F-35 oder S-400: Ein amerikanisch-türkisch-russisches Rüstungsgerangel

Seite 3: Phase 3: S-400 TRIUMF statt MIM-104E PATRIOT

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Spätestens seit Februar 2017 verhandelten die Türken mit den Russen über eine Lieferung des verbesserten Typs S-400 TRIUMF bzw. 98Sch6 (NATO-Code SA-21 GROWLER). Dieses Modell haben die Russen bereits vor der türkischen Haustür bei ihrem Expeditionskorps in Syrien disloziert, aber bisher nicht eingesetzt.

Die Kaufsumme beläuft sich - nach unterschiedlichen Quellenangaben - auf 2,5 bis 4,5 Milliarden Dollar. Die Hälfte wird von der russischen Regierung als Kredit gewährt. Entsprechende Absichtserklärungen waren in mehreren Verhandlungsrunden im März, September und Dezember 2017 zwischen beiden Seiten vereinbart worden. Zuletzt haben beide Länder Mitte März 2019 eine Lieferung fest vereinbart: "Schon erledigt. Wir haben das S-400-Thema abgeschlossen, einen Vertrag mit den Russen unterzeichnet", erklärte Staatschef Erdoğan.

Zunächst hieß es, die vier Batterien werden voraussichtlich Ende 2019 geliefert werden. Danach hieß es, man werde die ersten S-400 bereits ab Juli 2019 importieren. Im Mai 2019 gab es unterschiedliche Meldungen darüber, ob eine Verschiebung der geplanten S-400-Importe erwogen werde, um Zeit für weitere Verhandlungen mit den USA zu gewinnen. Zur Zeit wird ein Lieferdatum zwischen dem 21. Juni 2019 - dem ersten Jahrestag der ersten F-35-Übergabe an die türkische Luftwaffe in den USA - und August 2019 genannt:

So hat der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar erklärt, dass das S-400-System nicht mehr wie geplant im Juni geliefert werden könne. Die regierungsnahe türkische Zeitung "Yeni Safak" zitierte jedoch anonyme russische Quellen, wonach Moskau den Termin am 21. Juni sehr wohl einhalten könnte. Laut der Zeitung sei es denkbar, dass eine technische Kommission der Nato überprüfen soll, ob Russland über das S-400-System tatsächlich an Daten über die Fähigkeiten der neuen F-35-Tarnkappenflugzeuge gelangen könnte.

Spiegel

Demgegenüber kommen aus Russland unterschiedliche Signale. Mal wird als Beginn der Stationierung der S-400 in der Türkei der Juni genannt, mal der August 2019:

Russia will begin deliveries of advanced S-400 air defence systems to Turkey in two months, Sergey Chemezov, CEO of Rostec state corporation, said. "Everything is in order. I think, we will start deliveries in two months. Advance payments have been made, a loan has been drawn up. Loan money has been spent, the equipment has been manufactured. Plus, we have already completed the training [of Turkish personnel]", Chemezov said in an interview with NTV television on the sidelines of the St. Petersburg International Economic Forum (SPIEF). (…) The first S-400s are due to arrive in Turkey this month.

Sputniknews

Und:

Russland hatte erklärt, von Seiten der Türkei habe es keine Anfrage gegeben, die unterzeichneten Verträge zu überarbeiten. "Alles - Lieferung und Montage - wird in diesem Sommer ausgeführt", sagte Vizeregierungschef Juri Borissow der Agentur Interfax zufolge. Nach Angaben des russischen Staatskonzerns Rostec wurde die Ausbildung türkischer Spezialisten an der Waffe abgeschlossen. "Ich hoffe, dass wir in zwei Monaten mit den Lieferungen beginnen", sagte Rostec-Leiter Sergej Tschemesow im russischen Fernsehen.

Tagesspiegel

Das System des Herstellers Almas-Antei ist keineswegs ganz neu, es wurde bereits 2007 bei der russischen Luftverteidigung eingeführt. Es kann bis zu 300 Ziele gleichzeitig erfassen. Mit seinen 72 Flugabwehrraketen pro System können 36 Ziele tatsächlich bekämpft werden. Das System ist - in begrenztem Umfang - auch zur Abwehr von Raketen und Hyperschall-Flugkörpern geeignet.

Die Triumf verfügt über folgenden Verbund aus sich ergänzenden und überdeckenden Radarsystemen:

Ein Regiment S-400 besteht aus einem Kommandoposten (55K6) (auf einem LKW Ural 532301, G. P.) mit einem 91N6-Radar (NATO-Codename: BIG BIRD E), der bis zu sechs Batterien befehligen kann. Wird eine Batterie autonom eingesetzt, wird das 96L6-Radar (NATO-Codename: CHEESE BOARD) eingesetzt. Jede Batterie besteht aus einem 92N2-Radar (NATO-Codename: GRAVESTONE) und bis zu zwölf Startern. Zusätzlich unterstützt das System S-400 auch das Radar 55Zh6-1 Nebo-U, das jedoch nicht an das Regiment gebunden ist. Optional kann auch ein 76N6-Radar (NATO-Codename: CLAM SHELL) an das die S-400 angebunden werden.

Wikipedia

Zur Auswahl stehen zwei Flugkörpertypen auf einem geländegängigen Werferfahrzeug MAZ-7910 (8x8): Der 48N6DM kann Flugzeuge bis zu einer Entfernung von 250 km und einer Flughöhe von 27.000 m bzw. Raketen bis zu einer Entfernung von 60 km bekämpfen, demgegenüber kann der 40N6 kann Flugzeuge im Umkreis von ca. 380 km und einer Flughöhe von 30.000 m zerstören, aber ballistische Raketen nur im Umkreis von 15 km.

Die türkischen Exemplare sollen mit einem von der Türkei selbst entwickelten IFF-Erkennungssystem (Identification Friend or Foe) ausgestattet werden. Außerdem sollten die türkischen F-35 mit dem Marschflugkörper Satha Atılan Orta Menzilli Mühimma-Joint (SOM-J) mit einer Reichweite von 185 km ausgestattet werden - eine türkische Eigenentwicklung von ROKETSAN in Zusammenarbeit mit Lockheed Martin.

Welches der beiden Flugabwehrraketensysteme das "bessere" ist, lässt sich pauschal kaum bestimmen: Schließlich kennt jede Seite nur ihr eigenes System hinreichend gut. Berichte von Testerfolgen muss man immer mit Skepsis betrachten, da die Testbedingungen allzu oft manipuliert wurden. Zwar kann man Computersimulationen durchlaufen lassen, um jedes Abwehrsystem gegen einen gegnerischen Jagdbomber oder Bomber zu testen, dies erlaubt aber keinen direkten Vergleich FlaRak gegen FlaRak. Einfache technische Daten, wie z. B. die Reichweite der jeweiligen Flugkörper, sagen nichts über die Trefferwahrscheinlichkeit aus, diese hängt vielmehr davon ab, wer im elektronischen Kampf der ECM-Systeme des Flugzeuges gegen die Radarsysteme der FlaRak die Oberhand behält. Solche Software-Leistungen unterliegen strenger Geheimhaltung und lassen sich vorab weder beobachten noch erraten. Außerdem wird auf dem internationalen Markt meist nicht die Originalversion verkauft, sondern nur eine technologisch abgeschwächte Exportvariante. Somit sind alle Behauptungen, man habe das bessere der beiden Systeme, ein Teil der politischen Propaganda bzw. des Rüstungs-Marketings.

Bei dem Kauf der S-400 geht es weit mehr als um ein bloßes Rüstungsgeschäft. Die NATO befürchtet, dass russische Informatiker in die Software des Systems eine Hintertür einbauen, um alle Daten abgreifen zu können. Zudem könnten russische Militärberater über das S-400-System in türkischen Diensten die Schwächen des neuen amerikanisch-türkischen Jagdbombers F-35 Lightning II und des integrierten NATO-Luftverteidigungssystem ausspionieren:

NATO states use a tactical data link that allows military aircraft and even ships and ground troops to share their tactical pictures in near-real time. This is called Link 16. NATO aircraft also use Identification Friend or Foe systems, known as IFF, to identify friendly aircraft in the sky.

An IFF and Link 16 interrogator would have to be integrated into the S-400 system to allow the Turkish F-35, with the transponder, to fly within lethal range of the S-400. This opens up all Link 16 and IFF tactical data link equipment to be compromised, a former radar and weapons expert said on background.

"With the F-35 flying in close proximity to the S-400 system, over time, you could collect sensitive stealth characteristics of this F-35 and learn its detailed stealth capabilities," the expert said.

The waveform off the Lightning II’s stealthy surfaces and its transmissions are highly classified in order to protect radar operating parameters, stealth technology and encrypted Link 16 codes.

For instance, "when you know the waveform, you can spoof them," sending a fake signal to a receiver in order to trick an operator.

The concern is not necessarily that the Turkish military would compromise this sensitive data, but instead that malware on the S-400 or Russian workers operating, setting up or maintaining the system would access the info.

Airforce Times

Längerfristig wollen die Türkei auch das russische Nachfolgesystem S-500 PROMETEI bzw. 55R6M TRIUMFATOR-M erwerben.