Erdogans Krieg im Südosten der Türkei

Seite 2: Politik der Vertreibung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es scheint dort, wo sich der Widerstand nicht brechen lässt, und die Mehrheit der Bevölkerung diesen trägt, eine Politik der Vertreibung einzusetzen, die Videos aus Derîk dazu sind deutlich.

Gegen die Übergriffe des türkischen Staates wird in Nusaybin und anderen Städten Widerstand geleistet. Dies ist jedoch kein Widerstand, der alleine von einzelnen Gruppen der YDG-H oder der PKK getragen wird, sondern ein Widerstand der gesamten Bevölkerung.

Die Bevölkerung jeder Altersgruppe protestierte in Nusaybin die ganzen letzten 17 Tage mit Lärmaktionen (z.B: Töpfeklappern) und der Unterstützung der Verteidigungseinheiten an den Barrikaden. Trotz der Angriffe mit schweren Waffen, und obwohl die Wasser- und Energieversorgung abgeschnitten war, ließ sich die Bevölkerung, wie zuvor schon in Cizre, nicht einschüchtern.

Der Angriff der Staatsorgane stärkt die Selbstverwaltung und Selbstorganisierung in den Stadtvierteln

Vielerorts fördert der Angriff des Staates eher den Zusammenhalt der kurdischen Bevölkerung und die weitere Durchsetzung des rätedemokratischen Selbstverwaltungsmodells. Am ersten Tag der Besatzung der Stadt Nusaybin stellten die Spezialeinheiten fest, dass sie nicht in die Stadtviertel vordringen konnten. Es fand ein Strategiewechsel statt, man begann vor allem mit dem Bombardement aus Mörsern. Besonders die Wasserspeicher auf den Dächern der Häuser und die Transformatoren in den Stadtvierteln waren das Ziel, um so die Bevölkerung zu demoralisieren.

Die Bevölkerung reagierte mit Ausweitung der Arbeit der Basisräte. In der kurdischen Stadt Gever sind mittlerweile alle Straßenzüge in Straßenräten (Kommunen) und Stadtviertelräten organisiert und verwalten sich selbst durch ihre gewählten Co-Vorsitzenden (immer ein Mann und eine Frau).

Die Räte organisierten die mit der Zeit immer schwieriger werdende Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser. Kollektive Waschgelegenheiten wurden an sicheren Orten eingerichtet. Alle notwendigen Bedürfnisse wie auch die Sicherheit wurden über die kommunale Arbeit koordiniert. Die Bevölkerung bildete ein eng gesponnenes Netz, welches das Vordringen der Polizei in die Stadtviertel auch weiterhin verhinderte. Besonders stark beteiligten sich Frauen jeden Alters an der Organisation und Verteidigung. Alte wie junge Frauen und Mütter übernahmen Verteidigungsstellungen an den Barrikaden.

Ähnlich wie in Rojava zeigt sich auch hier, dass das offensive Auftreten der Frauen immer mehr patriarchale Gesellschaftsstrukturen aufbricht, so befreite die Frauenjugendeinheit der YDG-K beispielsweise in Cizre eine 17jährige, die zwangsverheiratet werden sollte, direkt aus dem Hochzeitshaus.

Auch am 17. Tag der Belagerung skandierte die Bevölkerung von Nusaybin die Parole "Die Berge und Straße werden sich vereinigen". Die Parole weist einerseits darauf hin, dass die Guerilla, die momentan ihre Einheiten immer noch in den Bergen hat, gemeinsam mit der Bevölkerung kämpfen wird, andererseits, dass die Berge, in die das Militär nicht vordringen kann, als befreite Gebiete verstanden werden und die Städte dem nachkommen werden.

Die EU muss aufpassen, mit wem sie sich einlässt.