Dschihad als Familientradition
Seite 2: Was ist das Problem?
Den Salafismus kennzeichnet eine rigide Auslegung des Islams. Der Koran gilt über jeden Zweifel erhaben als das direkte und somit unverrückbare Wort Gottes, das dem Propheten Mohamed vor etwa 1.400 Jahren mittels der Erzengel verkündet wurde.
Da er der direkte Empfänger war, gilt Mohameds Lebensführung als vorbildlich und vor allem verbindlich. Als Leitfaden für das rechtgeleitete Leben gilt das Leben Mohameds und seiner rechtschaffenen Gefährten und deren nächste Nachfahren in der besonders frommen Zeit der Vorbilder, die salafis heißen.
"Rechtgeleitet" umfasst alle Bereiche des Lebens, die Scharia bildet das dafür notwendige Normen-, Werte- und Rechtssystem, dem sich ausnahmslos alle Menschen unterzuordnen haben. Zum Kern gehört das Familienrecht, mit dem die Frauen komplett unterworfen, aber auch Männer auf Gedeih und Verderb in das System eingebunden werden.
So mancher Salafist möchte diesem Normen-, Werte- und Rechtssystem auf der ganzen Welt Gültigkeit verschaffen und ein nicht unerheblicher Teil der Salafisten - die Dschihadisten - ist bereit, dafür auch brachiale Gewalt anzuwenden. Der Islamische Staat (IS) wollte dieses System im auf syrischem Gebiet ausgerufenen Kalifat in Raqqa sozusagen in Reinkultur umsetzten.
Davon fühlten sich Menschen, darunter sehr viele Jugendliche, aus aller Welt und auch aus Deutschland angezogen. Laut Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) reisten seit 2012 etwa 930, meist jugendliche Personen ins IS-Kalifat aus. 20 Prozent der Ausgereisten waren weiblich, das sind immerhin knapp 200 Mädchen und junge Frauen, die es heim in "Allahs Reich" zog.
Die SZ konkretisierte: "Eine BKA-Auswertung ergab im Jahr 2016, dass von 784 Syrien-Reisenden 290 zum Zeitpunkt ihrer ersten Ausreise bereits Kinder hatten. Unter den 56 registrierten Minderjährigen, die auf die Reise gingen, waren 22 junge Mädchen."
Die "verfolgte Unschuld"
Der IS gilt unterdessen in Syrien und im Irak weitestgehend als zerschlagen, viele der Ausgereisten gerieten in Gefangenschaft, darunter auch Frauen und ihre Kinder. Die zuständigen Behörden gehen von etwa 300 Kindern aus, die das Recht hätten, in Deutschland einzureisen.
Laut der Neuen Westfälischen gelten allein in Nordrhein-Westfalen etwa 3.000 Personen als "Salafisten", 350 davon sind weiblich:
Wie das NRW-Innenministerium jetzt auf eine Anfrage der Grünen im Landtag mitteilte, sind unter den 253 Gefährdern elf Frauen und unter den 134 sogenannten "relevanten Personen", das sind solche, die als Unterstützer der Gefährder gelten, ist sogar inzwischen jede vierte weiblich. In beiden Gruppen hat die überwiegende Mehrheit die deutsche Staatsangehörigkeit.
Unter den 255 Personen, die nach aktuellen Erkenntnissen aus NRW in die dschihadistischen Kampfgebiete in Syrien und im Irak ausgereist sind, ist inzwischen nahezu jede dritte weiblich. 86 Prozent der ausgereisten Frauen und Mädchen sind unter 30 Jahren alt. Zurückgekehrt sind nach den Erkenntnissen der Staatsschutzbehörden bisher 75 Personen, darunter 15 Frauen und Mädchen.
Neue Westfälische
Die im Irak inhaftierten Frauen weisen in den meisten Fällen jede Schuld von sich; sie hätten nur den Haushalt geführt, die Kinder erzogen, etc. . Bekannte Beispiele sind Linda W. aus der sächsischen Pfefferkuchenstadt Pulsnitz, die als 15jährige nach Syrien ausgereist ist, oder Lamia K. und deren Tochter Nadja P. aus dem baden-württembergischen Mannheim sowie Fatima M. aus dem ostwestfälischen Detmold. Sie alle wollen an den Gräueltaten des IS nicht beteiligt gewesen sein.
Doch wie glaubhaft ist das? Linda W. wurde im Sommer 2017 in einem Tunnelsystem unter der Altstadt der irakischen Stadt Mossul zusammen mit 19 weiteren ausländischen Dschihad-Anhängerinnen aufgespürt. Einige Monate später wurde sie in Bagdad wegen Mitgliedschaft beim IS und der illegalen Einreise in das Land zu 6 Jahren Haft verurteilt.
Nach der Trennung ihrer Eltern fiel sie in ein Loch, kam zufällig mit dem Thema "Islam" in Berührung und, so schreibt es Die Zeit:
In Sachsen, vor ihrer Flucht, hat sie Texte von radikalen Vorbetern wie Sven Lau oder Pierre Vogel gelesen, sie hat gehört, dass aufrechte Muslime angeblich in ein Land ziehen sollen, wo die Scharia gilt. Als sie auf Facebook ein fremder Mann kontaktiert und auffordert, sich ein Flugticket nach Istanbul zu kaufen, fälscht sie die Unterschrift ihrer Mutter, geht in ein Reisebüro und bucht ein Ticket.
Die Zeit
Lamia K. war 47, ihre Tochter Nadia P. 17, als sie 2014 mit ihr ins IS-Kalifat nach Syrien zog. Mutter und Tochter sind inzwischen beide im Irak zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Zu Unrecht, wie Lamia K. sagt.
Fatima M. soll, wie auch Linda W., Lamia K., Nadia P. und die im Juli 2017 in dem Tunnelsystem in Mossul entdeckten Frauen, zu den berüchtigten Al Khansar-Brigaden gehört haben, einer weiblichen Sittenpolizei des IS. Ihnen wird vorgeworfen, auf Einhaltung der Vollverschleierung geachtet und bei Zuwiderhandlung die betreffenden Frauen ausgepeitscht und gefoltert zu haben. Anfang 2018 wurde Fatima M. zu einem Jahr Haft und 400 Dollar Geldstrafe verurteilt.
Alle vier Frauen wollen zurück nach Deutschland. Hier würde sie dann ein neuer Prozess erwarten.
Doch wegen welcher Vergehen sollen die Behörden sie anklagen? Die Frauen geben sich als völlig Unbeteiligte, die typische Hausfrau halt, bloß eben im IS-Kalifat. Die irakischen Behörden sehen das erwiesenermaßen anders.