Die kalifornische Ideologie Teil II

Seite 4: Cyborg-Herren und Robotersklaven

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Die Angst vor der rebellierenden "Unterschicht" hat jetzt die grundlegendste Überzeugung der kalifornischen Ideologie zersetzt: ihren Glauben an das emanzipatorische Potential der neuen Informationstechnologien. Obwohl die Anhänger der elektronischen Agora und des elektronischen Marktes die Befreiung der Individuen von den staatlichen Hierarchien und privaten Monopolen versprechen, läßt die soziale Polarisation der amerikanischen Gesellschaft eine noch beklemmendere Vision der digitalen Zukunft entstehen. Die Technologien der Freiheit werden zu Maschinen der Herrschaft.

Auf seinem Grundbesitz in Monticello erfand Jefferson viele ausgeklügelte Mittel für seinen Haushalt, wie beispielsweise einen "stummen Diener", der das Essen von der Küche in den Speiseraum brachte. Indem er die Kontakte mit seinen Sklaven durch Technik vermittelte, konnte dieser revolutionäre Individualist es vermeiden , der eigenen Abhängigkeit von der erzwungenen Arbeit seiner Mitmenschen ins Auge schauen zu müssen. Im späten 20. Jahrhundert wird Technik wieder dazu eingesetzt, um den Unterschied zwischen den Herren und den Sklaben zu verstärken.

Nach einigen Visionären wird die Suche nach einer Perfektionierung des Geistes, des Körpers und des Verstandes unvermeidlich zur Heraufkunft des Post-humanen führen - zu einer biotechnologischen Manifestation der sozialen Privilegien der virtuellen Klasse.

Während die Hippies Selbstverwirklichung als Teil der gesellschaftlichen Emanzipation betrachteten, suchen die High-Tech-Handwerker im zeitgenössischen Kalifornien die individuelle Selbstverwirklichung lieber in der Therapie, im Spiritualismus, in der Ausbildung oder anderen narzißtischen Zielen. Ihr Wunsch, in die geschützte suburbane Zone des Hyperrealen zu fliehen, ist nur ein Aspekt dieser tiefen Obsession am Selbst . Eingebettet in postulierte Fortschritte der "Künstlichen Intelligenz" phantasierte man über die Aufgabe der menschlichen Wetware, um lebendige Maschinen zu werden. Wie Virek und die Tessier-Ashpools in Gibsons "Sprawl"-Erzählungen glaubt man, daß einem ein gesellschaftliches Privileg Unsterblichkeit verleihen wird. Anstatt die Emanzipation der Menschheit zu prophezeien, kann diese Form des technologischen Determinismus nur eine Verschärfung der gesellschaftlichen Spaltung bieten.

Trotz dieser Phantasien bleiben die weißen Menschen in Kalifornien abhängig von ihren dunkelhäutigeren Mitmenschen in ihren Industrien, bei der Ernte, der Versorgung ihrer Kinder und der Pflege ihrer Gärten. Nach den Unruhen in Los Angeles fürchten sie mehr und mehr, daß diese "Unterschicht" eines Tages ihre Freiheit fordern wird. Wenn man sich auf menschliche Sklaven letztlich nicht verlassen kann, müssen mechanische erfunden werden. Die Suche nach dem Heiligen Gral der "Künstlichen Intelligenz" offenbart diesen Wunsch nach einem Golem - nach einem starken und loyalen Sklaven, dessen Haut wie die Erde gefärbt ist und dessen Innereien aus Sand bestehen. Wie in Asimovs Robotergeschichten stellen sich die Träumer der technischen Utopien die Möglichkeit vor, Sklavenarbeit durch unbelebte Maschinen zu realisieren. Aber obwohl Technologie Arbeitsleistung ersetzen oder erweitern kann, vermag sie niemals die Notwendigkeit zu ersetzen, daß Menschen diese Maschinen erfinden, erbauen und reparieren. Sklavenarbeit kann man nicht ohne jemanden verwirklichen, der versklavt wird.

In der ganzen Welt wurde die kalifornische Ideologie als eine optimistische und emanzipatorische Form des technologischen Determinismus angenommen. Aber diese utopische Phantasie der Westküste beruht auf ihrer Blindheit gegenüber - und Abhängigkeit von - der sozialen und rassischen Polarisation der Gesellschaft, in der sie entstanden ist. Trotz ihrer radikalen Rhetorik ist die kalifornische Ideologie pessimistisch, was wirklichen sozialen Wandel angeht. Anders als die Hippies kämpfen ihre Anhänger nicht um den Aufbau von "Ökotopia" und helfen nicht einmal dabei, den New Deal wiederzubeleben. Der soziale Liberalismus der Neuen Linken und der wirtschaftliche Liberalismus der Neuen Rechten sind hingegen zu einem unklaren Traum einer High-Tech-Version der "Jeffersonschen Demokratie" verschmolzen. Dieser Retrofaschismus könnte, großzügig interpretiert, die Vision einer kybernetischen "Frontier" darstellen, wo die High-Tech-Handwerker ihre individuelle Selbstverwirklichung entweder auf der elektronischen Agora oder auf dem elektronischen Marktplatz finden. Wie der Zeitgeist der virtuellen Klasse ist die kalifornische Ideologie aber gleichzeitig ein ausschließendes Glaubenssystem. Wenn nur wenige Menschen Zugang zu den neuen Informationstechnologien besitzen, kann die Jeffersonsche Demokratie eine High-Tech-Version der Plantagenökonomie des alten Südens werden. Wenn man die Mehrdeutigkeit der kalifornischen Ideologie berücksichtigt, ist ihr technologischer Determinismus nicht einfach optimistisch und emanzipatorisch. Sie ist gleichzeitig eine zutiefst pessimistische und repressive Zukunftsvision.