EU-Kommission: (Diese) Industriepolitik ist Rüstungspolitik

Seite 3: "Schlüsselthema Digitalisierung"

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Überhaupt gilt die Digitalisierung als ein Schlüsselthema gegenwärtiger militärischer Planung und Rüstung. So veröffentlichte das Bundesverteidigungsministerium im Oktober 2019 seinen ersten Bericht zur Digitalen Transformation der Bundeswehr. In der Einleitung heißt es dort: "Unter Digitalisierung versteht der Geschäftsbereich BMVg die zielgerichtete Identifikation und das konsequente Ausschöpfen von Potenzialen, die sich aus digitalen Technologien ergeben. Folglich geht Digitalisierung über die Einführung technischer Innovationen weit hinaus. Sie beeinflusst die gesamte Handlungs- und Denkweise im Geschäftsbereich BMVg". Etwas konkreter wird es an anderer Stelle:

Die Digitalisierung ermöglicht eine optimierte Kampfweise der Landstreitkräfte ('verteiltes Operieren'). Das bedeutet, aus der streitkräfteübergreifenden weitreichenden Überwachung großer Räume kommend, durch Verknüpfung aller Sensoren in einem gemeinsamen Lagebild ('gläsernes Gefechtsfeld') und abgestützt auf eine umfassende Vernetzung aller Sensoren und Wirkmittel ('Sensor to Shooter Konzept'), können digitalisierte Landstreitkräfte stets eine zeitgerechte und angemessene Gegenkonzentration streitkräfteübergreifend abrufen.

Mit anderen Worten: Die Digitalisierung ist eine Voraussetzung dafür, dass es den Landstreitkräften ermöglicht wird, mit dem gleichen Kräfteansatz von 'heute' ihre Aufträge von 'morgen' bzw. 'übermorgen' effizienter und effektiver erfüllen können". Zum "Innovationsthema Künstliche Intelligenz" wird dann nocheinmal genauer ausgeführt: "Besonders die verschiedenen, auf maschinellem Lernen basierenden Anwendungen schwacher KI bieten in den Bereichen einen Vorteil, bei denen große Datenmengen ausgewertet und zu Empfehlungen für menschliche Entscheider verdichtet werden können. Für die Bundeswehr wird KI einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung des Auftrages leisten.

Erster Bericht zur Digitalen Transformation des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung

Angesichts der Relevanz von Digitalisierung und KI fällt allerdings auf, dass es auf deutscher Seite eigentlich kaum Unternehmen gibt, die mit Thales und Atos vergleichbar wären. Einerseits spielt Deutschland inzwischen die maßgebliche Rolle bei Airbus und damit jenem Unternehmen, welches die Satellitenkommunikation der Bundeswehr stellt und an dem als "Systemintegrator" kaum ein großes, deutsches oder europäisches Rüstungsprojekt vorbeikommen dürfte.

Auf der anderen Seite steht eine Vielzahl - im Vergleich zu Atos und Thales - eher kleinerer, spezialisierter Unternehmen, die einzelne Komponenten liefern und hier teilweise Weltmarktführer sind. Dazwischen versucht sich Rheinmetall seit einigen Jahren als besonders innovatives und kompetentes Unternehmen in Sachen Digitalisierung zu präsentieren, muss sich die hierfür nötigen Kapazitäten aber erst mühsam erarbeiten - ohne sich aber voll hierauf zu konzentrieren und z.B. die anderen Sparten abzustoßen.

Zuletzt haben Unternehmen wie T-Systems, Siemens, die Automobilindustrie und ihre Zulieferer entsprechende Kompetenzen und keine Berührungsängste zur Rüstungsindustrie, keines von ihnen ist jedoch so präzise auf die aktuellen militärischen Bedürfnisse - und ihre zivilen Schnittstellen - zugeschnitten wie Thales und Atos. Keines von ihnen wurde so präzise und strategisch aufgestellt, wie die Konzerne Thales und Atos unter Bretons' Leitung.

Das hat sicherlich auch mit der unterschiedlichen industriepolitischen Kultur zu tun, die in Frankreich traditionell deutlich interventionistischer ausgeprägt ist und dadurch politisch gesteuerte Unternehmensfusionen erleichtert, die man in Frankreich gerade in der Rüstung gerne mal dadurch erleichterte, indem es Mehrheitsanteile an den jeweiligen Unternehmen erwarb oder hielt.

Doch Deutschland will hier offenbar nachziehen, wie die im Februar 2019 veröffentlichte "Industriestrategie" des Wirtschaftsministers Altmaier nahelegt. Darin wird festgestellt, "Deutschland [müsse] seine unternehmerischen, wissenschaftlichen und politischen Kräfte im Bereich der Künstlichen Intelligenz bündeln", um "Wettbewerbsfähigkeit und Industrie-Führerschaft auf nationaler, europäischer und globaler Ebene". Hierzu fordert er einen erweiterten "Spielraum des Staates für aktive und aktivierende Gestaltung", die "bis zur zeitlich befristeten Übernahme von Anteilen oder Gewährung von Beihilfen gehen" könne:

Bei den überragend wichtigen Fragen von Plattformökonomie, Künstlicher Intelligenz und Autonomem Fahren erscheint ... - wie seinerzeit im Falle von Airbus - eine unmittelbare staatliche Beteiligung zur Erreichung des Ziels erforderlich und gerechtfertigt (KI-Airbus).

Nationale Industriestrategie 2030 - Strategische Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik

Konkurrenz oder Partnerschaft?

Insofern ist durchaus fraglich, ob die Ernennung Bretons in Berlin als Chance oder Bedrohung wahrgenommen wird. Denn schon der Arbeitstitel "KI-Airbus" weist darauf hin, dass die Bundesregierung auch hier den Aufbau eines deutsch-französisch geführten Global Players anstrebt. Hierfür scheint Breton einerseits der richtige Mann zu sein. Andererseits könnte er auch als Gefahr gesehen werden, dass die französische Seite hierbei zu mächtig wird.

Wie gesagt sind auf deutscher Seite durchaus Kompetenzen da, zum Beispiel im Bereich der Sensorik bei Unternehmen wie Zeiss und Bosch. Bosch führt vor Porsche/VW zugleich die Weltrangliste bei Patenten zum autonomen Fahren an, das in vielen Bereichen Parallelen zu militärischen KI-Anwendungen aufweist. Ob sich diese Unternehmen allerdings so leicht in einen Konzern bzw. ein Konsortium überführen lassen, das hierauf spezialisiert ist, bleibt abzuwarten.

Als besondere Kompetenz wird in Deutschland allerdings die (wissenschaftliche) Forschung erachtet. So belegte die Fraunhofer-Gesellschaft unter den außeruniversitären Forschungsinstituten den ersten Platz unter den von FP7 und Horizon2020 geförderten Einrichtungen. Im Bereich der KI befindet sich Deutschland in Rankings weltweit auf Platz fünf, wenn es um Forschung ginge, aber nur Platz sieben in Bezug auf Anwendungen. Sehr ähnlich formuliert dies die Industriestrategie Altmaiers:

Im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) sind wir in der Forschung noch in guter Position. Bei der Kommerzialisierung praktischer Anwendungen besteht jedoch bereits erheblicher Nachholbedarf.

Nationale Industriestrategie 2030 - Strategische Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik

Dieses "Problem" versucht die Bundesregierung jedoch aktuell anzugehen und hierfür die Wissenschaft zu mobilisieren. In ihrem Koalitionsvertrag sind verschiedene Maßnahmen vorgesehen, um den Wissenstransfer von der Forschung in die Industrie zu beschleunigen. Hierzu sollen rechtliche Barrieren für Forschungskooperationen abgebaut und der Aufbau von Forschungscampi als gemeinsame Einrichtungen von Wissenschaft und Wirtschaft vorangetrieben werden. Geplant ist außerdem der Aufbau eines deutsch-französischen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz.

Auch an den Transfer explizit in Militär und Rüstung wurde gedacht. Hierzu hat das BMVg unter anderem 2017 den "Cyber Innovation Hub" ins Leben gerufen, welcher "durch gezielte Marktbeobachtung und Innovations-Scouting neue Ideen und existierende Lösungen identifizieren, experimentell in Zusammenarbeit mit Nutzern validieren und entwickeln lassen [soll] mit dem Ziel, diese digitalen Innovationen der Bundeswehr kurzfristig verfügbar zu machen". Denn wesentliche Impulse für militärische Innovationen werden von zivilen Märkten und der Forschung im Dual-Use-Bereich erwartet. So heißt es etwa im aktuellen Positionspapier des Amts für Heeresentwicklung unter dem Titel "Künstliche Intelligenz bei den Landstreitkräften":

In stark automatisierten und autonomen Systemen definiert sich die Überlegenheit ganz wesentlich über die Qualität der Algorithmen, der Rechenleistung und den Grad der Miniaturisierung. ... Da diese Komponenten praktisch komplett auf Dual-Use beruhen, bestimmt die Geschwindigkeit der zivilen Entwicklungen auch das Tempo des Wettrüstens im internationalen Umfeld

Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften

Deshalb sei für die Bundeswehr die "die Nutzung von Dual-Use-Produkten und Anwendungen sowie neusten zivilen Forschungsergebnissen der Schlüssel zur Schaffung von bezahlbaren und konkurrenzfähigen Lösungen". Ziel ist es deshalb, so der Bericht des BMVg zur Digitalen Transformation, "sowohl in der Zusammenarbeit zwischen den Bundesministerien als auch in Kooperation mit Wirtschaft und Wissenschaft Synergieeffekte zu nutzen".

Wie positioniert sich die Wissenschaft?

Es wird sich zeigen, wie weit die Wissenschaft bereit ist, sich in die rüstungspolitische Strategie einbinden zu lassen. Die industriepolitisch motivierte Förderung der KI-Forschung jedenfalls trifft beispielsweise im Forschungsverbund "Cyber Valley" auf große Begeisterung. Beteiligt sind hier neben den Universitäten Stuttgart und Tübingen die Max-Planck-Gesellschaft sowie die Unternehmen Daimler, Porsche, BMW, ZF Friedrichshafen, IAV und Bosch sowie mit Amazon der Weltmarktführer in Sachen Cloud-Dienste.

Obwohl sowohl Amazon, als auch Daimler und ZF Friedrichshafen sowie Tochterfirmen von Porsche in der Rüstung tätig sind, werden dort militärpolitische Bezüge zur umfangreichen Förderung der KI-Forschung ausgeblendet. Gleichwohl bedient man sich einer industriepolitischen bzw. geopolitischen Argumentation, um deren Notwendigkeit zu begründen. Denn insbesondere die Beteiligung von Amazon ist in Tübingen, wo das Forschungsprojekt sein Zentrum hat und Amazon ein eigenes Entwicklungszentrum errichten will, alles andere als unumstritten. Entsprechend kamen bei der Sitzung des Planungsausschusses des Gemeinderates auch die schlechten Arbeitsbedingungen, das unökologische Geschäftsmodell und die Steuervermeidungsstrategien des Konzerns zur Sprache.

Das "Bündnis gegen das Cyber Valley" befürchtet darüber hinaus steigende Mieten, die Entwicklung neuer Überwachungstechnologien und eine Transformation in einen Rüstungsstandort. Trotzdem empfahl der Planungsausschuss dem Gemeinderat mit großer Mehrheit (und gegen das Votum des Ortsbeirates der Nordstadt, in dem der Forschungscampus entsteht) den Verkauf einer kommunalen Fläche für das Amazon-Entwicklungszentrum. Denn "ohne Amazon ist zu vermuten, dass die Anziehungskraft des Forschungsverbundes 'Cyber Valley' und des Technologieparks für internationale Spitzenforscher aus dem Bereich KI deutlich schwächer ausfallen wird", so die Vorlage der Stadtverwaltung. Damit sei auch die Innovations- und Technologieführerschaft Deutschlands und Europas gefährdet und deshalb stehe hier Tübingen in der Verantwortung.

Das ist primär eine industriepolitische Argumentation. Es stellt sich allerdings vor dem Hintergrund des neuen Portfolios des EU-Industriekommissars und der Personalie Thierry Breton die Frage, ob Industrie- und Rüstungspolitik - gerade im Bereich der Digitalisierung - überhaupt noch voneinander zu trennen sind.

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