F-35 oder S-400: Ein amerikanisch-türkisch-russisches Rüstungsgerangel

Seite 6: NATO-Präzedenzfall

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Am 24. November 2016 schoss eine F-16C FIGHTING FALCON der türkischen Luftwaffe eine russische Suchoi Su-24 FENCER ab, dabei kam der Pilot Oleg Anatoljewitsch Peschow ums Leben. Seit diesem Tiefpunkt der bilateralen Beziehungen hat sich das türkisch-russische Verhältnis grundlegend gewandelt. Während sich die türkisch-russischen Beziehungen in den letzten drei Jahren zum Positiven wendeten, verschlechterten sich die türkisch-amerikanischen Beziehungen im selben Zeitraum nachhaltig. Ein Grund dafür ist, dass die US-Regierung dem Sektenführer Mohammed Fethullah Gülen seit 1999 politisches Asyl in Saylorsburg gewährt, den die Regierung in Ankara für den fragwürdigen Putschversuch am 15. Juli 2016 verantwortlich macht.

Während der autoritäre türkische Staatspräsident eine Äquidistanz zu den USA und Russland demonstrieren möchte, könnte der US-Widerstand dem autoritären Herrscher in Ankara die Grenzen seiner Macht aufzeigen. So ist diese Waffengeschäftsaffäre noch längst nicht erledigt: Immerhin geht es für die US-Regierung auch um die Sicherung ihres europäischen Einflussbereiches, schließlich war ein Grund für die Gründung der NATO, dass (West-)Europa als Absatzmarkt für amerikanische Waffensysteme erschlossen und verteidigt werden sollte.

Entsprechend behauptet nun Sergi Tschermesow, Chef der staatlichen russischen Rüstungsexportorganisation Rostech: "Wir produzieren nach den technischen Charakteristiken bessere und billigere (Systeme) als die vergleichbaren europäischen und amerikanischen. Deswegen machen die Amerikaner alles, was sie können, um uns herauszudrängen und uns den Zugang zu Märkten zu versperren, in denen sie sich immer wohl gefühlt haben." Am Ende muss sich Erdoğan wohl entscheiden: Ärger mit Trump oder Ärger mit Putin.

Das Pentagon ist seit Mai 2019 auf der schwierigen Suche nach Bauteillieferanten für die F-35, die die türkischen Rüstungsunternehmen ersetzen könnten. Dadurch verzögert sich die Auslieferung der im Bau befindlichen Flugzeuge um bis zu zwei Jahre. Durch den Wegfall der türkischen Kaufoption auf mindestens 100 Maschinen, müssen die Entwicklungskosten auf die übrigen Flugzeuge umgelegt werden, dadurch werden die Stückkosten steigen. Unklar ist, welche wirtschaftsrechtlichen Konsequenzen ein US-Lieferboykott hätte, schließlich war die Türkei mit 175 bis 195 Millionen Dollar an den Entwicklungskosten beteiligt, insgesamt hat die türkische Regierung bereits 1,25 Milliarden Dollar in das Projekt investiert. Sie könnte daher Schadensersatz verlangen.

Sollte die Türkei an ihrer pro-russischen Beschaffungspolitik festhalten, wird die US-Regierung auch die Lieferung weiterer Waffensysteme an die Türkei untersagen. Dies beträfe das Kampfflugzeug F-16 Fighting Falcon sowie die Hubschrauber CH-47F und UH-60. In gleicher Weise droht die Türkei, weitere Waffensysteme in Russland zu beschaffen. So erklärte der Präsident auf einer Sitzung des russisch-türkischen Rates für Zusammenarbeit am 8. April 2019:

Unsere Länder stehen auch vor Aufgaben der Festigung ihrer Zusammenarbeit im militärtechnischen Bereich. Es handelt sich in erster Linie um den Abschluss der Umsetzung des Vertrages über die Lieferung von Fla-Raketen des Typs S-400 ‚TRIUMF‘. Auf der Agenda stehen auch weitere zukunftsorientierte Projekte, die mit der Lieferung von modernen russischen militärischen Erzeugnissen in die Republik Türkei verbunden sind.

Erdogan

Der griechische Verteidigungsminister Evangelos Apostolakis warnte am 6. Juni 2019: "This is one of the problems because S-400s from the Turkish side put the air defence systems in the area in a different situation. (…) F-35 and S-400 completely change the power in the area." Nun will auch Griechenland russische FlaRak-System S-400 erwerben, nachdem es bereits über das Vorgängermodell S-300 (Reichweite: 150 km) verfügt.

Dabei geht es längst nicht mehr nur um "Waffengeschäfte": Wegen der unterschiedlichen Auffassungen in der Syrien- und Kurdenfrage drohte US-Präsident Donald Trump bereits am 14. Januar 2019 in einer Twitter-Kurzmeldung: "Will devastate Turkey economically, if they hit kurds." Und erteilte im Befehlston die Anweisung: "Create 20 mile safe zone".

John Stilides, ein Berater des US-Außenministeriums in Washington, warnte im Propagandasender "Voice of America Turkish", angesichts der türkischen Wirtschaftskrise könnten etwaige US-Sanktionen das Land in eine Rezession stürzen. Unkontrollierbare Inflation, Arbeitslosigkeit und eine schwere Schuldenkrise wären mögliche Folgen.

Für die NATO (türk. Bez.: Kuzey Atlantik Antlaşması Örgütü oder Kuzey Atlantik Paktı Teşkilatı) droht der amerikanisch-türkische Konflikt zu einer weiteren Zerreißprobe zu werden. Zwar plant noch kein türkischer Islamist den Austritt seines Landes aus der NATO, aber der frühere EU-Botschafter in der Türkei Marc Pierini warnte: "Die Türkei ist für Russlands Präsident Putin ein sehr interessantes Werkzeug, um die NATO zu untergraben."

In jeden Fall werden die Spannungen zwischen der amerikanischen und der türkischen Regierung das türkische Militär weiter schwächen. Auch sind die amerikanischen Beschwörungen der transatlantischen Beziehungen kaum glaubhaft, da der US-Präsident selbst mehrfach bekundet hat, dass die NATO für ihn bloß eine parasitäre Vereinigung europäischer Schmarotzer ist.