Europäisches Mediengesetz: Bahnbrechender Machtzuwachs für EU
Nach der Meilenstein-Einigung: Medienverbände kritisierten Korsett-Gesetz. Kritiker sorgen sich um noch unbekannte Details und die Rolle des EU-Aufsichtsgremiums.
Am vergangenen Freitag hat sich die EU auf einen "besseren Schutz für Medien geeinigt". So berichtete die Tagesschau über einen wichtigen Schritt des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes (EMFA) auf dem Weg zu seiner Verwirklichung.
Geeinigt haben sich Vertreter des Europäischen Parlaments, der EU-Kommission und des Rates der Europäischen Union (Ministerrat). Damit das Gesetz in Kraft treten kann, braucht es noch die Zustimmung des Parlaments und des Rates. Eine Formsache, so die Tagesschau.
Aufregung über EU-Aufsicht
Die Aufregung darüber ist noch nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen, sie bewegt hauptsächlich noch Spezialisten und Medienverbände. An den besonders heiklen Punkten, einmal die Einrichtung einer EU-Medien-Aufsichtsbehörde, und die Frage, welche Art von Bespitzelung von Journalisten weiterhin auf nationaler Ebene möglich ist, wird sichtbar, warum das Gesetz für die große Öffentlichkeit relevant ist.
Schließlich geht es um Kontrolle und Regulierung derjenigen, die unser Bild und Wissen von der Realität entscheidend prägen.
Ein Meilenstein und eine gute Absicht
Die Absicht des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes (EMFA) ist selbstredend eine gute. Man will einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen im EU-Binnenmarkt, mehr Transparenz beispielsweise zu den Finanzquellen der Medien und den Schutz von Journalistinnen und Journalisten und Medienanbieter vor politischer Einflussnahme.
Ein "Meilenstein für die Medienfreiheit", freut sich die Verhandlungsführerin des Parlaments, Sabine Verheyen (CDU).
Warten auf das Kleingedruckte
Abwarten, kommentiert der Medien-Experte der FAZ, Michael Hanfeld. Man kenne das Kleingedruckte des Gesetzes, "auf das es ankommt", bislang nicht. Und als Markstein gilt für ihn: "Europas Presse steht jetzt unter Aufsicht. (…) Die Europäische Union richtet eine Behörde ein, deren Aufsicht sämtliche Medien und Pressehäuser in der EU unterliegen."
"Wesentliches wird kassiert"
Hanfeld nimmt die gute Absicht mit auf in seinen Kommentar: "Diese Behörde soll dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten nicht zu großen Einfluss auf die Medienlandschaft nehmen, nicht auf öffentliche Sender und nicht auf private Medienhäuser."
Aber er verweist auch darauf, dass die neue Instanz quer zu hiesigem Usus steht. Das Medienfreiheitsgesetz kassiert nach seinem Urteil Wesentliches: nämlich die Zuständigkeit der Bundesländer, sichtbar an den Staatsverträgen mit den öffentlich-rechtlichen Sendern und es führe eine staatliche Aufsicht ein, die die Mediengesetzgebung hierzulande vermeide.
"Europas soft law wird jetzt zu hard law."
Den Machtzuwachs auf EU-Ebene durch das neue Gremium, "Board", statuiert auch die Rechtswissenschaftlerin Anna Wócjik in einem Gespräch mit Netzpolitik. Auch sie meint, dass man, um Genaueres über die Durchsetzung des EMFA sagen zu können, noch auf den endgültigen Text warten muss. Es komme auf die Details an.
Feststeht aber für sie die "bahnbrechende Tatsache", dass man eine EU-weite Regelung für die Medien haben werde: "Europas soft law wird jetzt zu hard law." Das führt sie so aus: Aus einer jahrzehntelangen Empfehlungsarbeit des Ministerkomitees des Europarats zu verschiedenen Aspekten, die sich auf die Werte der Medienfreiheit und des Pluralismus beziehen, wird nun etwas grundsätzlich anderes: Entscheidungen mit justiziablem Gewicht.
Der Mehrwert des EMFA besteht darin, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten das Argument verlieren, dass Medienfragen nicht durch EU-Recht abgedeckt sind. Dies gibt der Kommission eine klare Rechtsgrundlage, um Verstöße gegen das EU-Recht gegen Mitgliedstaaten wegen Verstößen gegen die Medienfreiheit geltend zu machen.
Anna Wócjik, Netzpolitik.org
Nationale Spielräume und die Lobby
Die Rechtswissenschaftlerin macht aber auch auf Spielräume der Mitgliedstaaten aufmerksam, noch ist das Gesetz nicht durch. Es könnte auch beim EMFA passieren, "dass die Mitgliedstaaten das letzte Wort haben". Sie erwähnt, dass es viel Widerstand von Lobbyisten gibt.
In Deutschland kommt er vom Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und dem Medienverband der freien Presse (MVFP). Sie werfen der EU grundsätzlich vor, dass "aus Medienregulierung ist noch nie mehr Medienfreiheit entstanden" sei, dass mit dem "Korsett-Gesetz" die Pressefreiheit eingeschränkt werde.
Das Gesetz breche gleich mehrfach mit Grundsätzen der Pressefreiheit. Es werde eine behördliche Aufsicht über die Presse etabliert, bei der auch noch die EU-Kommission mitreden wolle. Zudem sollen Verlage nicht mehr über redaktionelle Inhalte entscheiden dürfen, aber weiter für alle Inhalte voll verantwortlich sein. Und für das Plattforminternet werde die Zensur legaler Presseveröffentlichungen durch die digitalen Torwächter gesetzlich gebilligt und festgeschrieben.
BDZV
Spyware gegen Journalisten: Löchrige Regelungen
Auch die Frage, inwieweit die Mitgliedsländer aus Gründen des nationalen Schutzes Journalisten überwachen können, der andere große Streitpunkt mit "roten Linien" (ausführlich in der Zeit dargelegt: "Die Freiheit, Journalisten auszuhorchen"), ist in der Gesetzesfassung, auf die man sich einigte, "löchrig" geregelt, wie Stefan Krempl auf heise.de detailliert aufschlüsselt.