"Die Rache Gaias": Liegt der Planet bereits im Fieber?
James Lovelock, Vater der "Gaia-Hypothese", ist in seinem neuesten Buch sehr pessimistisch
Mit der These, dass es sich bei der Erde um einen eigenständigen Organismus handelt, den er "Gaia" nannte, wurde James Lovelock vor 30 Jahren bekannt. Selbst Astronomen und selbstverständlich Biologen und Umweltforscher haben heute Lovelocks Gedankengänge übernommen. In seinem neuesten Buch vertritt er jedoch die These, dass wir die Erde bereits unwiderruflich aus dem Gleichgewicht gebracht haben.
Treffen sich zwei Planeten:
"Na Du schaust aber gar nicht gut aus, was fehlt Dir denn?"
"Tja, ich habe Homo Sapiens…"
"Oh, wie unangenehm! Aber denk Dir nichts, das geht vorbei."
Wenn die Erde ein Organismus ist, dann ist der Mensch als Parasit zu sehen, als Erkrankung, die den Planeten befallen hat und ihm zu schaffen macht: großflächiger Haarausfall am Amazonas, übelriechende Ausdünstungen in China, ständiges Aufkratzen von Pickeln im Nahen Osten, die dann unangenehme Flüssigkeiten absondern. Doch James Lovelock sagt auch, dass er den Menschen der Zukunft nicht nur als Krankheit der Erde sieht, sondern auch als ihre Augen und Ohren, die sehen, wie es der Mutter Gaia geht und ob ihr – beispielsweise durch Kollisionen mit Meteoriten – Gefahr droht.
Doch so weit sind wir noch lange nicht: Der Mensch kann heute kaum etwas für die Erde tun, so wenig, wie er die Temperatur oder die Zusammensetzung seines Blutes selber regeln kann, wenn seine Organe versagen, doch er schadet ihr nach wie vor in großem Maße. Sein Schaden überwiegt seinen Nutzen für den Gesamtorganismus "Erde" bislang bei weitem. Erst in späteren Jahrhunderten besteht eine gewisse Hoffnung der Besserung. Dazu ist ein radikales Umdenken notwendig, bei dem Lovelock sogar dafür plädiert, die Gefahr eines atomaren Gaus durch die Nutzung der Atomenergie in Kauf zu nehmen (Den Teufel mit Beelzebub austreiben), da dies zwar dem Menschen gefährlich würde, doch der Erde weit weniger schade als ein Klimakollaps infolge zu hoher Kohlendioxid-Emissionen.
Die früheren Bücher Lovelocks sind seit Jahren vergriffen und gebraucht nur zu Mondpreisen erhältlich. Zunächst fand die Gaia-Hypothese Lovelocks nicht unter den Forschern und Wissenschaftlern Anklang, für die sie eigentlich geschrieben worden waren, sondern bei den New Agern und Umweltschützern, die gerade die ersten Bilder der Erde aus dem Weltraum gesehen hatten. Inzwischen ist seine Theorie jedoch auch unter den Wissenschaftlern akzeptiert und das Wissenschaftsmagazin Nature hat James Lovelock vor zwei Jahren zwei Seiten zur Verfügung gestellt, auf denen er die jüngsten Entwicklungen zusammenfassen konnte.
Sein letztes Buch war vor sechs Jahren erschienen. Mit seinem neuesten Werk "The Revenge of Gaia", das im Februar in der englischen Originalausgabe erscheinen soll, und dessen Thesen Lovelock im englischen Independent bereits vorab bekannt gab, wird der 86-jährige, der bisher eigentlich als ausgesprochen optimistisch bekannt war, jedoch zur Kassandra: Statt als Hoffnung sieht er das selbstregulierende System „Gaia“ nun als Fluch – zum Umdenken sei es schon viel zu spät, die Weichen für eine fieberhafte Erkrankung des Planeten sind bereits gestellt und er wird bis zu 100.000 Jahre brauchen, um wieder zum Normalzustand zurückzukehren, so wie es auch bereits einmal in der Vergangenheit geschehen sei.
Diese dramatische Zukunftsszenerie steht jenen aus Hollywood bekannten Weltuntergangsszenarios kaum nach, nur geht sie in die entgegengesetzte Richtung: Nicht die nächste Eiszeit soll kommen, sondern eine solche Überhitzung des Planeten, dass ein Überleben nur noch an den Polen möglich sein soll. Das intensive Verwenden fossiler Brennstoffe habe bereits eine solche Treibhausatmosphäre erzeugt, dass Rückkopplungseffekte in kurzer Zeit zur Eskalation des Klimas führen können, sobald momentan noch bremsende Kräfte wie die Verringerung der Sonneneinstrahlung durch von den Verbrennungsrückständen erzeugten Dunst und Staub in der Atmosphäre einmal wegfallen.
Laut Lovelock könne dies in kürzester Zeit geschehen, ähnlich dem Kippen des Klimas in wenigen Tagen in Roland Emmerichs Reißer "The Day after Tomorrow". Das Eis der Arktis wird in wenigen Jahrzehnten restlos verschwunden sein, der dunkle Ozean an Stelle des stark reflektierenden helle Eises, das 90% der Sonnenstrahlung ins All zurück reflektiert hatte, wird diese gnadenlos absorbieren und dadurch noch mehr zur Erderwärmung beitragen.
Bis 2100 ist alles vorbei
Bis zum Ende dieses Jahrhunderts sollen Milliarden Menschen sterben und die wenigen noch fortpflanzungsfähigen Pärchen werden in der Arktis sein, wo das Klima noch akzeptabel ist, so Lovelock. Der Selbstregulierungsmechanismus der Erde, der bislang dem Menschen zugute gekommen ist, wird ihn nun – wie der menschliche Körper Bakterien und Viren – mit Fieber bekämpfen.
Den europäischen Regierungen empfiehlt Lovelock prompt auch nicht mehr, noch etwas gegen die Klimaerwärmung zu tun, sondern nur noch, ihre Bevölkerung gegen das Allerschlimmste zu schützen, da sowohl die USA als auch die neuen, stark wachsenden Wirtschaftssysteme Chinas und Indiens nicht bereit sein werden, Kompromisse einzugehen, und die Hauptquelle der Kohlendioxid-Emissionen sind.
Die Regierungen müssen auch Vorkehrungen gegen die steigenden Meeresspiegel greifen und in Zukunft mit einer Situation rechnen, die aus „Mad Max“ entsprungen sein könnte. Lovelock regt an, ein Handbuch für die Überlebenden der globalen Erwärmung zu hinterlassen, das nach einem Zusammenbruch der heutigen Gesellschaft die gesammelten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Menschheit zusammenfasst, inklusive solcher aus heutiger Sicht trivialen Dinge wie dem Platz der Erde im Sonnensystem oder der Tatsache, dass Bakterien und Viren Infektionskrankheiten verursachen. Dieses Handbuch soll nicht in elektronischer Form abgelegt werden, sondern aus widerstandsfähigem Papier mit lang haltender Druckfarbe gefertigt sein.
8°C mehr bis 2100
Katastrophen wie in der Sahara und Überschwemmungen wie in New Orleans werden zukünftig auch in Europa zum Alltag (Sturmfluten, Hurrikane und Monsterwellen), das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der UN verkündete in seinem letzten Report von 2001 bereits, dass die Temperaturen weltweit im Jahr 2100 im Mittel um 5,8°C höher liegen werden als heute und in höheren Breitengraden wie uns oder in Großbritannien sogar um 8°C. Doch der Prozess scheint sich zu beschleunigen und im nächsten Klimareport des IPCC, der im Jahr 2007 fällig ist, könnten die angekündigten Temperatursteigerungen schon viel eher prophezeit werden.
Die Tropen werden zur Wüste, die ärmsten Länder werden zuerst getroffen, doch auch Europa und Amerika werden unter dem Zusammenbruch des Klimas die heutigen Handelswege und ihre Nahrungsquelle verlieren. Es wird gerade noch reichen, um so zu leben, wie zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Mit dem heutigen energieintensiven Luxus ist Schluss.
Die Kollegen Lovelocks und alle Ökologen sind über diese neuen Thesen zunächst einmal nicht besonders begeistert; die Aussage "Es ist alles bereit viel zu spät, der Weltuntergang kommt!" ist schließlich nicht besonders konstruktiv und erstickt sämtliche Bemühungen um Umweltschutz bereits im Keim: Wenn sowieso schon alles verloren ist, dann will man die letzten Tage der Menschheit natürlich noch in Saus und Braus mitmachen.
Lovelock selbst sieht sein Buch jedoch nicht als Fatalismus und Weltuntergangsbibel, sondern als letzten Weckruf, der von den britischen Grünen trotz seines niederschmetternden Grundtons positiv aufgenommen wurde. Wenn die Emissionen innerhalb der nächsten 50 Jahre auf Null gefahren werden, bestehe noch Hoffnung, so Aubrey Meyer, Direktor des Global Commons Institute. Tony Juniper, Geschäftsführer der "Freunde der Erde", geht mit dem Professor dagegen schärfer ins Gericht:
Es war richtig, die Alarmglocken zu läuten, doch es ist unreif, gleich den Untergang der Menschheit zu prophezeien. Es gibt noch eine kleine Chance, und man sollte aus dieser das Beste machen, statt anzunehmen dass schon alles verloren ist.
Stephen Tindale, Greenpeace-Geschäftsführer, denkt dagegen, dass der „Erfinder“ von Gaia durchaus Recht haben könnte:
Die Erde könnte bereits dem Untergang geweiht sein, die Umwelt-Nachrichten des letzten Jahres waren durchweg schlecht: Die Meere versauern und können immer weniger Kohlenstoff aufnehmen; die Permafrost-Gebiete der Tundra tauen auf und setzen dadurch Methan frei. All dies deutet darauf hin, dass möglicherweise die kritische Schwelle überschritten ist. Doch wir können nicht sicher sein, und deshalb dürfen wir den Kampf nicht aufgeben. Solange es eine berechtigte Hoffnung gibt, dass die Katastrophe abgewendet werden kann, haben wir eine moralische Verpflichtung, es weiter zu versuchen.
In seinem eigenen Kommentar endet Lovelock allerdings auch deutlich positiver:
Wir sollten Herz und Bewusstsein der Erde sein, nicht ihre Krankheit. Wir sollten uns trauen, nicht nur an menschliche Bedürfnisse und Rechte zu denken und zu erkennen, dass wir der lebenden Erde geschadet haben und mit Gaia Frieden schließen müssen. Wir müssen dies tun, solange wir noch stark genug sind, um zu verhandeln, und nicht ein zerrissener Pöbel, der von brutalen Kriegsherren angeführt wird. Vor allem sollten wir nicht vergessen, dass wir alle ein Teil der Erde sind und diese unsere Heimat ist.