Die Zerstörung der Kultur durch den Klimawandel

Seite 2: Niedergang der Infrastrukturen

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Diese Ausfälle werden alle anderen Elemente unserer Gesellschaft empfindlich und gefährlich stören. Nicht nur das tägliche Leben ist davon betroffen, auch unsere Fähigkeit, an langfristigen Lösungen für die großen Herausforderungen zu arbeiten. Oben war von den gewaltigen Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen die Rede, die nötig sind, um die Landwirtschaft auf das Klimachaos auch nur im Groben einzustellen. Wie aber sollen diese Anstrengungen überhaupt unternommen werden, wenn die Computertechnik der wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen und die Steuerungsanlagen der Labore immer wieder mit Stromausfällen zu kämpfen haben?

Gleichzeitig sind auch alle anderen Netzwerke der modernen Infrastruktur von der Zunahme extremer Wetterereignisse betroffen, wie bereits erste Erfahrungen mit Hitzewellen und Starkniederschlägen zeigen. Der Schienen- und Straßenverkehr wird unterbrochen, die Transportwege werden nachhaltig geschädigt. Die Zuverlässigkeit und die Sicherheit des Transportwesens leiden.

Störungen und Unfälle werden in einem Umfang auftreten, den auch hochtechnisierte und reiche Gesellschaften kaum noch bewältigen können - zumal an allen Stellen gleichzeitig Investitionsbedarf auftritt, zugleich aber die Planungs- und Logistikleistungen, die dazu notwendig sind, selbst immer prekärer und unzuverlässiger, damit auch teurer werden. Das wird notwendig zu einem Verzicht auf Sicherheits-, Zuverlässigkeitstest- und Komfortstandards führen, die in den letzten Jahrzehnten für moderne Gesellschaften selbstverständlich geworden sind.

Die immer knapperen finanziellen, materiellen und personellen Ressourcen müssen dann auf immer mehr Baustellen und Krisenherde verteilt werden. Infrastrukturprojekte, die das Verkehrsnetz resistent gegen extreme Wetterkapriolen machen sollen, konkurrieren um finanzielle und personelle Ressourcen der Gesellschaft mit Projekten zur Dezentralisierung der Energieversorgung, mit Maßnahmen zur Umgestaltung der Landwirtschaft und mit Aufforstungsprogrammen. Jeder weiß, dass alles auf einmal notwendig wäre, und dass letztlich der Erfolg eines jeden Maßnahmenpakets und Entwicklungsprogramms vom Erfolg aller anderen Pakete und Programme abhängt - aber in der Praxis müssen Prioritäten festgelegt und Kapazitäten verteilt werden.

Klar und aus bisherigen Erfahrungen bekannt ist, dass jede Einrichtung und jeder Betrieb den Nachweis führen wird, dass die gesellschaftliche Unterstützung und Finanzierung gerade der eigenen Vorhaben absoluten Vorrang haben muss. Langwierige politische Abstimmungsergebnis- und Verteilungsprozeduren werden nötig, die den Erfolg der Maßnahmen weiter gefährden, insbesondere dann, wenn die Maßnahmen überregionale oder gar internationale Zusammenarbeit erfordern, um die dringend notwendigen Effekte zu erreichen.

Und eine solche überregionale und internationale Abstimmung wird notwendig sein. Dabei werden für jedes Problem verschiedene Lösungsvorschläge auf den Tisch kommen, die unterschiedliche Investitionen, unterschiedliche Unwägbarkeiten und Risiken und gleichzeitig unterschiedliche Einschnitte in das Leben der Betroffenen bedeuten werden.

Ein Beispiel soll das erläutern: Soll man, wenn die Hochwasser und Überschwemmungen an den Nordseeküsten zunehmen, eher den Hochwasserschutz verstärken oder soll man die Menschen aus den Niederlanden und aus Norddeutschland eher umsiedeln und die betroffenen Regionen aufgeben? Die einen werden aus vielen guten Gründen den Hochwasserschutz bevorzugen, man wird auf die bestehenden Erfahrungen und Technologien im Deichbau verweisen und die Langsamkeit des Prozesses betonen. Auf die kulturellen Risiken von Umsiedlung und Flucht in Europa wird man hinweisen. Andere werden sagen, dass alle Investitionen in den Hochwasserschutz am Ende vergeblich sein werden und dass es besser ist, statt Geld in immer höhere Deiche zu investieren, die am Schluss doch nicht ausreichen, frühzeitig die Menschen darin zu unterstützen, sich anderswo ein neues Leben aufzubauen.

Internationaler Masterplan ist kaum vorstellbar

Wie soll es in solchen Fällen zu vernünftigen Entscheidungen kommen, die für alle Beteiligten akzeptabel sind und zudem ausreichende Ergebnisse für die Stabilisierung der Lebensverhältnisse unter immer unsicheren Bedingungen erzielen? Was schon unter europäischen Bedingungen fast aussichtslos erscheint, wird im globalen Maßstab zu einem reinen Wunschtraum. Vielmehr ist zu erwarten, dass politische Kräfte versuchen werden, durch wechselseitige Schuldzuweisungen und überzogene Forderungen an andere die eigenen Machtstrukturen zu stärken, Konflikte ohne Rücksicht auf langfristige Konsequenzen zu verschärfen und damit der eigenen Verantwortung für die Zukunft der jeweiligen Gesellschaft aus dem Wege zu gehen.

Was uns auf diesem Gebiet bevorsteht, können wir gegenwärtig an den internationalen Diskussionen um die verstärkte Abholzung des brasilianischen Regenwaldes beobachten. Die Reaktion des dortigen Präsidenten auf den Stopp der Förderung von Projekten durch Deutschland spricht Bände: Die deutsche Regierung solle das Geld doch nehmen und Deutschland wieder aufforsten, das sei schließlich bitter nötig, sagt der Präsident Brasiliens. Diese Antwort zeigt, in welche Richtung sich die internationale Diskussion verschärfen wird: Entwicklungsländer werden eigene Maßnahmen zum Klimaschutz ablehnen und darauf verweisen, dass die Länder Europas und Nordamerikas durch ihr hemmungsloses Wachstum und die Industrialisierung in den letzten Jahrhunderten die Probleme schließlich verursacht haben.

Verzicht auf Seiten der Entwicklungsländer wird abgelehnt werden mit dem Verweis, dass man lange nicht auf dem Niveau des Ressourcenverbrauchs sei wie die Länder der "ersten Welt" und dass man nur nachhole, was diese sich bisher genehmigt hätten. Verzicht und radikale Einschnitte seien vor allem im Norden nötig. So werden Konflikte verschärft und gemeinsame Maßnahmen verhindert. Auf die absehbaren politischen Entwicklungen als Folge des Klimawandels werden wir zurückkommen.

Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Menschen dem radikalen Wandel kaum durch abgestimmte oder gar angemessene Reaktionen und Maßnahmen begegnen können. Einzelinteressen und kurzfristiges Denken werden verhindern, dass es zu einer tiefgreifenden Umgestaltung der Art, wie sich die Menschen in der Umwelt einrichten, kommt. Das Prinzip Hoffnung, die Annahme, dass das Schlimmste ja vielleicht doch schon oder bald überstanden sein wird, schließlich der bloße Kampf gegen die Folgen der nächsten Katastrophe, werden alle Möglichkeiten verbauen, dass es zu einem Masterplan kommt, nach dem die verschiedenen Gesellschaften der Erde abgestimmt, friedlich und gemeinsam den Weg aus der Katastrophe finden können.