Ein Gen zur Vorhersage der Lebenserwartung
Zumindest beim Fadenwurm C. elegans haben Wissenschaftler anhand eines Stressproteins die Lebensdauer bestimmen können
Caenorhabditis elegans ist beliebt bei den Wissenschaftlern, vor allem wenn es um genetische Forschung geht. Der kleine Wurm war denn auch der erste Mehrzeller, dessen Genom vollständig sequenziert wurde. C. elegans besteht gerade einmal aus 1.000 Zellen, hat aber 19.000 Gene und sei höheren Lebewesen wie Menschen darin ziemlich ähnlich (Der erste Mehrzeller genetisch erfasst). Der Mensch hat höchstens doppelt so viele Gene, wie man bei der Sequenzierung des menschlichen Genoms herausfand. Während man deswegen auch den Wurm mit dem Menschen eher vergleichen kann, hat dieses Schrumpfen der menschlichen Gene – zuvor ging man davon aus, dass der Mensch aufgrund seiner Komplexität doch schon 100.000 Gene haben sollte – doch die menschliche Überheblichkeit ein wenig gemäßigt.
Wie auch immer, C. elegans ist auch in der Forschung über das Altern – oder eher: um die Gründe, das Altern hinauszuzögern und älter zu werden, vorbildlich geworden. Bei kleinen, sich schnell reproduzierenden Organismen lassen sich schnell mal einzelne Gene ausschalten, um zu sehen, was daraus für Konsequenzen folgen.
So hat man vor sechs Jahren herausgefunden, dass zumindest die Würmer bis zu viermal länger leben, wenn sie auf sehr knappe Diät gesetzt werden (Ein Wurm auf dem Weg zur Unsterblichkeit). Dann wird nämlich ein Enzym produziert, das die Zellen vor oxidativen Prozessen schützt. Kurz darauf hatte man das Enzym künstlich hergestellt und den Würmern einverleibt, die dann auch länger lebten (Werbebranche sucht Klicks). Warum also sollten Menschen, wenn sie das Enzym zu sich nehmen, nicht seinem entfernten Verwandten, dem Fadenwurm, folgen und auch doppelt oder gar vier Mal so alt werden, ohne extrem hungern zu müssen? Aber von der lebensverlängernden Pille hat man danach nicht mehr viel gehört. Muss also doch die Mühe des Darbens inmitten des Luxus aufgenommen werden, um sein Leben zu verlängern (Warum man durch Hungern länger lebt)?
Aber sollen wir uns vorstellen, dass die Menschen nicht nur ein paar Jahre älter werden und die Sozialsysteme immer mehr belasten, wenn gleichzeitig immer weniger Kinder nachkommen? Schließlich ist der Rückgang der Geburten auch dringend angesagt, um die Bevölkerungsexplosion zu bremsen. Aber es geht vielleicht ja auch nicht unbedingt darum, statt hundert zweihundert Jahre zu leben, sondern überhaupt ein einigermaßen stattliches Alter erreichen zu können oder zu wissen, warum manche jünger als andere sterben. Das mag nicht viel ändern, wenn beispielsweise der soziale Status auch ein starker Indikator dafür ist, wie lange man leben wird. Es müsste schon eine Revolution gelingen, um hier eine Gleichheit einzuführen und zu unterbinden, dass wer arm ist, meist auch früher stirbt.
Es gibt allerdings auch andere Bedingungen, die zumindest genetisch identische Würmer früher sterben oder länger leben lassen. Es kommt nämlich etwa auch darauf an, wie genetisch identische Würmer unter denselben Umweltbedingungen auf Stress reagieren. Und dabei spielt der Zufall angeblich eine große Rolle. Bei Menschen und Versuchstieren sollenh 60-90 Prozent der Variationen im Hinblick auf das Lebensalter unabhängig vom Genotyp sein. Das ist auch bei isogenen Populationen, bei denen es praktisch keine genetische Varianz gibt, der Fall. Auch hier sterben manche Individuen unter identischen Lebensbedingungen früher. Beim C. Elegans kann – ähnlich wie beim Menschen - die individuelle Lebenszeit um das Fünfzigfache variieren. Das scheint der Hypothese einer genetisch festgelegten Lebensspanne zu widersprechen.
Ein Forscherteam hat nun versucht, die Zufälligkeit des Lebensalters bei C. Elegans zu belegen. Ganz allgemein würde eine „Vielzahl von stark plastischen Prozessen“ (genetische Faktoren, Umwelt, Zufälle) das Lebensalter beeinflussen. Dazu gehöre auch die Reaktion auf Stress, wie die Forscher in der aktuellen Nature Genetics beschreiben (Shane Rea et. Al.: A stress-sensitive reporter predicts longevity in isogenic populations of Caenorhabditis elegans).
Die Forscher haben über 100.000 der Würmer genetisch verändert und ihnen ein Quellengen eingefügt, das die durchsichtigen Nematoden unter einer bestimmten Lichteinwirkung grün fluoreszieren lässt. Mit diesem Gen haben sie ein anderes verbunden, das das in den Zellen vieler Organismen vorhanden Stressprotein hsp-16.2 erzeugt. Je mehr solche Proteine eine Zelle enthält, desto eher widersteht sie Wärme, auch wenn noch nicht bekannt ist, warum das der Fall ist. Die Wissenschaftler setzten Würmer der Wärme aus und überprüften ihre Lebensdauer und konnten ebenfalls einen deutlichen Zusammenhang mit dem Stressprotein feststellen. Je stärker die Würmer fluoreszierten, also je mehr Stressproteine sie hatten, desto eher überstanden sie den thermischen Stress und desto länger lebten sie – bis zu vier Mal länger, was im Hinblick auf die Würmer eine Lebensdauer zwischen drei Tagen und 16 Tagen entsprach.
Man kann also zumindest bei C. elegans schon sehr früh die Lebenszeit aufgrund der unterschiedlichen Reaktion auf Stress oder der Zahl der Stressproteine feststellen, die nicht genetisch bestimmt sind, sondern zufällig bei den genetisch identischen Würmern variieren. Damit ließe sich, wie die Forscher vermuten, vermutlich auch bei höheren Tieren und beim Menschen die Lebensdauer und der Gesundheitszustand vorhersagen. "Wir haben", so Thomas Johnson, ein Mitglied des Forschungsteams, "ein einziges Gen hergestellt, um den Gesundheitszustand eines Organismus zu überwachen. Das ist eine Premiere." Möglich wäre, weitere Stress-Reaktionssysteme oder Stress-Proteine zu finden, um so bestimmen zu können, was Organismen gegen viele Einflüsse widerständiger macht.
Shan Rea ist der Überzeugung, dass man auch beim Menschen beispielsweise anhand der Messung der Anzahl der hsp-16.2-Protein vorhersagen könnte, wie lange diese leben werden. Aber sie weckt noch andere Hoffnungen: "Man könnte vielleicht sogar jedes einzelne Stress-Reaktionssystem verändern und es auf die maximale Lebenszeit einstellen, die, wie man annimmt, bei ungefähr 120 Jahre liegt."