Die Rezession und die "demografische Herausforderung"

Die EU-Kommission sorgt sich, dass mit der Wirtschaftskrise und der steigenden Verschuldung die dringend anstehende Bewältigung der vergreisenden Gesellschaft ins Hintertreffen gerät

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Die auf die Finanzkrise folgende Rezession, die wiederum zu steigenden Staatsausgaben und öffentlichen Schulden führt, verstärkt sich in einer alternden Gesellschaft, in der zu wenige Kinder geboren werden. Wenn jetzt zuviel Geld in kurzfristige Lösungen hineingepumpt wird, muss später gespart werden, was zu Lasten der kommenden Generation oder derjenigen gehen kann, die sich überlegen, ob sie Kinder haben wollen oder nicht, aber auch zu Lasten der Versorgung der wachsenden Zahl an länger lebenden Rentnern.

Zumindest warnt der für Wirtschaft und Finanzen zuständige Kommissar Joaquin Almunia auf diesem Hintergrund vor den langfristigen Belastungen des Geburtenrückgangs in der gesamten EU:

Der aktuelle Anstieg der Arbeitslosigkeit und die Verschlechterung der Lage der öffentlichen Finanzen machen es umso wichtiger, dass wir unsere Verpflichtung auf die Strategie zur Bewältigung der demografischen Herausforderung Europas erneuern und dafür sorgen, dass die kurzfristigen Lösungen zur Förderung der wirtschaftlichen Erholung nicht die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gefährden. Dies ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Überwindung der derzeitigen Krise.

Joaquin Almunia

Auf der Grundlage aktueller Bevölkerungsprojektionen hat die EU-Kommission eine Mitteilung an den Rat und das Parlament mit dem Titel "Die Auswirkungen der demografischen Alterung bewältigen" gesandt. Zwar wird vermutlich unter Berücksichtigung der Geburtenraten, der Lebenserwartung und der Zuwanderung die Bevölkerung der EU im Jahr 2060 etwa so groß sein wie gegenwärtig, aber der Anteil der Alten wird enorm zunehmen. Ab 2015 werden mehr Menschen sterben als geboren. In allen Ländern liegt die Geburtenrate unter 2,1 pro Frau, was zur Stabilisierung der Bevölkerungszahl notwendig wäre. Im EU-Durchschnitt liegt sie bei 1,51.

Allein die Zahl der Menschen, die über 80 Jahre alt sind, wird sich verdreifachen. Sie werden dann einen Anteil von 12 Prozent an der Gesamtbevölkerung haben. Haben die über 65-Jährigen jetzt einen Anteil von 17 Prozent, so werden sie bis 2060 auf 30 Prozent anwachsen. Im selben Zeitraum verschiebt sich das Verhältnis der Menschen im erwerbsfähigen Alter zu denen über 65 Jahren von jetzt 4:1 auf dann 2:1. Die Ausgaben für die Versorgung der alten Menschen (Renten, Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege) werden auf etwa 5 Prozent des BIP ansteigen. In Deutschland wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um 29 Prozent zurückgehen, in osteuropäischen Ländern wie Polen oder Bulgarien gar um 40 Prozent.

Kritisch wird es ab 2015, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, warnt die Kommission. Man habe damit zwar noch ein wenig Zeit, um politische Maßnahmen einzuleiten, aber deren Planung und Umsetzung müsse schnell gehen. So müssten mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere Menschen geschaffen werden, was natürlich gerade in der Rezession, wo man mit steigenden Arbeitslosenzahlen konfrontiert ist, noch schwerer als zuvor schon zu realisieren ist. Bislang arbeiten noch etwa 50 Prozent der über 60-Jährigen.

Gefordert wird auch im Hinblick auf die Bewältigung der alternden Gesellschaft eine schnelle Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und ein schneller Abbau der Schulden – während die Regierungen bei sinkenden Einnahmen viel Geld in Rettungspakete, Konjunkturprogramme und womöglich Steuererleichterungen stecken. Neben der "Erhöhung der Beschäftigungsquoten und der Produktivität" werden Reformen der Renten-, Gesundheits- und Langzeitpflegesysteme gefordert, u.a. ausgerechnet derzeit der Ausbau der privaten Rentensicherung durch Anlagen. Die Bedingungen für Familien sollen verbessert und mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, Europa soll "dynamischer und produktiver" werden – und nicht zuletzt sollen Zuwanderer aufgenommen und integriert werden.

Europa ist allerdings demografisch avantgardistisch und hat darin einen Vorteil gegenüber anderen Regionen, in denen die Vergreisung erst später massiv wird, weil man dann Lösungsmaßnahmen exportieren kann. Allerdings wird auch nicht nur vor einem Rückgang des Bevölkerungswachstums gewarnt. Die britische Organisation Optimum Population Trust (OPT) etwa fordert eine Schrumpfungspolitik und weniger Kinder (Seid weniger fruchtbar und verringert euch).