Erkennen die USA ein unabhängiges Katalonien an?

Bild: R. Streck

Während Madrid die Repression auf immer neue Höhen treibt, will die USA mit "jeder Regierung in Katalonien" zusammenarbeiten, die nach dem Referendum entsteht

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Der Schlag ins Genick der spanischen Regierung hat gesessen, bevor sich der spanische Regierungschef Mariano Rajoy am 26. mit US-Präsident Donald Trump treffen wird. Das hätte sich "Don Mariano" wohl in seinen schlimmsten Alpträumen nicht ausgemalt, dass ausgerechnet die rechte Trump-Regierung den Ultrakonservativen in Madrid ins Gesicht schlagen würde. Und noch weniger hätte Rajoy erwartet, dass dieser Schlag so hart ausfallen könnte. Schließlich standen seine Volkspartei (PP) und deren Regierungen stets fest an Seite der USA. Spanien zog sogar gegen den Willen der Bevölkerung an der Seite der USA und Großbritannien in den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg.

Nun musste Rajoy bei seinen Versuchen eine herbe politische Schlappe einstecken, die Katalanen als böse Undemokraten dazustellen, weil sie gegen die Aussetzung des spanischen Verfassungsgerichts die Bevölkerung in Katalonien am 1. Oktober über die Unabhängigkeit abstimmen lassen wollen. Die US-Administration stellt praktisch sogar eine Anerkennung eines unabhängigen Kataloniens in Aussicht. So erklärte die Sprecherin des State Department zwar, man werde sich in die inneren Vorgänge "nicht einmischen", aber dann kam der Satz, der in Madrid wie eine Bombe eingeschlagen ist. Heather Nauert fügte an, dass man nach dem Referendum "mit jeder Regierung oder Institution, die daraus entsteht, zusammenarbeiten wird".

Das ist extrem starker Tobak für Madrid, was sich an verschiedenen Reaktionen oder vor allem an den Nicht-Reaktionen ablesen lässt. So fand man auf den Seiten der großen Zeitung El País, die sich bisher in der Frage auch schon mit Fake News einen Namen gemacht hat, bis am späten Nachmittag noch keine Erwähnung. Auch die konservative El Mundo hat offensichtlich massive Verdauungsprobleme. Dort herrscht ebenso Funkstille wie in der rechtsradikalen ABC und sogar im Newswire der deutlich linken eldiario.es wird das nicht erwähnt.

Dabei haben katalanische Medien zum Teil schon gestern Nacht berichtet, die bedeutende La Vanguardia am Morgen und auch Zeitungen, die gegen die Unabhängigkeit und das Referendum am 1. Oktober stehen, wie El Periódico haben am Donnerstagmittag nachgezogen.

Vielleicht will die sich nach den gefälschten CIA-Berichten nicht einer noch schärferen Kritik von Wikileaks-Gründer Julian Assange aussetzen, der längst den Rücktritt des Direktors von El Periódico fordert. Assange wirft auch ABC und El País eine "Lügenflut" vor. Wikileaks hat schon eine eigene Abstimmung zur Unabhängigkeit laufen, die Assange massiv unterstützt. Denn auch er fragt sich, warum Spanien 7,5 Millionen Menschen in Katalonien mit Gewalt von einer Abstimmung abhalten will: "Warum haben sie so viel Angst vor ihrer Meinung?"

Zurück in die dunklen Tage des Franco-Regimes?

Interessant ist auch, dass die US-Sprecherin im State Department nicht auf die Nachfrage antworten wollte, wie sie zu der juristischen und polizeilichen Repression in Spanien steht. Da kenne sie die Details nicht, erklärte Naubert den Journalisten. Die sind offensichtlich besser informiert und machen sich mehr Sorgen über die Vorgänge, als man es aus deutschen Medien derzeit sieht. Dort wurde praktisch nicht einmal berichtet, dass die paramilitärische Guardia Civil auf der Suche nach verbotenen Wahlzetteln sogar eine Wochenzeitung durchsucht hat.

Tatsächlich haben sich US-Kollegen durchaus schon mehrfach und klarer geäußert. Sie boten auch der katalanischen Parlamentspräsidentin angesichts ihrer ersten Anklage schon Raum, um ihre Position begründen zu können. So schrieb Carme Forcadell für die New York Times, dass man es mit einem "Angriff" zu tun habe, sie lediglich ihre Pflicht tue, wenn sie Debatten über Fragen der Unabhängigkeit zulasse, nachdem dies eine Mehrheit der Parlamentarier verlangt habe. Und angesichts von Knebelgesetzen, die von Rajoys PP verabschiedet wurden, kam die Zeitung in einem Leitartikel ebenfalls schon zu dem klaren Ergebnis, dass Spanien damit "in die dunklen Tage des Franco-Regimes zurückgeworfen" werde.

Solche Gesetze haben in einer Demokratie ebenso nichts zu suchen, so die NYT, wie Anklagen gegen die Mitglieder der Regionalregierung oder die Mitglieder des Parlamentspräsidiums. Dass auch sie nun die Debatte der Gesetze über die Unabhängigkeit im Parlament zugelassen und das Gesetz nach der Verabschiedung unterschrieben haben, ist kein Grund, sie in den Knast zu werfen, wie es die spanische Regierung vorhat.

Madrid droht Hunderten von Bürgermeistern mit Strafen

Dort könnte sogar die überwiegende Mehrheit der katalanischen Bürgermeister landen. Nun hat die Staatsanwaltschaft genau 712 der 948 Bürgermeister Kataloniens vorgeladen, die trotz des Blitz-Verbots durch das spanische Verfassungsgericht die Durchführung des Referendums in ihren Gemeinden garantieren und Wahlbüros zur Verfügung stellen wollen. Darüber wird zwar nun auch in Deutschland berichtet, eine Kritik daran ist aber kaum oder gar nicht zu vernehmen.

Damit ist eine ganz neue Zuspitzung vorgezeichnet, die auch im Verfassungsgericht nicht gut ankomme, schreibt jedenfalls eldiario.es mit Bezug auf Quellen im höchsten Gericht. Dort sei man sogar "alarmiert" und halte das Vorgehen des Ministeriums für Staatsanwaltschaft (sprich der Regierung) für "unnötig und störend". Doch die rechte PP kennt nur Repression, hat die Entwicklung in Katalonien seit Jahren verschlafen und Rajoy versuchte, auch das Problem schlicht auszusitzen. Dass den Katalanen derartig der Geduldsfaden reißen würde, auch die Christdemokraten offen in den zivilen Ungehorsam übertreten würden, da Madrid sogar ihnen jede Verhandlungen verweigerte, davon ist man in der spanischen Hauptstadt noch heute völlig überrascht.

Eine deutliche Zuspitzung steht nun schon deshalb an, weil allen in Madrid klar war, dass etliche oder alle Bürgermeister sich der Vorladung widersetzen werden. Die linksradikale CUP hat inzwischen klar und deutlich erklärt, ihre Bürgermeister würden den ausgesprochenen Vorladungen nicht nachkommen. Das heißt, sie müssen festgenommen oder verhaftet werden, will die Staatsanwaltschaft ihr Gesicht nicht verlieren. Absehbar war das schon deshalb, weil die CUP-Bürgermeister sich schon früher nicht haben vorladen lassen. Ohnehin sieht sich die Unabhängigkeitsbewegung weiter gestärkt, da trotz der Repression und Drohungen weit über eine Million am Montag demonstriert haben, dass sie keine Angst vor Spanien haben und die Unabhängigkeit wollen.

Erfahrungen mit Vorladung hat die CUP-Bürgermeisterin von Berga längst gesammelt. Montserrat Venturós wurde schon einmal festgenommen, weil sie einer Vorladung nicht nachkam. Sie hatte sich geweigert, die "Estelada" - die Fahne der Unabhängigkeitsbewegung - vom Rathaus zu nehmen. Venturós ist auch bereit, in den Knast zu gehen. "Wir werden alles dafür Notwendige tun, damit die Bevölkerung in Katalonien frei über ihre Zukunft entscheiden kann", sagte sie im Interview mit eldiario.es. Dafür brauche es eine klare Antwort von der Straße, um die "spanische Demokratiephobie international aufzuzeigen". Nichts dürfte dies besser aufzeigen als die Tatsache, dass Politiker für ihre Politik 40 Jahre nach dem Tod des Diktators wieder verhaftet werden.

Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau kündigte am Nationalfeiertag unzweideutig an, "alles zu tun, damit die Bevölkerung am 1. Oktober abstimmen kann". Sie stellt sich nun auch klar gegen die Kriminalisierung ihrer Bürgermeister-Kollegen. "Was kommt danach?", fragt sie und stellt fest, dass die rechte Volkspartei (PP) die Demokratie zerstöre, die sie angeblich verteidige. "Mehr Politik und weniger Brandstifter", schrieb sie per Twitter.

"Wir haben eine Lösung gefunden für das, was wir beide angestrebt haben", sagte Regierungschef Carles Puigdemont über ein Abkommen zwischen Colau und der Regionalregierung. Colau bestätigt den gefundenen Kompromiss. Damit ist gesichert, dass die große Mehrheit der Bevölkerung abstimmen kann. Barcelona war das große Problem, da man sonst nur auf ein Quorum von gut 50% hätte kommen können.

Wie sich auf der Karte der Gemeinden zeigt, die das Referendum durchführen wollen, ist die Liste auch nach der Verhaftungsdrohung nur noch länger geworden. Derzeit sind es schon 756 von 948, wobei in etlichen Fällen, wie in Barcelona, die Entscheidung noch aussteht.

Die Regierung ging gegen die Website für das Referendum vor und droht, den Strom am 1. Oktober abzudrehen

Spanischer Repressionsfantasie sind derzeit aber kaum noch Grenzen gesetzt. Die Polizei verpflichtet schon Freiwillige in ihren Reihen für Einsätze in Katalonien. Nach den Anklagen gegen Parlamentarier und Mitgliedern der Regionalregierung werden nun auch die beiden Präsidenten von Gemeinde-Vereinigungen angeklagt, weil sie für das Referendum eintreten. Versucht wird auch, die offizielle Referendumsseite aus dem Internet zu verbannen, wie auch im Telepolis-Forum schon debattiert wurde. Ein gut informierter Leser, der in Barcelona wohnt, schrieb, dass die paramilitärische Guardia Civil "bei der Webhosting-Firma CDMon in Malgrat de Mar vorstellig geworden" sei und auf richterliche Anordnung die Schließung erwirkt hätte.

Wie er feststellte, war die Seite zeitweise nicht mehr erreichbar, doch später zeigte er sich überzeugt, "dass es morgen so ungefähr 1000 funktionierende mirrors gibt..." Und tatsächlich funktioniert http://www.ref1oct.cat wieder problemlos. Offenbar haben hier Wikileaks und Assange Hilfestellung gegen die "Zensur" geleistet. Assange ist stolz, dabei helfen zu können, die Referendums-Webseite zu schützen. "We have a lot of experience stopping abusive censorship. I am happy to help protect the publishing rights of #Catalonia's referendum website".

Die Regierung droht in ihrer gesamten Hilflosigkeit gegen eine riesige Demokratiebewegung, die längst den Steuerknüppel in die Hand genommen hat, man werde am 1. Oktober den Wahllokalen in Katalonien den Strom abstellen. Der Staat werde die "Logistik des Referendums kurzschließen". Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont kommt nicht umhin, sich angesichts derlei Vorstellungen im Zeitalter von Notstromaggregaten, Wind- und Solarstrom darüber lustig zu machen. Mit Blick auf Kerzenlicht sagte er über Facebook: "Mit ihrer Obsession werden uns einen romantischen Tag schenken." Auch die Post wurde angewiesen, keine Wahlbriefe und Material zum Referendum zu befördern. Schauen die also nun in alle Briefe hinein, um festzustellen, was sich in den Umschlägen befindet?

Der Repressionswahn macht sogar vor dem fernen Madrid nicht halt. Dort wurde eine Veranstaltung verboten, die sich am Sonntag mit dem Selbstbestimmungsrecht beschäftigen wollte. Gegen das Verbot des Richters José Yuste Bastarreche geht auch die linke Bürgermeisterin Manuela Carmena juristisch vor. Die Verantwortliche in der Stadtverwaltung findet zum Verbot klare Worte: "Es bedeutet, dass wir praktisch in einer Diktatur leben", sagte Rommy Arce. Angesetzt wurde von den Veranstaltern nun als Ersatz eine Veranstaltung für Meinungsfreiheit, Demokratie und Recht auf Selbstbestimmung.

Sicher freuen sich die Veranstalter über die ungeahnte Werbung und vermutlich wird der "Matadero" (Schlachthof) am Sonntagmittag nun aus allen Nähten platzen, da es auch in Madrid viele Menschen gibt, die sich keinen Maulkorb verpassen lassen werden. So hat auch die Stadtverwaltung angekündigt, alle juristischen Schritte zu unternehmen, um das Verbot - das ebenfalls auf Antrag der PP erwirkt wurde - wieder zu kippen.

Aber auch dieser Vorgang zeigt letztlich erneut, was von der Unabhängigkeit der spanischen Justiz zu halten ist. Der Richter hätte wegen Befangenheit nie darüber urteilen dürfen, denn er hat ein Manifest gegen das katalanische Selbstbestimmungsrecht unterschrieben, mit dem "das Zusammenleben unter Spaniern zerstört" werden solle.

Dass er auch schon über die Bürgermeisterin Carmena herzog, die angeblich kein "präsentables Aussehen" hätte, sagt eigentlich auch schon sehr viel. Um über Fragen zu urteilen, die in Zusammenhang von Entscheidungen der Stadtverwaltung der linken Bürgerkandidatur Ahora Madrid (Jetzt Madrid) stehen, hatte er sich ohnehin längst disqualifiziert. "Wenn ich daran denke, dass solch eine Truppe nun unsere Städte regiert", schrieb er nach dem Wahlsieg vieler linker Kandidaturen bei den Kommunalwahlen wie in Madrid und Barcelona.

Fehlte noch ein Hinweis, dass man es mit einem Richter am rechten Rand zu tun hat, sei noch angefügt, dass er auch noch kritisiert hatte, dass die Sozialdemokraten einst in einem Gesetz versuchten, die Opfer des Franco-Regimes zu rehabilitieren. Sogar das total verwässerte Gesetz zur Wiederherstellung der historischen Erinnerung war ihm noch zu viel. Die sozialdemokratische Regierung habe "in dunkler Absicht die Vorgänge und Taten wieder aufleben lassen, nicht aus Sicht eines Historikers, sondern aus Parteiinteressen, die unser Vaterland in diese schwierige Zeit gebracht hatten". So umschreibt er blumig einen Putsch durch die faschistischen Generäle gegen die gewählte Republik, Mord, Totschlag und Folter, ohne auch nur eine Spur davon Distanzierung erkennen zu lassen.

Man wundert sich darüber vielleicht nicht mehr, wenn man weiß, dass der Vater von Yusty Bastearreche Admiral während der Franco-Diktatur war. Es sagt eher viel über das heutige Spanien aus, dass solche Leute noch immer in der Justiz tätig sein können. Dort können sie auf Antrag der PP die Meinungsfreiheit aushebeln, einer Partei, die von Ministern der Franco-Diktatur gegründet wurde und sich von Putsch und Diktatur nie distanziert hat. Sie zeigt bis heute mit repressiven Ticks, wie stark sie die autoritäre Regierungsform verinnerlicht hat.

Dabei könnte man sich mitten in Europa ein Beispiel nehmen, wie auf Basis des demokratischen Prinzips die Frage des Selbstbestimmungsrechts in Kanada und Großbritannien mit einem abgesprochenen Referendum gelöst wurde, wo keine Politiker verhaftet oder Zeitungen gestürmt wurden. Eine Trennung kann friedlich verlaufen. Das haben Tschechen und Slowaken vor fast genau 25 Jahren mit dem Trennungsbeschluss gezeigt. Beide Länder sind heute befreundet und EU-Mitglieder. In Spanien geht man stattdessen lieber mit Maßnahmen vor, die stärker an die Ukraine oder das ehemalige Jugoslawien erinnern, wo es bekanntlich wenig zivilisiert und blutig zuging.