsurkunde, etwa um 23 Uhr nachts nach Kermit Roosevelt und 1 Uhr nach Mossadeghs Memoiren, erscheint ungewöhnlich. Aber angesichts der turbulenten Tage zuvor - Referendum und Auflösung des Parlaments - wäre es nachvollziehbar, um diese Uhrzeit und nicht mit einem einfachen Boten zu Mossadegh zu gehen, denn man könnte mit seinem Widerstand rechnen.

Ein Staatsstreich macht man auch nicht mit einem mit einem Panzer, zwei Jeeps und zwei Militärlastwagen voller bewaffneter Soldaten. Von fünf Divisionen in Teheran standen mindestens am 19. August drei unter Kontrolle Mossadeghs.

Im August 1953 sollen die meisten leitenden Offiziere Mossadegh gegenüber loyal gewesen sein, darunter der Stabschef der Armee, General Taqi Riyahi. Mossadegh selber war Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Mossadegh verwickelt sich selbst in Widersprüche und schreibt in seinen Memoiren:

Das Erteilen der Farman war nicht nur verfassungswidrig, sondern auch ohne triftigen Grund, da meine Regierung sich bis zum 15. August 1953 nicht gegen die nationalen Interessen des Landes sowie gegen die Person des Schah verschworen hatte.

Mossadegh

Mossadegh, selbst ein promovierter Jurist, schreibt weiter: "Wenn seine Majestät es beabsichtigte, den Premierminister zu entlassen, warum um die Uhrzeit, mit Panzer und bewaffneten Soldaten wie bei einem Putsch. Wenn er [der Schah] diese [die Entlassungsurkunde] am heiligen Tag zugestellt hätte, wäre ich gehorsam gewesen und hätte ich mich weder widersetzen können, noch würde mich das Volk unterstützen, wenn es wissen würde, dass der Schah mich rechtmäßig entlassen hätte."

Hier leugnet Mossadegh nicht, dass der Schah dieses Recht hatte. Letzterer hätte die Entlassung nach Mossadeghs Auffassung nur nicht unter derart kuriosen Umständen vollziehen dürfen. Trotz eines pensionierten Generals als Regierungschef (General Zahedi) gibt es keine Militärregierung nach den Ereignissen vom 19. August und mit der Rückkehr des Schah ins Land kehrt die Normalität zurück.