EU drängt vor Ungarns Ratspräsidentschaft auf Ukraine-Beitritt
Verhandlungsbeginn mit Ukraine und Moldau noch im Juni forciert. Mutmaßlicher Grund für die Eile: Präsidentschaft unter Orbán. Ein Anwärter geht leer aus.
Demokratie im Eilverfahren: Die Europäische Kommission plant, noch in diesem Monat die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit der Ukraine zu empfehlen. Das berichtet die Financial Times (FT) unter Berufung auf drei mit der Angelegenheit vertraute Personen.
Der Schritt soll demzufolge ein Zeichen der Unterstützung für das kriegsgebeutelte Land setzen, bevor Ungarn am 1. Juli die rotierende Ratspräsidentschaft der EU übernimmt. Der mutmaßliche Beweggrund ist Furcht: Denn Budapest könnte im Vorsitz zusätzlichen Einfluss geltend machen, etwa auf die Festlegung der Tagesordnung von Sitzungen, bei denen auch Ukraine-bezogene Themen behandelt werden.
Mitgliedsstaaten forcierten schon zuvor den Verhandlungsbeginn
Zuvor hatte das Nachrichtenportal Euractiv über ein Schreiben an die amtierende EU-Ratspräsidentschaft unter derzeit belgischer Führung berichtet, wonach zwölf EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, Polen sowie auch die Slowakei, sich für eine formelle Einleitung des Beitrittsprozesses für Ukraine und Moldawien bis Ende Juni aussprachen.
Die Bundesregierung ließ bereits Ende Mai verlautbaren, dass sie alle Voraussetzungen für Beitrittsverhandlungen erfüllt sieht.
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"Angesichts der erzielten Ergebnisse und der laufenden Reformbemühungen sowohl in der Ukraine als auch in der Republik Moldau, über die die Kommission bereits berichtet hat, sind wir der Ansicht, dass es jetzt an der Zeit ist, voranzukommen", hieß es zur Begründung in dem genannten Schreiben.
Am Freitag erklärte auch die Europäische Kommission gegenüber den 27 Botschaftern der EU-Mitgliedstaaten, dass die Ukraine nun die zuvor ausstehenden Beitrittskriterien erfüllt habe, darunter Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung, Einschränkungen politischer Lobbyarbeit, Regeln zur Vermögenserklärung für öffentliche Amtsträger und den Schutz von Sprachen nationaler Minderheiten.
Die Regierung Wolodymyr Selenskyjs hatte zuvor auf die internationale Kritik an ihrem 2021 verabschiedeten, umstrittenen Minderheitengesetz reagiert, um die Perspektive auf einen EU-Beitritt zu sichern. Damit schienen zunächst auch die Vorbehalte von ungarischer Seite gegen einen Beitritt ausgeräumt.
Ungarn ist noch nicht ausgeschaltet
Ihren Antrag auf EU-Mitgliedschaft hatte die Ukraine kurz nach der Invasion durch Russland im Februar 2022 gestellt. Wenige Monate später wurde sie bereits als Kandidat anerkannt. Die FT sieht in der Aggression Moskaus den Grund für diese schnelle Entscheidung.
Tatsächlich hat der Krieg den Erweiterungsprozess der EU grundlegend verändert. Im Juni 2022 wurden sowohl die Ukraine als auch Moldawien zu Kandidaten erklärt, während Georgien diesen Status erst Ende 2023 erhielt.
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Im Unterschied zu Kiew und Chișinău bezahlt die Regierung in Tiflis ihre von Brüssel und Washington vehement kritisierte Verabschiedung des "Ausländische-Agenten"-Gesetzes (Telepolis berichtete) damit, vorerst nicht in den Beitrittsprozess eingebunden zu werden.
Die Empfehlung der Kommission erfordert die Einstimmigkeit der EU-Regierungen. In den Niederlanden muss das Parlament noch über das Thema beraten. Der Fokus liegt allerdings auf dem ukrainischen Nachbarn: Ungarn wird voraussichtlich Einwände gegen den Vorstoß erheben.
Ein hochrangiger EU-Diplomat erklärte gegenüber der FT, dass Ungarn weiterhin Bedenken hinsichtlich der Rechte anderer Minderheiten in der Ukraine hege, insbesondere in Bezug auf die Verwendung nichtukrainischer Sprachen, die über die offiziellen Bedingungen der Kommission hinausgehen.
Der ungarische Premierminister Viktor Orbán hat in der Vergangenheit bereits andere Entscheidungen im Zusammenhang mit der Ukraine blockiert, darunter die Gewährung des Kandidatenstatus und die Verzögerung eines Hilfspakets in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar. Obwohl Budapest letztlich dem Druck der übrigen Mitgliedsstaaten nachgab, hat es sein Veto gegen die Bereitstellung von EU-Geldern für militärische Hilfe an Kiew bislang nicht aufgehoben.
Die amtierende Nation Belgien hatte sich unter ihrer Ratspräsidentschaft mehrfach dafür ausgesprochen, den "Blockaden" aus Ungarn ein Ende zu setzen und dessen politische Einflussnahme zu beschneiden.
Die rasante Veranlassung der Beitrittsgespräche mit der Ukraine könnte erneut eine Debatte zur demokratischen Legitimität der EU entfachen und den Eindruck nähren, dass innerhalb der EU demokratische Prozesse zugunsten geopolitischer Interessen beschleunigt werden.