Ein kurzes Ja für die Stationierung der US-Truppen in der Türkei

Der Druck der US-Regierung, die ausgehandelten Hilfeleistungen und die Möglichkeit, Truppen in den Nordirak zu senden, waren der Grund für eine knappe Mehrheitsentscheidung, die aber gleich wieder als ungültig erklärt wurde

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Nachdem die türkische Regierung nach langen, aber erfolgreichen Verhandlungen einen hohen Preis von der US-Regierung für die Bereitschaft erzielt hat, amerikanischen Truppen ins Land zu lassen, hatte heute auch das türkische Parlament mit knapper Mehrheit dafür gestimmt. Am selben Tag fand allerdings bereits die erste große Demonstration gegen den Krieg und damit gegen die Regierungspartei statt, was darauf hinweist, dass mit dieser Entscheidung für die Türkei die Probleme erst beginnen würden.. Aber es sollte anders kommen.

Die Opposition im türkischen Parlament hatte die Gültigkeit der Abstimmung in Frage gestellt, weil für die Stationierung der US-Truppen nicht wirklich mehr als die Hälfte der Abgeordneten gestimmt hätten. Zur Abstimmung waren 534 Abgeordnete von insgesamt 550 zugegen. Für die Stationierung stimmten 264, dagegen 251, 19 enthielten sich. Nach der Opposition hätte es mindestens 268 Ja-Stimmen geben müssen. Die AKP verfügt über 360 Stimmen, was zeigt, dass auch ein Drittel der Abgeordneten der eigenen Partei dagegen gestimmt oder sich enthalten hat oder sicherheitshalber Zuhause geblieben ist.

Kurz nachdem bereits die ersten Meldungen in den Medien und hier erschienen sind, dass sich eine Mehrheit des Parlaments für die Stationierung entschieden habe, erklärte der Sprecher des Parlaments die Abstimmung für ungültig. Bulent Arinc begründete dies mit der türkischen Verfassung, die eine Mehrheit erfordert. Da es aber keine Mehrheit unter den anwesenden Abgeordneten für die Stationierung gegeben habe, sei die Abstimmung ungültig. Ob die Regierungspartei erneut eine Abstimmung fordern wird, ist nicht bekannt. Möglicherweise ist es für die Regierung auch eine Möglichkeit, sich gegenüber der US-Regierung aus der Schlinge zu ziehen. Zumindest aber führt die für die US-Regierung zu weiteren Verzögerungen der geplanten Invasion, weil nun die Truppen entweder weiter auf einen neuen Beschluss warten oder an anderer Stelle stationiert werden müssen.

Ein weitere Hürde hätte darin bestanden, dass es nach der türkischen Verfassung für eine Stationierung ausländischer Truppen im Land und für eine Entsendung eigener Truppen in ein anderen Land eine Legitimation durch die UN notwendig ist. Erst wenn der Sicherheitsrat einen Krieg gegen den Irak billigt, so die Argumentation der Opposition im Vorfeld der Abstimmung, könne sich die Türkei entscheiden, ob sie die amerikanischen Truppen zur Vorbereitung einer Invasion ins Land lassen soll. Zudem ist mit der Genehmigung der Stationierung der US-Truppen verbunden, dass die Türkei ihrerseits Truppen in den Nordirak entsenden kann. Die AKP entgegnete, dass damit noch keine Kriegsentscheidung gefallen sei, sondern es nur um Sicherheitsmaßnehmen im Falle eines Krieges gehe. Unterstützt wird die Opposition hier durch einen Aufruf von Juristen. Nach diesen habe die US-Regierung bereits das internationale Recht gebrochen, da Bush wiederholt gesagt habe, er würde auch ohne Billigung durch den Sicherheitsrat gegen den Irak vorgehen.

Auf Verlangen der muslimischen Regierungspartei fand die Abstimmung hinter verschlossenen Türen statt. Davor fanden zahlreiche Gespräche mit den Abgeordneten der Partei statt, um diese auf Kurs zu zwingen. Beschlossen wurde, nur das Ergebnis der Abstimmung bekannt zu geben. Das alles zeigt, wie heikel diese Entscheidung für die Regierung ist. Viele in der Partei hatten das US-Begehren ablehnen wollen, das die Türkei direkt in den Irak-Konflikt hineinziehen wird. Auch in der Bevölkerung findet die Regierung damit keinen Anklang, denn mehr als 80 Prozent der Türken sprechen sich gegen einen Irak-Krieg aus. Dass die Entscheidung innenpolitisch auf Widerstand stoßen wird, zeigte auch die Demonstration in Ankara, an der heute unter strengen Sicherheitsvorkehrungen Zehntausende von Menschen teilgenommen haben. Am Freitag hatten bereits einige Tausend vor einer Moschee in Istanbul gegen den Krieg und die Regierungspartei protestiert

Die revidierte Entscheidung des Nato-Mitglieds erfolgte aufgrund des hohen Drucks von der US-Regierung (Machtpolitik unter dem Deckmantel von Freiheit und Demokratie). Würde die Türkei nicht mit den USA mitziehen, muss die Regierung mit wirtschaftlichen Konsequenzen rechnen und hat selbst keinen Einfluss auf die zukünftige Gestaltung des Irak. Beim letzten Irak-Krieg fiel für die Türkei nicht nur der Irak als einer der wichtigsten Handelspartner aus, sondern entstanden dem Land auch hohe Kosten durch die zahlreichen Flüchtlinge, ohne dafür entschädigt zu werden. Nach den von Hussein niedergeschlagenen Aufständen sind 500.000 Kurden in die Türkei geflohen. In den Verhandlungen mit der US-Regierung pokerte die türkische Regierung daher hoch, um möglichst viel für das politische Risiko herauszuholen. So würde die Türkei von den USA, falls eine erneute Abstimmung erfolgreicher wäre, 15 Milliarden Dollar an Wirtschaftshilfe und Krediten, Handelsvergünstigungen, das Recht, mit Tausenden von Truppen in den Nordirak einzurücken, sowie die Zusage erhalten, dass die US-Regierung keinen unabhängigen kurdischen Staat im Irak entstehen lassen will.

Die Kurden im Nordirak haben zwar mehrfach bestritten, einen unabhängigen Staat einrichten zu wollen, aber sie zweifeln, ob die türkischen Truppen tatsächlich nur humanitäre Hilfe leisten wollen. Zumindest lässt sich davon ausgehen, dass die Türken verhindern wollen, dass die Kurden die Ölvorkommen im Nordirak kontrollieren. Damit hätten sie ein Pfand in der Hand, doch eines Tages Autonomie anzustreben. Überdies fürchten die Türken, dass die eigene kurdische Bevölkerung wieder revoltieren könnte, die mit langen und grausamen Kämpfen, die Zehntausende von Opfern kosteten, niedergehalten wurde und weiterhin unterdrückt wird. Die Kurden im Nordirak hatten bereits gedroht, gegen die einrückenden Türken kämpfen zu wollen, falls diese den Nordirak besetzen wollen.

Pikanterweise findet in der Türkei gerade ein Prozess gegen fünf deutsche Stiftungen (Konrad-Adenauer, Friedrich Naumann, Friedrich Ebert, Heinrich Böll und Deutsches Orient-Institut) statt, denen Spionage im Dienst des BND und Subversion des türkischen Staates mit der Gründung eines Geheimbundes vorgeworfen wird. Ministerpräsident Gul hatte allerdings versichert, die deutsch-türkischen Beziehungen seien so gut, dass sie unter diesem Vorfall nicht leiden würden. Die deutsche Regierung dürfe der türkischen Justiz Vertrauen schenken. Er hoffe, dass der Fall so schnell und so fair wie möglich abgeschlossen werde.