Die falsche Hoffnung auf eine sinkende Inflationsrate
- Die falsche Hoffnung auf eine sinkende Inflationsrate
- EZB: Freihändiges Jonglieren
- Auf einer Seite lesen
Es zeigt sich, dass der Tankrabatt und 9-Euro-Ticket bestenfalls etwas dämpfend auf die Teuerung wirken. Wie steht es um "Rettungschancen"?
Das sind die Jubelmeldungen, die man in Berlin, Frankfurt und Brüssel hören will: "Inflationsrate sinkt überraschend", hat die Tagesschau am Mittwoch getitelt. Nach Angaben des ersten TV-Kanals des öffentlich-rechtlichen Rundfunks habe sich die offiziell festgestellte Inflation "in Deutschland im Juni überraschend abgeschwächt".
Waren und Dienstleistungen hätten sich nur um 7,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verteuert. "Das nährt Hoffnungen, dass die Inflation ihren Hochpunkt bereits überschritten hat." Die Verbraucherpreise in Deutschland seien im Juni nicht so stark gestiegen wie erwartet worden sei.
So viele irreführende Informationen allein im ersten Absatz einer Meldung zu bringen, ist fast schon eine Kunst. Man könnte von fehlender Recherchetiefe sprechen oder mutmaßen, dass hier konkret schöngefärbt gemacht werden soll, und die Geldpolitik aber beinahe schon mit propagandistischen Tricks, auf jeden Fall bestmöglich aus der Kritik herausgehalten werden soll.
Aber, schön langsam: Tatsächlich hat sich nach den dramatisch aufgehübschten Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis) die Inflation etwas vermindert. Die hatte Destatis für Mai noch mit offiziell 7,9 Prozent beziffert, einem neuen Inflationsrekord, wie auch Telepolis berichtet hatte. Wie der Autor aber seit vielen Monaten herausstellt, benutzt Destatis den wenig aussagekräftigen sogenannten "Verbraucherpreisindex" (VPI) zur Berechnung der Teuerungsrate.
Deshalb wurde an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der VPI deutlich geschönter ist als der "Harmonisierte Verbraucherpreisindex" (HVPI), den die europäischen Statistiker von Eurostat benutzen. An dieser Stelle wurde auch immer wieder kritisiert, dass Destatis den HVPI etliche Monaten nicht mehr angegeben hatte. Denn der wich immer deutlicher vom VPI ab, während beide Werte früher üblicherweise nahe beieinander lagen.
So war schon vor dem Ukraine-Krieg im vergangenen November eine Lücke von 0,8 Prozentpunkten entstanden. Allerdings war damals auch der VPI mit sechs Prozent sehr hoch. Schon das widerlegte das Märchen, dass der Krieg für die hohe Inflation verantwortlich ist. Nun hat Destatis diese Lücke wieder geschlossen und gibt den HVPI wieder an, der nun bei 8,2 Prozent liegen soll, der also im Vergleich zum Mai ebenfalls leicht gesunken sein soll. Wird er deshalb wieder angeführt?
Jedenfalls braucht man in diesem Monat nicht mehr auf die Eurostat-Webseiten zu wechseln und muss auf die Veröffentlichung warten, um festzustellen, wie sich die Inflation einigermaßen vergleichbar mit unseren Nachbarn entwickelt.
Angemerkt sei, dass Experten auch seit langem kritisieren, dass auch aus dem international vergleichbareren HVPI in all den Jahren seit Bestehen des Euro immer mehr Teile aus der Ermittlung der Inflationsrate herausgenommen wurden, um diesen Wert aufzuhübschen.
Die Kaufkraft
Allerdings sei auch noch einmal angefügt, wie das am Beispiel Großbritannien auch schon aufgezeigt wurde, ist die reale Inflation für die unteren Lohngruppen praktisch ohnehin im gesamten Euroraum vermutlich längst zweistellig, da sie einen besonders großen Anteil ihres verfügbareren Einkommens für Energie und Lebensmittel ausgeben müssen.
Klar ist aber, dass auch die Anhebung der Renten im Westen um 5,35 Prozent und im Osten um 6,12 Prozent einen Verlust von Kaufkraft bedeutet, da die Erhöhung deutlich auch hinter der offiziellen Destatis-Inflation zurückbleibt.
Das gilt auch für die Erhöhung des Mindestlohns von 9,82 Euro auf 10,45 Euro. Die Anhebung um rund 6,5 Prozent bleibt ebenfalls hinter der Inflationsrate zurück, womit der Kaufkraftverlust, den Destatis inzwischen auf breiter Front einräumen musste, nicht ausgeglichen wird. Auch Destatis musste, trotz aufgehübschter Daten längst eingestehen, dass die Reallöhne im ersten Quartal um mindestens 1,8 Prozent zurückgegangen.
Klar ist, dass weiter vor allem die Energiepreise stark zur Inflation beitragen. Nach Destatis-Angaben hat sich Energie im Jahresvergleich um 38 Prozent verteuert. Das sind - trotz Tankrabatt und 9-Euro-Ticket - nur 0,3 Prozentpunkte weniger als im Vormonat. Wie die Inflation inzwischen aber immer stärker in die Breite geht, zeigt sich auch an der Entwicklung der Nahrungsmittelpreise.
Die haben sich im Jahresvergleich schon um 12,7 Prozent verteuert, im Mai waren es noch 11,1 Prozent. Waren aller Art haben sind schon um 14 Prozent teurer geworden.
Fazit
Wie man aus alledem die Hoffnung ableitet, dass die Inflation den Höhepunkt überschritten haben könnte, bleibt das große Geheimnis der Tagesschau. Es ist zudem bekannt, dass sich hohe Energiepreise erst langsam in steigenden Preisen auf breiter Front niederschlagen.
Blick über den Tellerrand
Ein Blick über den Tellerrand oder den Euroraum hinaus würde zudem den Blick schärfen und ein anderes Bild zeichnen. So ist die Inflation in Großbritannien "abermals so stark gestiegen wie seit 40 Jahren nicht mehr", stellte die Tagesschau angesichts einer Inflationsrate von nun 9,1 Prozent fest.
Mit der Aussage: "Den Beschäftigten im Land drohen zusätzliche Lohneinbußen wegen der der Brexit-Folgen" wird aber erneut ein absurdes Fass aufgemacht, womit von den eigentlichen Ursachen der Inflation abgelenkt werden soll, wovon wir später sprechen werden.
Auch in den USA ist die Inflation, das stellt man im ARD-Nachrichten-Flaggschiff auch fest, ebenfalls mit 8,6 Prozent auf den höchsten Wert seit 40 Jahren gestiegen. Hier wird erklärt, dass vor allem "wachsende Kosten für Energie und Lebensmittel immer mehr Menschen großes Kopfzerbrechen" machen.
Inflation, Tankrabatt und 9-Euro-Ticket
Dass die Inflation in Deutschland, anders als in vielen anderen Euro-Ländern, nicht weiter gestiegen ist, kann man vor allem den Krisenmaßnahmen wie dem Tankrabatt und dem 9-Euro-Ticket zuschreiben.
Genau das wurde an dieser Stelle auch vorhergesagt. Wir hatten Anfang Mai aber auch angekündigt, dass die "Teuerungsrate in der Eurozone auf dem Weg ist zweistellig" zu werden und der Tankrabatt "die Inflation in Deutschland kaum bremsen" können wird.
Aufgezeigt wurde das am Beispiel von Ländern, bei denen die Inflation über Tankrabatte wie in Spanien tatsächlich zwischenzeitlich auch etwas gesenkt werden konnte.
Doch schauen wir uns nun die aktuelle Lage in Spanien an. Der Tankrabatt-Effekt ist erwartungsgemäß vollständig verpufft. Hatte Spanien die Inflationsrate mit Notmaßnahmen zwischenzeitlich wieder auf 8,3 gedrückt, ist sie hier nun erwartungsgemäß nun sogar offiziell auf 10,2 Prozent gestiegen. Spanien ist nun als viertgrößtes Euroland in den Club der Länder mit zweistelligen Inflationsraten vorgerückt. Estland ist mit mehr als 20 Prozent der absolute Spitzenreiter.
Diverse Medien in Spanien stellen deshalb einigermaßen entsetzt fest, dass der normalen Bevölkerung über eine offizielle Inflationsrate von nun schon 10,2 Prozent immer mehr Kaufkraft entzogen wird.
Allein in Frankreich ist die Inflation unter den großen Euroländern mit 5,8 Prozent noch unterdurchschnittlich. Doch mit einer Steigerung um 0,6 Punkte wurde ein deutlicher Anstieg verzeichnet. Das schlimme Ende kommt nun nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen aber für die Franzosen noch, wenn die teuren Tankrabatte und Subventionen für Strom auslaufen, weil sich das hoch verschuldete Land sie sich nicht weiter leisten können wird.
Es ist die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank!
Über den eigentlichen Grund der hohen Inflation soll in der Tagesschau und bei anderen Medien offensichtlich weiter nicht gesprochen werden. Es ist die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank!
Man kann nur erneut unterschreiben, was die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) heute schreibt:
Die größte Illusion der vergangenen Jahre war wohl die Idee, man könne die Geldmenge beliebig ausdehnen, ohne Inflation auszulösen. Lange Zeit schien die wundersame Geldvermehrung tatsächlich keinen Preisauftrieb zu bewirken. Das verdankte sich aber vor allem dem Umstand, dass das viele neue Geld ausschließlich innerhalb des Bankensystems zirkulierte. Irgendwann fand es aber den Weg hinaus in die reale Welt, zu den Firmen und Haushalten. Und ab diesem Moment begannen die Preise zu steigen.
NZZ
Die EZB unter der unsäglichen Chefin Christine Lagarde musste quasi dazu geprügelt werden, endlich die Geldschwemme wenigstens einzudämmen. Von ihrer Aufgabe, für Geldwertstabilität mit einer Inflation von zwei Prozent zu sorgen, hat man sich in Frankfurt längst verabschiedet.
Deshalb gab es auf der letzten EZB-Zinssitzung nur eine sehr zaghafte Abkehr mit wolkigen Absichtserklärungen, wie wir hier deutlich gemacht haben.
Die wurden, als es dann erwartungsgemäß an den Finanzmärkten gerumpelt hat, auch eilig auf einer Krisensitzung zum Teil wieder zurückgenommen. Nichts genaues weiß man allerdings bei einer Notenbank nicht, die unter Führung von Lagarde wohl nicht auf eine Sandbank gelaufen ist, sondern auf ein Riff und nun beginnt das Schiff zu sinken.