Die "Verwolfung" Deutschlands

Sogenannter "Wolfsgruß". Foto: Canlanma / CC BY-SA 3.0

Langsames Erwachen? Deutsche Politik und die türkisch-nationalistischen Netzwerke Erdogans

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Durch Berlins Straßen fahren mehrere Fahrzeuge in der Aufmachung der berüchtigten türkischen Spezialeinheiten "Özel Harekat". In Hamburg posiert eine Bodygard -Truppe auf dem Rollfeld bei der Präsidentenmaschine Erdogans zum G 20 Gipfel. In Köln wird bei Erdogans Eröffnung der Ditib-Moschee der Wolfsgruß gezeigt.

Langsam erwachen die deutschen Medien aus ihrem Dornröschenschlaf und richten ihre Aufmerksamkeit auf die türkischen nationalistischen Netzwerke in Deutschland. Lange wurde auch von den Sicherheitsbehörden weggeschaut, wenn es um die Grauen Wölfe und deren in der Türkei mit Erdogans AK-Parti regierende rechtsextreme MHP ging.

In Deutschland hat sich ein gefährliches Netzwerk von türkischen Faschisten, Islamisten und nationalistischen Erdogan-Anhängern herausgebildet, die den deutschen Rechtsextremen in nichts nachstehen.

Fahrzeuge mit Emblem der türkischen Anti-Terror-Einheit in Berlin

Mehrere Fahrzeuge mit dem Emblem der berüchtigten Anti-Terror-Einheit "Özel Harekat" wurden letzte Woche in Berlin gesehen. Sie fuhren durch die Straßen von Neukölln, Kreuzberg und Berlin-Mitte. In Bezirken also, wo die türkische und kurdische Opposition in der türkeistämmigen Community stark ist. Die Berliner Zeitung berichtete, die teuren Autos, darunter ein 7er-BMW, hätten allesamt Berliner Kennzeichen gehabt.

Der innenpolitische Sprecher der Linkspartei im Abgeordnetenhaus, Hakan Tas, erstattete Anzeige bei der Polizei, da mit diesen Fahrzeugen offensichtlich türkische Oppositionelle in Berlin eingeschüchtert werden sollen. Die türkische Spezialeinheit der Polizei "Özel Harekat" ist in der Türkei bekannt für ihre brutalen Übergriffe bei ihrer Jagd auf Oppositionelle. In den kurdischen Gebieten wird immer wieder von Folterungen, extremen Misshandlungen, regelrechten Exekutionen und Leichenschändungen toter Oppositioneller durch diese Einheiten berichtet.

Hakan Tas vermutet, dass hinter dieser Aktion Mitglieder der mittlerweile in Deutschland verbotenen türkisch-nationalistischen Schlägertruppe "Osmanen Germania BC" steckt. Das Innenministerium verbot diese Organisation, nachdem bekannt wurde, dass sie gezielt politische Gegner einschüchterten, vor allem Kurden. Sie traten als 'Rockergruppe' auf und begingen schwere Straftaten, wie z.B. Waffenhandel.

Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden verfügen sie über gute Kontakte zur AKP und der türkischen Regierung (vgl. Erdogans gefährliches Netzwerk in Deutschland) Polizei und Staatsanwaltschaft sehen keinen Handlungsbedarf: Das bloße Anbringen von Emblemen an Fahrzeugen sei noch keine Straftat, zitiert die Berliner Zeitung einen Polizeisprecher.

Würden sie jedoch mit Blaulicht durch Berlins Straßen fahren und sich als Polizisten ausgeben, wäre das Amtsanmaßung. Hakan Tas gibt sich damit nicht zufrieden und wird diese Sache im Innenausschuss zur Sprache bringen. Mittlerweile wurde der Halter von zweien der gesichteten Fahrzeuge ausfindig gemacht. Angeblich erklärte dieser, er habe keine politischen Motive gehabt, ihm gefiele nur die Gestaltung von Polizeifahrzeugen.

Erdogans "Soldaten" in Deutschland

Während des Staatsbesuchs des türkischen Präsidenten Erdogan im September tat sich eine weitere subversive Gruppe hervor: Mitglieder des "Team Yörükoglu Europa" traten in Köln bei der Eröffnung der Ditib-Moschee durch Erdogan als Sicherheitsmänner auf. Sie sperrten eine Straße, durch die Erdogan fahren sollte, mit Polizeiabsperrband ab, was eigentlich Aufgabe der Kölner Polizei gewesen wäre. Diese zeigte sich überrumpelt durch diese unangekündigte "Hilfe". Inzwischen ermittelt die Polizei wegen Amtsanmaßung gegen Unbekannt.

Nach Recherchen des NDR werden die Mitglieder, die gerne mit dem Wolfsgruß der Grauen Wölfe oder dem islamistischen Rabbia-Gruß vor der Kamera posieren, regelmäßig vom türkischen Generalkonsulat in Hamburg und Vertretern der AKP als Ordner oder Sicherheitspersonal angeheuert Kopf der Truppe soll ein 41 jähriger Hamburger türkischer Herkunft namens Nuri Harmankaya sein.

Seinen Angaben zufolge "seien er und seine Truppe immer wieder vom türkischen Generalkonsulat in Hamburg oder von Vertretern der türkischen Regierungspartei AKP damit beauftragt worden, als Ordner für Veranstaltungen oder als Sicherheitspersonal zur Verfügung zu stehen. Konsulat und Partei widersprechen dieser Darstellung".

Harmankaya ist seit Juni 2017 wegen illegalen Waffenbesitzes vorbestraft und bezeichnet sich auf Facebook selbst als 'Soldaten Erdogans'. Mit martialischen Bildern treten er und seine Männer auf Facebook auf. Er postet Bilder von Soldaten und Waffen und droht laut NDR-Recherchen Erdogan-Kritikern: "Wer unseren Anführer unglücklich macht, den machen wir unglücklich."

Schon im Juli 2017 beim G-20-Gipfel fiel das Team Yörükoglu auf, weil sie sich auf dem Rollfeld des Hamburger Flughafens vor der türkischen Regierungsmaschine ablichten ließen. Wie die Truppe ohne Akkreditierung im Sicherheitsbereich auf das Rollfeld gelangen konnte, wollte oder konnte das BKA dem NDR nicht beantworten.

Die Gruppe sei kein Beobachtungsobjekt, erklärte der Hamburger Verfassungsschutz. Eine kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag Ulla Jelpke soll nun Licht ins Dunkel bringen, ob diese Truppe Verbindungen zum türkischen Geheimdienst hat.

Gefährliches Netzwerk von türkischen Faschisten, Nationalisten und Islamisten

Bekannte Buchautoren wie Jürgen Roth ("Die Türkei - Republik unter Wölfen", 1981, oder der WDR-Fernsehfilm "Die Grauen Wölfe kommen", 1982) oder Günther Wallraff ("Ganz unten", 1985) berichteten schon früh über die "Ülkücü-Bewegung", wie sich die rechtsextreme türkische Community auch nennt.

Die Politik schenkte den Grauen Wölfen keine Aufmerksamkeit, spielte ihre Präsenz herunter. Im Gegenteil: In den 1970er Jahren förderte der Bundesnachrichtendienst (BND) die Gründung des MHP-Auslandsverbandes Türkische Föderation (Turk Federasyon) mit Sitz in Frankfurt als Gegengewicht zu linken Organisationen der türkeistämmigen Arbeitsmigranten.

Die MHP hatte auch Kontakte zur NPD. Diese unterstützte 1977 den Wahlkampf der MHP in der Türkei. 1978 versicherte der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) nach Informationen der Jungen Welt dem Gründer der MHP Alparslan Türkes bei einem Treffen, er würde "in der Bundesrepublik ein 'günstiges psychologisches Klima' für die Grauen Wölfe schaffen".

Dies scheint gelungen, denn im Fokus des Verfassungsschutzes standen stets kurdische Organisationen, denen die Nähe zur kurdischen Arbeiterpartei PKK nachgesagt wurde und kommunistische türkische Organisationen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Noch immer werden in Deutschland kurdische und türkische Aktivisten verhaftet und ohne Beweise von begangenen Straftaten nach § 129b (Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung) verurteilt.

In den letzten Jahren nahmen jedoch die Aktivitäten der Grauen Wölfe und der AKP-Anhänger deutlich zu: Großveranstaltungen und Demonstrationen wurden häufiger, Tarnorganisationen wie Rockergruppen oder Sportvereine gegründet. AKP-nahe Parteien in Deutschland wie die Allianz Deutscher Demokraten oder die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) distanzieren sich längst nicht mehr von den Grauen Wölfen.

Zeigen des Wolfsgrußes ist allerorten salonfähig

Das Zeigen des Wolfsgrußes ist allerorten salonfähig geworden - auf Veranstaltungen konservativer Organisationen, auf Demonstrationen, auf der Straße zur Begrüßung. So auch bei dem Deutschlandbesuch Erdogans im September. Viele seiner am Straßenrand wartenden Fans spreizten zwei Finger ihrer Hand als Ohren ab, die anderen drei formten eine Schnauze: das Symbol des Grauen Wolfs, das Symbol der faschistischen Partei MHP in der Türkei.

Endlich sind nun die etablierten Parteien darauf aufmerksam geworden. Forderungen für ein Verbot der Grauen Wölfe und ihrer Symbole werden laut. "Jede Form des Faschismus ist menschenverachtend und eine Bedrohung für unsere freiheitliche Gesellschaft", erklärte der CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries gegenüber der Printausgabe der Bild vom vergangenen Dienstag.

Die Grauen Wölfe erschwerten das Leben liberaler Deutschtürken und würden die Gesellschaft anstacheln. Sie würden in Deutschland Integrationsbemühungen im Weg stehen, erklärt der Unionspolitiker der Zeit.

Schon seit Jahren fordert dagegen die Vizefraktionschefin der Linksfraktion Sevim Dagdelen ein Verbot des Wolfsgrußes und vergleicht diesen mit dem Hitlergruß. Nun räumen die deutschen Verfassungsschützer ein, dass es in Deutschland Tausende gibt, die türkisches und rechtsextremistisches Gedankengut verbreiten.

Längst ist dieses Gedankengut auch mit der islamistischen Ideologie nach Erdogans Vorbild verwoben. Graue Wölfe und Islamisten sind überall vertreten: in Elternvereinen, Migrationsbeiräten und politischen deutschen Parteien. In NRW hat die CDU zunehmend Probleme mit nationalistischen Türken unter ihren Parteimitgliedern.

Umstrittene Vertreter im Migrationsbeirat

Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sitzen gleich zwei umstrittene Vertreter im Migrationsbeirat: ein Vertreter der Islamischen Föderation, die der islamistischen Organisation Milli Görüs nahesteht und eine Vertreterin des verlängerten Arms von Erdogans Religionsbehörde Diyanet, der islamische Dachverband Ditib.

Milli Görüs wird zusammen mit den Grauen Wölfen der Mord an dem linken türkischen Gewerkschafter Celalettin Kesim am 5. Januar 1980 vor der Berliner Mevlana Moschee vorgeworfen. In München erreichte 2017 die den Grauen Wölfen nahestehende Liste 'Ay Yildiz' 5 von 14 Sitzen für den Migrationsbeirat.

Das Publikum im Kino

Ähnlich wie die deutschen Rechtsextremisten reichen die Strukturen bis in die Sport-, Musik- und Filmszene in Deutschland. Musiker wie Mustafa Yildizdogan, Gökhan Tekin oder Ozan Arif treten regelmäßig auf rechten türkischen Konzerten auf. Die türkische Filmszene zeigt in deutschen Kinos Filme wie den 2012 erschienen Film "Ülkücüler" über führende Kader der Grauen Wölfe nach dem Militärputsch 1980.

Ebenfalls 2012 wurde der Film "Fetih 1453" veröffentlicht, eine der teuersten türkischen Produktionen, in dem türkische Großmannsucht und anatolischer Heldenmut gepriesen wird. In diesem Zusammenhang ist auch der 2017 erschienene Propaganda-Spielfilm "Reis" über den "heroischen" Präsidenten Erdogan zu betrachten. Das Publikum im Kino war gruselig.

Man wagte nicht, auch nur eine kritische Bemerkung fallen zu lassen. Pünktlich zum türkischen völkerrechtswidrigen Überfall auf den nordsyrischen Kanton Afrin erschien der Action-Film "Bordo Bereliler2: Afrin", ein propagandistischer Kriegsfilm für die Heimatfront. Beunruhigend angesichts der zunehmenden kurdischen, christlichen oder ezidischen Flüchtlinge aus Afrin, die Erdogan uns derzeit beschert.

In Deutschland verfügen die Grauen Wölfe über den Dachverband Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland (Adütdf) mit etwa 170 Vereinen und 7.000 Mitgliedern. Es wird jedoch von einer Anhängerschaft von über 11.000 Personen ausgegangen, Sympathisanten aus der islamischen Szene nicht mit eingerechnet.

Aber auch AKP-Politiker scheuen sich in Deutschland nicht mehr, ihre Anhänger mit dem Wolfsgruß zu begrüßen. Prominentes Beispiel ist der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, der 2017 bei einem Besuch in Hamburg den Wolfsgruß zeigte.

Im Sommer 2018 war der Vorsitzende des Dachverbands der Grauen Wölfe in Europa, Cemal Çetin, sogar Mitglied der türkischen Delegation beim Nato-Gipfel in Brüssel. Cemal Çetin schüttelte Angela Merkel die Hand.

Der Sozialwissenschaftler Kemal Bozay warnt vor einer Verharmlosung der Grauen Wölfe in Deutschland als Randthema türkischstämmiger Menschen in Deutschland: "Es geht hier um demokratische Bildungsarbeit im Bereich des Rechtsextremismus, der ja auch in deutschen Schulklassen für Konflikte sorgt", sagt er.

Wenn ein türkischstämmiger Schüler die Klasse verlässt, weil kritisch über die Grauen Wölfe gesprochen wird, dann hat die ganze Klasse ein Problem und wir müssen uns damit beschäftigen.

Kemal Bozay