Diktatur oder Demokratie in Krisenzeiten?

Seite 3: Die Freiwilligkeit als Sargnagel

Thomas Brussig: Wenn ich mit der These "Mehr Diktatur wagen" aufgetreten bin, dann schreckt es mich nicht, wenn Sie das als undemokratisch brandmarken. Wir sind länger als nötig in diesem nervenden und auch gefährlichen Zustand belassen worden, und da setzt meine Überlegung an. Ich bin ja nur ein einfacher Schriftsteller vom Lande, ich kann auch nicht sagen, was im Einzelnen genau richtig gewesen wäre.

Die Corona-Warn-App ist die durch die übliche Bedenkenträgerei so zerredet worden, dass man in der tatsächlichen Nutzung weit weg war von dem, was für eine Wirksamkeit nötig gewesen wäre. Wenn die Freiwilligkeit aber der Sargnagel für den Erfolg war, dann sollten wir dieses Problem angehen, indem man die App in bestimmten Zusammenhängen verbindlich macht.

Timo Rieg: Auf meine Frage, woher wir nun wissen sollen, was die richtige Entscheidung sei, etwa zur Nutzung einer Corona-Warn-App, gehen Sie nicht ein, ich belasse es mal dabei. Also folge ich Ihnen mal und akzeptiere, man sollte der Wissenschaft folgen, aus der es dann eben auch heißt, die Corona-Warn-App wäre gut für uns alle. Wer entscheidet denn, was "die Wissenschaft" ist?

Wir haben doch auch dort alle möglichen Perspektiven, wie in der Gesellschaft insgesamt. Nehmen wir nur mal die Kosten für egal welche Maßnahmen, ob nun eine Corona-Warn-App oder einen Lockdown.

Egal, was die Politik verordnet, es kostet Geld. Zum einen steht dieses Geld nicht mehr für andere Dinge zur Verfügung, das müssten schon mal der Ehrlichkeit halber und für den demokratischen Prozess benannt werden. Um es zuzuspitzen, wofür es auch viele Modellrechnungen aus der Wissenschaft gibt: Wenn wir mit einem Lockdown X Lebensjahre gewinnen, weil Menschen nicht sterben, fehlt uns gleichzeitig das Geld für medizinische Innovationen, um Y Lebensjahre von Menschen zu retten.

Und da haben wir die vielen finanziellen Folgewirkungen von egal welchen Maßnahmen noch gar nicht mit in der Rechnung, also z.B. geringere Steuereinnahmen. Mit dem Lockdown wurde z.B. vieles unmöglich, was wir bisher für dringend notwendig erachtet hatten. Etwa dass die Freiwilligen Feuerwehren das Löschen und Retten üben - war verboten, wegen Kontaktbeschränkung. Arzneimittelstudien an menschlichen Probanden waren ausgesetzt, weil sie mit den Corona-Schutzmaßnahmen nicht vereinbar waren.

Es leiden und sterben also Menschen, weil die Politik in einer bestimmten Weise das Corona-Virus bekämpft. Wer sagt da, was richtig und was falsch ist? Vielleicht ist eine einzelne Ansteckung in Relation zu all dem anderen, was davon abhängt, doch Peanut, und vielleicht ist der Datenschutz an irgendeiner Stelle gerade kein Peanut, weil sich Dinge verändern, die gar nicht im Blick waren?

Wenn Ihre Corona-Diktatur entscheiden soll, was richtigerweise zu tun ist, dann brauchen Sie doch schon mal die gesamte Wissenschaft, mit allen Disziplinen, nicht nur die Virologen, sondern auch Ökonomen, Soziologen, Psychologen, Ethologen, und dann wäre die Gesellschaft in ihrer Vielfalt mit ihren ganz unterschiedlichen Interessen noch lange nicht vertreten. Wie wischen Sie das jetzt vom Tisch und sagen, nur die Virologie oder irgendeine Physik mit Modellrechnungen an neuronalen Netzwerken entscheidet, was zu tun ist?

Thomas Brussig: So absolut würde ich das nicht sehen. Der Virologe Hendrik Streeck hat vorgeschlagen, dass verschiedene Wissenschaftsdisziplinen an einem Tisch sitzen sollten. Aber da die Herausforderung durch ein Virus geschaffen wurde, ist die Meinung von Virologen und Medizinern ganz wichtig.