Diese Sicherheitslücke hätte den Reichsbürgern einen Sturm auf das Parlament erleichtert

Seite 2: Sicherheitslücken im Parlament: Wie der Bundestag Reichsbürgern in die Hände spielt

Die Razzia gegen Vertreter der Reichsbürgerszene am gestrigen Mittwochmorgen erregt die Gemüter, vor allem angesichts einer offenbar geplanten Erstürmung des Bundestags in Berlin.

Nach Angaben des Generalbundesanwalts besteht der Verdacht, "dass einzelne Mitglieder der Vereinigung konkrete Vorbereitungen getroffen haben, mit einer kleinen bewaffneten Gruppe gewaltsam in den Deutschen Bundestag einzudringen". Dies könne als Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund bewertet werden.

Tatsächlich waren Aktivisten in den vergangenen Jahren immer wieder in den Bundestag gelangt, teilweise mit Hilfe von Vertretern der Oppositionsfraktionen. Doch gibt es eine andere offene Flanke, über die innerhalb und außerhalb des Hohen Hauses kaum jemand spricht: Nach Telepolis-Informationen vermisst die Bundestagsverwaltung hunderte, womöglich tausende Hausausweise ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Auf Anfrage von Telepolis könnte die Bundestagspressestelle am Mittwoch binnen Tagesfrist zunächst nicht beantworten, wie viele dieser Ausweise nach Ende der Tätigkeit der Inhaber abgegeben worden sind.

Dabei hatte die Zentrale Ausweisstelle in den vergangenen Wochen und Monaten massenhaft Briefe versandt, um die kreditkartengroßen Ausweise mit Sicherheitschip zurückzuverlangen. Diese Schreiben gingen bei ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mitunter Jahre nach Ende der Tätigkeit ein.

Der Autor dieses Textes selbst erhielt ein solches Schreiben 90 Wochen nach Ende eines Anstellungsverhältnisses im Parlament. Kein Einzelfall, wie andere Ehemalige aus dem Bundestag bestätigen.

Ich war in der 18. Wahlperiode für zwei Jahre als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einer Abgeordneten einer damaligen Oppositionspartei tätig. Mein Bundestagsausweis war aber für die gesamte Legislaturperiode gültig. Niemand forderte den Ausweis von mir zurück, so dass ich zwei Jahre lang völlig unbehelligt nach Lust und Laune in die Bundestagskantine oder zu Anhörungen in den Sitzungswochen gehen konnte.

Ehemaliger Bundestagsmitarbeiter gegenüber Telepolis

Eine andere Ex-Mitarbeiterin erhielt ein Rückforderungsschreiben erst rund drei Jahre, nachdem sie aus dem Parlament ausgeschieden war. In einem weiteren Fall ging die Forderung einem inzwischen Verstorbenen zu.

Dabei hätte solche Sicherheitslücke längst geschlossen werden sollen, nachdem Anfang 2021 Aktivisten von Abgeordneten der AfD-Fraktion in das Reichstagsgebäude eingeschleust worden waren und Abgeordnete verbal attackiert hatten.

Solche Schreiben erreichten ehemalige Bundestagsmitarbeiter mitunter erst nach Jahren, auch Verstorbene wurden angeschrieben.

Seither hat sich die Sicherheitslage nicht verbessert, ganz im Gegenteil: Unter den nun Festgenommenen befindet sich auch die Berliner Juristin Birgit Malsack-Winkemann, die für die AfD von 2017 bis 2021 im Bundestag saß. Als Ex-Mandatsträgerin kann sie über einen sogenannten Ehemaligenausweis ohne weitere Probleme in die Gebäude des Bundestags gelangen. Das wiegt schwer, weil Mitglieder des "militärischen Arms" der Verschwörer offenbar Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet hatten – und der Bundestag ein konkretes Ziel war.

Und selbst ehemalige Mitarbeitende mit ungültigen Ausweisen könnten noch in die Gebäude gelangen: Wenn viele Menschen auf einmal die Sicherheitsschleuse passieren, genügt mitunter das einfache Vorzeigen des Ausweises, ohne elektronisch einzuchecken. In Form und Farbe lassen sich die Karten der letzten und der aktuellen Wahlperiode nicht unterscheiden.

Obwohl nach den letzten Zwischenfällen im und am Bundestag zugesichert worden war, die Sicherheitsvorkehrungen zu verbessern, wurden bis heute noch nicht einmal die Grundlagen dafür geschaffen.

Nach Telepolis-Informationen sind in der Zentralen Ausweisstelle der Bundestagspolizei derzeit lediglich zwei Mitarbeiterinnen für die Kontrolle tausender Hausausweise für Mitarbeiter und externe Kräfte zuständig. Eine organisierte Rückmeldung über Arbeits- und Vertragsverhältnisse von Personalreferat gibt es nach Aussagen Verantwortlicher nicht.

Zwar werden die einzelnen Ausweise in einer Datenbank erfasst, die gibt aber keine Rückmeldung, wenn der Ausweisträger seine Zugangsberechtigung verliert. Aber immerhin eine Datenbank: In der Schlüsselstelle das Deutschen Bundestags wurden die Namen bei der Ausgabe der Schlüssel zuletzt noch auf kleinen Pappkarten vermerkt und in alte, hölzerne Karteikartenschränke händisch einsortiert.

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