EU-Vertragsänderung scheitert an Briten und Ungarn
Die deutsch-französische Haushaltsdisziplin soll nun über einen separaten Vertrag der 17 Euroländer umgesetzt werden
Eine Änderung der EU-Verträge, mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy den Euro retten wollten, ist beim EU-Gipfel in Brüssel gescheitert. Eine Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedsstaaten wird es nicht geben. Erwartungsgemäß war dafür vor allem der britische Premier David Cameron verantwortlich, aber auch Ungarn stellte sich quer. Schweden und Tschechien haben kein klares Mandat und wollen zunächst ihre Parlamente befragen. Es wird keine Euro-Bonds geben, die private Gläubigerbeteiligung an Staatspleiten wurde wieder gestrichen und der Internationale Währungsfonds (IWF) soll 200 Milliarden Euro zur Nothilfe erhalten.
"Es war nicht möglich, Einstimmigkeit zu erzielen", hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach stundenlangen Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs heute am frühen Morgen erklärt. Vom EU-Gipfel in Brüssel war zu vernehmen, dass sich Cameron ein Veto-Recht in allen Finanzfragen sichern wollte, um "die eigenen Interessen zu schützen". Zum Schutz der britischen Finanzindustrie wollte er sogar ein Veto-Recht für Abkommen, die nur die Eurozone betreffen.
Das sei inakzeptabel, hatte ein französischer Diplomat erklärt - und das ist verständlich. Wieso sollten die Briten zum Beispiel das Recht haben, einen Vorstoß der Euro-Zone in Fragen der Finanzmarktransaktionssteuer zu blockieren, gegen die sich Cameron zuletzt auch auf dem G-20-Gipfel in Nizza gewehrt hatte (G-20 unter dem Schatten Griechenlands und Italiens).
Die ist Teil der angestrebten Regelungen, die Merkel und Sarkozy umsetzen wollen. Sie hatten diese in einem Brief an den permanenten EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy dargelegt, um damit Defizite der Wirtschafts- und Währungsunion auszugleichen.
Nun darf man allerdings gespannt sein, wie sich in Deutschland die FDP angesichts des geplanten Vorstoßes zu einer Steuer auf Finanzmarktgeschäfte in der Euro-Zone verhalten wird. Hatte sie der Abgabe grundsätzlich zugestimmt, ist sie in dieser Frage längst wieder zurückgerudert. "Unsere Zustimmung zu einer Transaktionssteuer gibt es, wenn überhaupt, nur dann, wenn diese in allen 27 EU‑Ländern erhoben wird. Die Eurozone darf gegenüber den anderen EU‑Partnern nicht benachteiligt werden", hatte der neue FDP-Chef Philipp Rösler im Sommer erklärt. Er kann sich nun auf den Blockierer Cameron berufen, um in Deutschland die dringend notwendige Abgabe zu blockieren, die zur Regulierung der Finanzmärkte notwendig ist. Damit dürfte eines der wenigen positiven Momente der geplanten "Fiskalunion" wieder gekippt werden.
Plan B: Interessierte Länder dürfen sich anschließen
Merkel und Sarkozy haben nach Camerons Weigerung auf ihren Plan B umgeschaltet, wie er sich schon im Vorfeld abgezeichnet hatte (Zunächst ohne Euro-Bonds, aber mit automatischen Strafen?). Über einen separaten zwischenstaatlichen Vertrag, ähnlich dem Schengen-Abkommen zur Abschaffung der Grenzkontrollen - dem ebenfalls nicht alle EU-Mitglieder beigetreten sind -, soll nun die neue, von Berlin und Paris geforderte Haushaltsdisziplin in der Euro-Zone umgesetzt werden. Interessierte Länder - bisher sechs - dürfen sich anschließen. Wie aus dem Brief an Van Rompuy hervorgeht, stehen im Zentrum der Fiskalunion die automatischen Sanktionen, wenn gegen die Haushaltsdisziplin verstoßen wird.
Anders als bisher soll es demnach in Zukunft automatische Sanktionen gegen Defizitsünder geben. Bisher werden die nur umgesetzt, wenn sich eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten für Sanktionen ausspricht. Das soll nun umgedreht werden. Nach Ansicht Merkels und Sarkozys sollen Sanktionen nur noch verhindert werden können, wenn dies eine qualifizierte Mehrheit verhindert. Sehr bedenklich ist, dass man sich in Berlin und Paris vor allem auf ein Kriterium nach dem Maastrichter-Vertrag stürzt. Also sollen Sanktionen automatisch greifen, wenn ein Land im Jahr ein Haushaltsdefizit von mehr als 3% aufweist.
Der große Haken des Merkozy-Plans
Die zweite Defizitregel, wonach die Gesamtverschuldung nur 60% der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) betragen darf, wird erneut in den Hintergrund gedrängt, weil die beiden zentralen Akteure damit sofort Sanktionen gegen sich selbst beschließen würden. Es waren nicht nur Deutschland und Frankreich, die als erste Länder gegen die 3%-Regel verstoßen und damit andere Länder angespornt haben, es ihnen nachzutun, sondern seit vielen Jahren verstoßen beide Länder auch gegen die 60%-Regel.
Das Absturzland Link auf http://www.heise.de/tp/blogs/8/150962 riss dagegen Ende 2010 die wichtigere Staatsverschuldung von 60% nur knapp. Frankreich und Deutschland hatten aber schon deutlich mehr als 80% angehäuft. Sie standen in der Liste der Schuldenländer direkt hinter Irland und Portugal, die schon Nothilfe beantragen mussten.
Hier findet sich ein großer Haken der Vorstellung von Merkel und Sarkozy, die ganz auf die Lage von Deutschland und Frankreich zugeschnitten sind. Diese Vorstellungen sind in der derzeitigen Situation deshalb absurd. Warum sollten Länder mit einem öffentlicher Schuldenstand im Verhältnis zum BIP, wie Estland (6,7%), Bulgarien (16,3%), Luxemburg (19,1%), Rumänien (31,0%), die Tschechische Republik (37,6%), Litauen (38,0%), Slowenien (38,8%) und Schweden (39,7%), sich starr an eine 3%-Grenze halten? Angesichts einer Krise und einer Rezession wäre es für sie angesagt, um steigende Arbeitslosigkeit und ein Absturz der Konjunktur zu vermeiden, sie mit öffentlichen und gezielten Investitionen anzukurbeln.
Bestenfalls würde eine klare Verbindung beider Defizitziele, wie es einst längst geplant war, einen Sinn machen. Doch auch damit würde man in der derzeitigen Situation fast ganz Europa über die Austeritäts-Politik, die der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman Link auf http://www.heise.de/tp/blogs/8/147792 nennt, tief in die Rezession sparen. In Griechenland, Portugal und Dänemark kann das schon deutlich beobachtet werden, doch auch Zypern, Tschechien, Italien und Spanien sind schon auf diesem Weg und die Lage für Frankreich sieht ebenfalls nicht rosig aus, wo mit dem Sparen nicht einmal richtig begonnen wurde.
Woher soll das Wachstum kommen, um die Schulden zu bezahlen?
Wenn Merkel und Sarkozy eine "dauerhafte Stabilitäts- und Wachstumsunion" wollen, dann sollten sie sich das mit der Schuldenbremse und der strengen "Finanzdisziplin" noch einmal überlegen. Ob damit ein "nachhaltigeres Wachstums und größere Wettbewerbsfähigkeit" erreicht werden, darf stark bezweifelt werden. Eigentlich sind sich alle Experten einig, dass Staatsschulden real nur mit einem deutlichen Wachstum abgebaut werden können.
Griechenland ist schon das Beispiel, Portugal, Spanien und Italien werden es schnell zeigen, dass alle Sparprogramme nur der Bevölkerung Kaufkraft entziehen, die Konjunktur weiter schwächen, die Arbeitslosigkeit steigen lassen, was zu steigenden Belastungen der Sozialkassen und zu Kreditausfällen bei Banken führt. Die Banken geraten deshalb, wie in Spanien und Griechenland, immer deutlicher an den Rand des Abgrunds.
So ist es kein Wunder, wenn der Brief von Merkel und Sarkozy zur Frage der Wachstumsförderung sehr einsilbig ausfällt. Mehr als schwammig wird von "Politiken zur Förderung des Wachstums und eine effizientere Nutzung der europäischen Mittel in der Eurozone" gesprochen. Wie das funktionieren soll, darüber fällt kein Wort. Sollen etwa alle Länder das Heil im Export suchen wie Deutschland? Dabei ist das kurze XL-Exportwachstum in Deutschland längst in sich Link auf http://www.heise.de/tp/blogs/8/150315.
Anders war es auch nicht zu erwarten, wenn man aus Berlin die wichtigsten Handelspartner zu Sparprogrammen zwingt, wie es nun in Brüssel sogar in einen Vertrag gegossen werden soll. Sogar in Frankreich trägt die Opposition, die wohl im kommenden Jahr die Wahlen gewinnen wird, diese Politik von Sarkozy nicht mit. Das machte Hubert Védrine, ehemaliger Außenminister für die Sozialisten, im Link auf http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1623919 deutlich.
Deshalb wird Sarkozy auch die Schuldenbremse nicht vor den Wahlen im nächsten Jahr in der Verfassung verankern können und damit erneut kein gutes Beispiel für andere Länder sein. "In der deutsch-französischen Debatte fehlt deshalb ein Kompromiss zwischen einer notwendigen Gesundung der öffentlichen Finanzen - die fordert Deutschland zu Recht - und einer Politik für Wachstum in Europa, ohne die wir aus der Verschuldung nicht herauskommen werden", kritisiert Védrine. Er macht auch darauf aufmerksam, dass Europa auch etwas mit Demokratie zu tun hat und sich nicht nur über den Euro definiert.
Europas Zusammenhalt
Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel nun die angestrebte Fiskalunion schon als "sehr gutes Ergebnis" würdigt, dann hört sich das wie das berühmte Pfeifen im Walde an. Sogar ihr Parteikollege und EU-Energiekommissar Günther Oettinger spricht nicht von einem optimalen Ergebnis:
Ich bin vom Europa der zwei Geschwindigkeiten nicht sehr überzeugt.
Damit machte er auf eine gefährliche Entwicklung aufmerksam, die in Merkels und Sarkozys Vorstellung liegt (Basteln Merkel und Sarkozy weiter am Elite-Europa?). "Natürlich haben wir den Euro in 17 Mitgliedsstaaten, aber nahezu alle weiteren wollen eigentlich in die Euro-Zone, und jetzt laufen wir Gefahr, dass ein Teil der Mitgliedsstaaten sich bei vielen Fragen der Haushalts- und Stabilitätspolitik, auch der Wirtschaftspolitik entfernt vom Geleitzug der Mehrzahl", sagte er im Interview. Er kritisiert das Vorgehen, denn er glaubt, Lösungen müssten immer für alle EU-Staaten gelten.
Oettinger hatte auch vor dem Gipfel die Haltung von Merkel zu gemeinsamen Euro-Anleihen kritisiert. "Es kann sein, dass sie notwendig werden", sagte er. Er bezeichnete heute Eurobonds erneut als "einen Schlussbaustein" und in dieser hoffentlich erfolgreichen Konsolidierung Europas schließt er Eurobonds nicht aus. Er erwartet, dass Merkel ihre ablehnende Position noch ändern werde.
Schonung der Privatgläubiger und Kniefall vor den Ratingagenturen
Tatsächlich ist mit der Fiskalunion, die nach Ansicht Merkels nun Wirklichkeit werden wird, nichts gewonnen. Wie zum Beispiel abstürzende große Euro-Länder wie Italien oder Spanien aufgefangen werden sollen, ist weiter völlig unklar. Klar ist, dass die beim letzten Gipfel geplante Hebelung des Rettungsfonds (EFSF) auf eine Billion nicht gelingt. Deshalb soll, wie erwartet, der dauerhafte Rettungsfonds (ESM) auf 2012 vorgezogen werden, doch auch dessen Geldmittel sollen nicht ausgeweitet werden und bleiben damit unzureichend.
Die einst angedachte private Gläubigerbeteiligung an den Staatspleiten, die im ESM möglich werden sollte (Wie ein Krisenmechanismus zum Normalzustand mutiert), wird nun schon wieder gestrichen, bevor sie überhaupt zur Anwendung kam. "Hinsichtlich der Beteiligung des Privatsektors sollte der ESM-Vertrag angepasst werden, um deutlich zu machen, dass für Griechenland eine einmalige und außergewöhnliche Lösung erforderlich war", hatten Merkel und Sarkozy formuliert. Die bisherige Politik zur Privatgläubigerbeteiligung werde nicht mehr verfolgt, bestätigte auch Van Rompuy am frühen Freitag.
In ihrem Brief hatten "Merkozy" die "unumstößliche Entschlossenheit" bekräftigt, dass begebene Anleihen vollständig bedient werden. Es handelt sich dabei um einen Kniefall vor den Ratingagenturen, die vor dem Gipfel mit massiven Abstufungsdrohungen die Interessen ihrer Klienten auf die Tagesordnung des Gipfels gesetzt haben.
Hoffnung auf Washington und begrenzte Mittel
Die beiden Regierungschefs haben offenbar für die Euro-Zone nun das Prinzip Hoffnung durchgesetzt. Zudem weist man Washington wie erwartet eine bedeutendere Rolle in der Lösung der Euro-Krise zu. Denn als kurzfristige Antwort auf die Probleme im Euro-Raum sollen dem Internationalen Währungsfonds (IWF) weitere Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. "Die Euro-Länder und andere Mitgliedstaaten haben sich zum Ziel gesetzt, zusätzliche Mittel von bis zu 200 Milliarden Euro für den IWF bereitzustellen", sagte der EU-Ratspräsident. Van Rompuy will damit "die Krise angehen".
Dabei wird der IWF auch mit diesem Geld nicht einmal die Möglichkeit haben, Spanien aufzufangen, um vom Schuldenmeister Italien mit seinen Staatsschulden von 2 Billionen Euro nicht zu sprechen. Dabei will Merkel damit auch Geld für eine "zusätzliche Absicherung" für Länder schaffen, die nicht zur Euro-Zone gehören. Sie hat sich gegenüber Sarkozy durchgesetzt und es ist ihr gelungen, die Debatte um die Euro-Bonds weitgehend auszuklammern. Die wird es (zunächst) nicht geben, gab Van Rompuy ebenfalls bekannt.
Nach dem Krisen-Gipfel ist vor dem Krisen-Gipfel
Insgesamt darf man gespannt sein, ob dieses erneute Flicken auf dem Flickwerk Euro-Rettung wirklich zu einer Stabilisierung der Euro-Zone führt. Man darf vermuten, dass schon angesichts der Uneinigkeit in der EU die Nervosität nicht gebändigt werden kann. Da keine klare Lösung für die mögliche Rettung Italiens oder Spaniens gefunden wurde, wird trotz der Beteuerungen, alle Staatsanleihen bedienen zu wollen, das Vertrauen vor allem in Italien kaum gestärkt werden können. Schließlich ist die Summe einfach zu groß, um das real garantieren zu können.
Gezeigt hat sich das schon gestern, als der neue Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) deutlich gemacht hat, dass die umstrittenen Aufkäufe von Staatsanleihen bedrohter Länder nicht massiv ausgeweitet werden. Die Börsen gingen nach der Aussage von Mario Draghi am Nachmittag sofort deutlich in den Keller. Dazu stieg die Risikoprämie von Italien und Spanien wieder stark an. Italien ist mit einem Aufschlag von 480 Punkten wieder auf Absturzniveau. Die zehnjährigen Anleihen des Landes wurden erneut mit einem Zinssatz von fast 7% gehandelt, die Italien unmöglich bezahlen kann. So kann eigentlich erneut resümiert werden, dass nach dem Krisen-Gipfel vor dem Krisen-Gipfel ist.