Extremismusforschung: Blick auf einen wissenschaftlich-staatlichen Komplex

Seite 2: Staat und Extremismusforschung: personelle Verflechtungen

Die personellen Verflechtungen zwischen Staat und Extremismusforschung gehen über die genannten Plattformen und Netzwerke hinaus. Einige Extremismusforscher wie Armin Pfahl-Traughber, Rudolf van Hüllen oder Thomas Grumke haben jahrelang beim Verfassungsschutz gearbeitet, bevor sie in die Wissenschaft wechselten. Bereits während ihrer Zeit in verschiedenen Verfassungsschutzbehörden schrieben sie wissenschaftliche Beiträge. Aus dieser recht gängigen Praxis werden zwei Beispiele vorgestellt, die zeigen, dass die Übergänge zwischen Wissenschaft und Geheimdienst fließend sind.

Bettina Blank arbeitet beim Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg im Bereich Linksextremismus. Ihren publizistischen Schwerpunkt legt sie auf die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Antifaschismus und Linksextremismus. 2014 erschien dazu eine Monografie mit dem Titel Deutschland, einig Antifa? ‚Antifaschismus‘ als Agitationsfeld von Linksextremisten, die auch in konservativen Medien wie der FAZ mit dem Prädikat "realitätsfern" bedacht wurde.

In den Jahrbüchern Extremismus & Demokratie hat Blank zwei Aufsätze verfasst, in denen sie den extremistischen Charakter der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) betonte. Bemerkenswert ist, dass zur selben Zeit die VVN nur in Bayern und Baden-Württemberg als extremistisch eingestuft wurde. In Baden-Württemberg sogar mit einer ausführlichen Beschreibung von sechs Seiten.

Es ist davon auszugehen, dass diese Seiten aus der Feder der 'Antifaschismusexpertin' Blank stammten. Während sie also auf der einen Seite als Geheimdienstlerin die VVN mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht, schreibt sie sich auf der anderen Seite die wissenschaftliche Legitimation für dieses Vorgehen selbst.2

Das zweite Beispiel ist der Fall Christian Menhorn.3 Im Jahrbuch Extremismus & Demokratie aus dem Jahr 2000 wird Menhorn noch als Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz aufgeführt.

Sein Buch Skinheads – Portrait einer Subkultur verfasste er als ‚freier Journalist‘ und es wurde in der Reihe Extremismus und Demokratie von Backes und Jesse im Nomos Verlag herausgegeben. Beiden muss als Herausgeber des Jahrbuchs der tatsächliche berufliche Hintergrund Menhorns bekannt gewesen sein.

In den Folgejahren publizierte Menhorn mehrfach zum Thema Rechtsextremismus, entweder als freier Autor, ohne Autorenangabe oder als freier Journalist. Dass der Autor als Geheimdienstler arbeitet und direkt mit den zentralen Akteuren des NSU-Komplexes in Kontakt stand, bleibt den Leser:innen verborgen.

Der Politologe Hajo Funke sieht in Menhorns Publikationen bemerkenswerte Auslassungen, "die nicht anders als verharmlosend, wenn nicht als irreführend begriffen werden müssen". Nach der Selbstenttarnung des NSU verteidigt Menhorn in einem Aufsatz den Verfassungsschutz: Die Tatsache, dass die Terrorist:innen über ihre Taten schwiegen, machte "eine Zuordnung der Taten zu einem aus dem rechtsextremistischen Spektrum stammenden Täterkreis nahezu unmöglich".

Dass der ‚freie Autor‘ Menhorn als Geheimdienstmitarbeiter direkt in den NSU-Komplex involviert war und als wichtiger Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss auftrat, wirft ein anderes Licht auf seine Urteilskraft und seine Verteidigung des Verfassungsschutzes.4