Diese Steinmeier-Rede war ein Flop: nach außen und nach innen

Schöner Leuchter, links. Bild: bundespraesident.de (Screenshot)

Themen des Tages: Wie die einsamen Rufe des Bundespräsidenten in der Krise verschallen. Wie die ARD "Westsplaining" betreibt. Und wie die Inflation in die Höhe schnellt.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Der Bundespräsident appellierte an die nationale Einheit, wurde von Bundeskabinett aber boykottiert.

2. Die ARD arbeitet sich mit einem Themenabend an den Ostdeutschen ab, will sie verstehen und scheitert damit.

3. Die Inflation hat einen neuen Rekordwert erreicht.

Doch der Reihe nach.

Rekordinflation und eine überforderte EZB

Die Inflationsrate in Deutschland wird nach neuen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im zu Ende gehenden Oktober wohl auf 10,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat steigen. Im September hatte sie bereits zehn Prozent erreicht. Die Verbraucherpreise steigen gegenüber September 2022 voraussichtlich um 0,9 Prozent, so das Bundesamt.

Telepolis-Autor Ralf Streck berichtet vor diesem Hintergrund, dass die Europäische Zentralbank (EZB) hat angesichts der Rekordinflation, die in der gesamten Eurozone im September schon auf offizielle 9,9 Prozent gestiegen ist, einen nächsten großen Zinsschritt beschlossen und kündigt weitere Zinserhöhungen an.

Der Leitzins wird zum dritten Mal in diesem Jahr erhöht, diesmal von 1,25 auf 2,0 Prozent. Damit folgt die EZB erwartungsgemäß, allerdings stark verspätet, den Zinsschritten der US-Notenbank (Fed) und erhöht ebenfalls zum zweiten Mal in Folge den Leitzins sogar um 75 Basispunkte.

Haltung zu Russland: Wie eine Ost-Journalisten an Ostdeutschen scheitert

Die ARD macht sich Sorgen um die Ostdeutschen. Die wollen der gesamtdeutschen Vorgabe nämlich nicht folgen, immer kompromissloser alle Brücken nach Russland abzubrechen. Nicht zu reden. Sondern konventionelle, aber immerhin schwere Waffen zu liefern, für den Kampf gegen eine Atommacht. Telepolis-Autor Rüdiger Suchsland hat sich den ARD-Themenabend dazu angeschaut. Auch die Performance der Kollegin Jessy Wellmer, die aus dem Osten kommt, aber sich in "Westsplaining" versucht:

Jessy Wellmer? Ja genau, die Sportschaumoderatorin, die im Duett mit Bastian Schweinsteiger das erste Jogi-Löw-Interview nach seinem letzten Spiel als Bundestrainer so grandios versemmelt hatte ("Bereuen Sie was?"), dass nun bei der kommenden WM in Katar eine andere Frau mit "Schweini" sprechen muss. Sie firmiert jetzt als Filmemacherin und Expertin für Ost-Mentalität, wohl nicht zuletzt, weil sie selbst noch in der DDR geboren ist, aber mit beiden Hirnhälften fest auf dem Boden westdeutscher USA-Liebe steht.

Rüdiger Suchsland

Das ist, wie er befindet, ziemlich in die Hosen gegangen.

Neues Strafrecht zu Volksverhetzung: Das sagen die Bundestag-Dissidenten

Mit einer halbgaren Strafrechtsverschärfung zur Rechtfertigung von Völkermord und Angriffskriegen befasst sich heute noch mal Telepolis-Redakteurin Claudia Wangerin.

Sie geht den Fragen nach, warum sich ein fraktionsloser Abgeordneter bei der Abstimmung zur Gesetzesverschärfung enthielt, wieso die Linksfraktion fast vollständig dagegen stimmte – und wie die AfD ihre Ablehnung begründet. Wangerin dazu:

Könnte eine Twitter-Diskussion darüber, ob Wortspiele wie "Putler" seit dem Ukraine-Krieg angemessen sind oder doch in Richtung Holocaust-Relativierung gehen, vielleicht in Zukunft damit enden, dass die Diskutanten sich gegenseitig anzeigen?

Die Antworten finden Sie hier.

Rede an die Nation: Der hilflose Rundumschlag des Bundespräsidenten

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat 45 Minuten geredet und die Bundesbürger auf eine schwierige Zukunft eingestimmt. Dies sei eine Folge des Kriegs in der Ukraine. "Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu", so der Sozialdemokrat mit ruhender Parteimitgliedschaft in seiner Rede an die Nation. An entscheidender Stelle aber verhallte sie: Das Bundeskabinett und auch sein Genosse Olaf Scholz (SPD) blieben der Rede fern.

Auch nach diesem Winter wird es laut Steinmeier "kein einfaches Zurück zum Davor" geben: "Jeder Mensch in unserem Land, der am 24. Februar aufwachte und die Bilder sah von Raketeneinschlägen in Kiew, von Panzerkolonnen auf ukrainischen Straßen, von der russischen Invasion auf breitester Front – jeder, der mit diesen Bildern erwachte, wusste: An diesem Morgen war die Welt eine andere geworden."

Und darin liegt die erste elementare Fehleinschätzung des Bundespräsidenten, die gleichsam für einen Grundirrtum des kollektiven Westens steht: Denn nur für Europa und die Nato hat sich die Lage geändert.

Denn Panzerkrieg mit "MlAI Abrams" und M2A2 sowie M3A2 Bradley-Panzerfahrzeugen kennen die Iraker aus der Operation Desert Storm der US-Armee.

Die Angst vor Luftangriffen kennen serbische Zivilisten aus dem Nato-Krieg.

Den Terror von bewaffneter US-Drohnen kennen die Afghanen – ebenso wie verbrannte Zivilisten, unter ihnen viele Kinder, nach der Bombennacht von Kundus.

Zukunftsangst und Sorge um die wirtschaftliche Überleben kennt eine Mehrheit der Menschen im Globalen Süden, der die strukturellen Probleme der kolonialen Ausbeutung nie überwinden konnte.

In all diesen Regionen der Welt, die ungleich größer sind als der Einflussbereich des Nordatlantikpaktes – und ungleich bevölkerungsreicher – kann diese Weltsicht des deutschen Bundespräsidenten nur zynisch wirken. Nach außen ist die Rede also ein Flop gewesen.

Und auch nach innen. Denn die Mitglieder des Regierungskabinetts blieben der Rede fern. Entweder, weil sie ihr keine Bedeutung beigemessen haben, oder weil Steinmeier mit seinem "Spinnennetz an Russland-Kontakten" (Andrej Melnyk) nicht mehr wohlgelitten ist.

Und auch die Nation dürfte diese "Rede an die Nation" ratlos zurücklassen. Denn die meisten Menschen hierzulande sehen sich – erstmals auch bis weit in die Mittelschicht hinein – wachsenden wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Problemen gegenüber. Sie spüren die rauen Zeiten, von denen der Bundespräsident gesprochen hat. Jetzt schon. Tag für Tag.

Die schnelle Entlastung, die Kanzler Scholz versprochen hat, bleibt indes aus. Dafür kommen überheblich wirkende Tipps von überdurchschnittlich gut abgesicherten Berufspolitikern. Dem ehemaligen Bundestagspräsidenten und CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble etwa, der zu den Sorgen vor steigenden Strom- und Heißkosten lakonisch anmerkte: "Dann zieht man halt einen Pullover an."

Das alles wirkt wenig überzeugend und lässt vermuten, dass uns noch viel bevorsteht. Die Durchhalteparolen und Kommentare, aus denen eine Dann-sollen-sie-doch-Kuchen-essen-Attitüde spricht, machen alles noch viel schlimmer.

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