"Es gab da Massenmorde": Was noch fehlt in der Documenta-Debatte

Suharto, 1965. Foto: Department of Information of the Republic of Indonesia/gemeinfrei

Bislang geht es um Antisemitismus, aber nicht um die westdeutsche Rolle beim "Indonesian Genocide", dessen Darstellung den Skandal auslöste.

Ein wesentlicher Inhalt des beanstandeten Kunstwerks des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, einer meterhohen Plakatwand mit Wimmelbild, wurde in der vom Antisemitismus-Vorwurf dominierten Debatte kaum benannt: Der Indonesian Genocide, die Massaker in Indonesien 1965–1966.

Wie steht es damit? Die westdeutsche Rolle beim Indonesian Genocide 19651, ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Erst 2020 kamen entsprechende BND-Akten ans Licht.

Wird Information über einen dunklen Fleck auf dem Image der westlichen Staatengemeinschaft zurückgehalten oder unterdrückt? In der Debatte über das Kunstwerk von Taring Padi wurden Mutmaßungen über einen solchen Hintergrund angestellt.

Ein Klärungsversuch.

Es geht um die bislang einer breiten Öffentlichkeit völlig unbekannte "Jakarta-Methode" (Vincent Bevins). Darunter versteht man besonders brutale "Regime Change"-Operationen, benannt nach dem Indonesian Genocide von 1965, mit dem sich moderne indonesische Kunst auseinandersetzt und an den Taring Padi mit ihrem Plakat wohl erinnern wollten.

Inzwischen ist nicht nur der Ruf der Documenta bedroht, sondern auch der Ruf der Kunstfreiheit in Deutschland. Die von der Bild-Zeitung ausgehende Skandalisierung führte sogar zu einer Gefährdung der Künstler.

"Übertriebene Anschuldigungen, dass das Kunstwerk eine Nazi-Stimmung im Goebbels-Stil widerspiegele, haben extremistische, reaktionäre Reaktionen angeheizt und eine gefährliche Atmosphäre geschaffen, in der die Sicherheit der Künstler bedroht ist." Asienhaus

Rücktritt einer Generaldirektorin

Sabine Schormann, die Generaldirektorin der documenta 15 in Kassel, trat vor einer Woche zurück. Darauf hatten sich der Aufsichtsrat der bedeutendsten deutschen Kunstausstellung, die Gesellschafter und die Generaldirektorin nach Protesten in Medien und Politik geeinigt. Schormann zog mit ihrer Amtsniederlegung die Konsequenz aus einem Antisemitismus-Eklat auf der diesjährigen Weltkunstschau.

Der Eklat wurde ausgelöst durch ein Werk der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi, in dem Militaristen als Schweine und Monster gezeigt wurden. Darunter auch zwei antisemitische Karikaturen, die zum Eklat und zu Diskussionen führten (vgl. Documenta des Scheiterns), wofür sich Schormann entschuldigte und das Kunstwerk zuerst verhüllen, dann abbauen ließ. Die Deutsche Welle etwa sah "ein Kunstwerk mit offenkundig antisemitischer Bildsprache".

Weder die Generaldirektorin der Weltkunstschau noch andere deutsche Akteure kamen darauf, dass auch die indonesischen Künstler Grund zur Kritik gehabt haben könnten: Am geringen Interesse der deutschen Kunstszene, Regierung und Öffentlichkeit an der Aufarbeitung der westdeutschen Rolle beim Indonesian Genocide 1965.

Ein weiterer Skandal könnte nun sein: Das in Deutschland zensierte Kunstwerk war im Kern eine Anklage gegen ein Menschheitsverbrechen, an dem wohl auch die damalige westdeutsche Bundesregierung beteiligt war, sowie an der finsteren "Jakarta-Methode" der US-Außenpolitik, die nach diesem von außen gesteuerten Massenmord in Indonesien benannt wurde.

Der Indonesian Genocide ist bis heute in Indonesien nicht wirklich aufgearbeitet, obwohl die Diktatur von Suharto (1921-2008) schon 1998 beendet wurde. Erst 2012 gab eine Regierung in Jakarta bezüglich dem Indonesian Genocide zu, "dass damals schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden." Die Indonesier müssen sich bis 2012 vorgekommen sein, wie die Deutschen im Rutger-Hauer-Film "Vaterland", wo Hitler den Krieg gewann und der Holocaust vertuscht wurde.

Was im Künstlerkollektiv Taring Padi vorging, als hier ihr Anti-Suharto-Plakat plötzlich einem Ansturm von für sie zunächst unverständlichen Protesten ausgesetzt war (vgl. dazu ihre Erklärung: "Wir entschuldigen uns für die Verletzungen", ist kaum zu ermessen. Doch zunächst zur tiefen deutschen Verstrickung in das düsterste Kapitel der Geschichte Indonesiens.

People‘s Justice und der Indonesian Genocide

Die Brutalität und Verschlagenheit des Indonesian Genocide, die Grausamkeit faschistischer Militärs, die Drahtzieherrolle ausländischer Geheimdienste und ihrer heimlichen Geldgeber - das alles ist Thema des inkriminierten Kunstwerks "People‘s Justice". Einer dieser geheimen Geldgeber der indonesischen Massenmörder scheint 1965 die westdeutsche Regierung gewesen zu sein. So belegte es eine Enthüllung, die vor zwei Jahren aber kaum Wellen in deutschen Medien schlug:

Bislang geheime Akten des Bundesnachrichtendienstes (BND) erhärten den Verdacht, dass die Bundesrepublik Deutschland die indonesischen Militärs beim Putsch 1965 unterstützte. Der Machtübernahme durch die antikommunistischen Generäle folgte ein Genozid mit Hunderttausenden Toten. Bis heute mussten sich Täter nicht vor Gericht verantworten. Nun steht eine deutsche Mitverantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Debatte.

Jonas Mueller-Töwe, T-Online Nachrichten, 13.7.2020

Die Nachrichtenredaktion von T-Online gab im Juli 2020 an, umfangreiche Dokumente aus den Beständen des Bundesnachrichtendienstes ausgewertet zu haben, die eine Kooperation der Bundesrepublik mit den indonesischen Militärputschisten belegen. Die Rede ist von Regierungskontakten auf Offiziersebene, eine BND-Akte schildere Überlegungen, die Putschisten heimlich mit harten D-Mark zu finanzieren. Ein Dokument aus anderer Quelle lege nahe, dass wirklich Gelder flossen, wobei dafür verantwortlich der damalige Staatssekretär Karl Carstens (CDU), der spätere Bundespräsident, sein könnte.

Das westdeutsche Geld, eine Barzahlung in Höhe von 1,2 Millionen D-Mark, werde "hauptsächlich für Sonderaktionen gegen KP-Funktionäre und zur Durchführung von gesteuerten Demonstrationen benötigt", heiße es in der Akte. Die BND-Akten legten darüber hinaus den Verdacht einer deutschen Mitverantwortung für die Massaker nahe: Ein auf den 3. November 1965 datierter BND-interner Bericht mit dem Betreff "Föhrenwald" schildere "ein regelrechtes Abschlachten von Kommunisten", so das Nachrichtenportal T-Online.

Es sei zwar unklar, wie genau der BND und die Bundesregierung damals mit dieser Bitte aus Indonesien verfahren wären: Während das Dokument mit dem handschriftlichen Vermerk "Abgelehnt Nichteinmischung" gekennzeichnet sei, halte der BND unter anderem die zugehörige "Beschaffungsbitte" aus Gründen des nachrichtendienstlichen Methodenschutzes weiter zurück.

T-Online.de gesteht ein, das Dokument zwar nicht unabhängig verifizieren zu können, es enthalte jedoch nachweislich richtige Angaben über andere BND-Auslandsoperationen. Der spätere Bundespräsidenten Karl Carstens, sei damals in verdeckte Waffengeschäfte unter Beteiligung des BND verstrickt gewesen. Heute scheint das undenkbar, doch damals war Antifaschismus noch kein westdeutsches Regierungsprogramm.

Bonner Kommunistenjäger und Nazi-Jurist Globke

Die Bonner Republik stand im Kalten Krieg treu an der Seite der USA und ihre Vergangenheitsbewältigung der Nazi-Diktatur war noch nicht in Sicht. Später brauchte es den jüdischen Oberstaatsanwalt Fritz Bauer, um gegen erbitterten Widerstand vieler Juristen wenigstens einige NS-Massenmörder im Auschwitz-Prozess anzuklagen. Die Behörden und vor allem die Justiz der BRD war, gelinde gesagt, nicht frei von alten Nazi-Kadern.

Erinnert sei nur an die Personalie Hans Maria Globke, "der starke Mann hinter Adenauer". Als Adolf Hitlers Starjurist arbeitete Globke die furchtbaren NS-Rassegesetze aus, als Adenauers Staatssekretär war er später 14 Jahre lang einer der mächtigsten Regierungsfunktionäre der jungen Bundesrepublik. Globke wurde unter Hitler eine steile Beamtenkarriere zuteil: Bis 1945 war er Ministerialrat in Hitlers Reichsinnenministerium, verfasste einen teuflischen Kommentar zu den Nürnberger Rassengesetzen von 1935, welche der Juden-Verfolgung in Deutschland einen "rechtsstaatlichen" Anschein gaben:

Als Referent für Fragen der Staatsangehörigkeit schlägt Globke 1938 vor, alle Juden zu zwingen, die zusätzlichen Vornamen "Israel" und "Sarah" anzunehmen… Die DDR schlachtet den Fall Globke als Beispiel für die personellen Kontinuitäten zwischen der NS-Zeit und der BRD aus. In einem Schauprozess wird Globke in der DDR in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Im selben Jahr, im Oktober 1963, endet seine Karriere mit dem Rücktritt Adenauers.

MDR-Doku