F-35 oder S-400: Ein amerikanisch-türkisch-russisches Rüstungsgerangel

Seite 5: Phase 5: S-400 TRIUMF und Su-57 statt F-35A LIGHTNING II und MIM-104E

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PATRIOT Nach dem bisherigen Stand der Auseinandersetzungen hält die türkische Regierung an ihrem Entschluss fest, die russischen S-400 TRIUMF zu erwerben. Zwar hatte die US-Regierung den Türken nun doch die MIM-104E PATRIOT PAC 3 zu einem Preis von 3,5 Milliarden Dollar zum Kauf angeboten, aber die türkische Regierung hat auf die neue Offerte nicht mehr positiv reagiert.

Bisher ignoriert die Regierung in Ankara die US-Boykottdrohung und hält trotzig und mit gespieltem Selbstbewusstsein am Erwerb der F-35A - nach wie vor - fest. So erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan im April 2019 bei der Eröffnung der Rüstungsmesse IDEF in Istanbul: "Es werden heute Versuche unternommen, uns aus dem F-35-Projekt auszuschließen, dessen Teil wir sind. Dieses Projekt wird ohne die Türkei einen großen Schaden erleiden." Und: "Das F-35-Projekt ist zum Scheitern verurteilt, wenn es die Türkei ausschließt."

S-400 Triumf. Bild: ru:Участник:Goodvint / CC-BY-SA-3.0

Gleichzeitig schaut sich die türkische Regierung nach Alternativen um. Zuletzt bestätigte der türkische Präsident am 4. Juni 2019 noch einmal seine Haltung: "Es gibt ein Abkommen, das wir getroffen haben, eine Entscheidung. (…) Zurücktreten kommt nicht in Frage."

Zwar entsandte die türkische Regierung bzw. die türkische Waffenbeschaffungsbehörde Savunma Sanayii Başkanlığı (SSB) mehrere hochrangige Unterhändler (Hulusi Akar, Berat Albayrak, Mucahit Arslan, etc.) in die USA, um doch noch eine "Genehmigung" der US-Regierung für das türkisch-russischen S-400-Geschäft einzuholen, aber alle Verhandlungsversuche scheiterten.

Das F-35A-Geschäft könnte unter die Sanktionsregelung "Countering America's Adversaries Through Sanctions Act" (CAATSA) aus dem Jahr 2017 fallen. Gemäß "Section 231" werden allen Akteuren, die Transaktionen mit den russischen Nachrichtendiensten oder dem russischen Militärisch-Industriellen-Komplex tätigen, US-Sanktionen angedroht. So verhängte US-Präsident bereits am 20. September 2018 entsprechende Sanktionen, nachdem die Volksrepublik China russische S-400 importiert hatte. CAATSA war in Zusammenhang mit dem "Countering Russian Influence in Europe and Eurasia Act" vom 6. Juni 2017 verabschiedet worden.

Am 24. Mai 2018 beschloss ein Ausschuss des US-Senats ein "National Defense Authorization Act" (NDAA), wonach die Auslieferung der F-35 an die Türkei unterbleiben soll.

Am 18. Juni 2018 beschloss der US-Senat ein Gesetz, das den US-Verteidigungsminister beauftragte, einen Lieferstopp zu erwägen, ein Sanktionsprogramm vorzubereiten und eine Folgenabschätzung für den Fall vorzunehmen, dass türkische Lieferfirmen aus dem Programm ausscheiden müssten.

Am 21. Juni 2018 brachte der US-Senator Chris Van Hollen (Maryland) einen Gesetzesanhang zum "Fiscal Year 2019 State, Foreign Operations, and Related Programs Appropriations Act" ein, der einen Verkauf der F-35 an die Türkei verbietet, solange das Land am Erwerb der S-400 festhält:

None of the funds appropriated or otherwise made available by this Act and prior Acts making appropriations for the Department of State, foreign operations, and related programs, may be made available to transfer, or to facilitate the transfer of, F-35 aircraft to Turkey, including any defense articles or services related to such aircraft, until the Secretary of State certifies to the appropriate congressional committees that the Government of Turkey is not purchasing the S-400 missile defense system from Russia and will not accept the delivery of such system.

Van Hollen

Im November 2018 übersandte das Pentagon einen Bericht an das US-Parlament, wonach die Türkei bei einer fortlaufenden Beschaffung des russischen Flugabwehrraketensystems S-400 vom Erwerb der F-35A ausgeschlossen werden soll.

Am 15. Februar 2019 unterzeichnete US-Präsident Donald Trump das "Consolidated Approprations Act of 2019", das in Paragraph 7046 einen Export der F-35A an die Türkei verbietet, solange die türkische Regierung an der Beschaffung von russischen Flugabwehrraketen vom Typ S-400 TRIUMF festhält. Darüber soll - nach einem bis dahin vorzulegenden, gemeinsamen Bericht des Verteidigungsministers und des Außenministers - abschließend am 1. November 2019 neu entschieden werden:

None of the funds appropriated by this Act and prior Acts making appropriations for the Department of State, foreign operations, and related programs may be made available to deliver F-35 aircraft to the territory of the Republic of Turkey until the report (…) is submitted to the Congress.

Consolidated Approprations Act

Der Sprecher des Pentagon, Charles Summers Jr., erklärte dazu:

The United States has been clear that Turkey's acquisition of the S-400 is unacceptable. Until they forgo delivery of the S-400, the United States has suspended deliveries and activities associated with the stand-up of Turkey's F-35 operational capability. Should Turkey procure the S-400, their continued participation in the F-35 programme is at risk.

Charles Summers

Im April 2019 gab des Pentagon bekannt, dass es keine Bauteile der F-35 mehr an die Türkei liefern würde.

Und am 10. Mai 2019 brachten mehrere US-Parlamentarier des Auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses (Doug Collins, Eliot L. Engel, Kay Granger, Steny Hoyer, Nita M. Lowey, Kevin McCarthy, Michael McCaul und Jerrold Nadler) die "House Resolution 372" in die Gesetzgebung ein, die einen Export der F-35 verbietet, sollten die Türkei die S-400 erwerben. In der Resolution heißt es:

(1) Whereas Turkey's planned acquisition of the Russian-made S-400 undermines the security of the United States and NATO allies, weakens the United States-Turkey relationship, and is incompatible with Turkey's plan to operate the F-35 Joint Strike Fighter and participate in F-35 production; (…)
Now, there, be it Resolved, That the House of Representatives (…)
(2) condems the Government of Turkey's stated decision to acquire the Russian S-400 air and missile defense system, which would endanger the integrity of the United States-Turkey alliance and undermine NATO;
(3) calls for terminating Turkey's participation in the F-35 industrial program and delivery of F-35 aircraft to Turkey if Turkey acquires the Russian S-400 air and missile defense system;
(4) declares that Turkish acquistion of the Russian S-400 air and missile defense system would consitute a significant transaction within the meaning of section 231 of the Countering America's Adversaries Through Sanctions Act of 2017 (22 U.S.C. 9525);
(5) calls for full implementation of sanctions under the Countering America's Adversaries Through Sanctions Act of 2017 if Turkey acquires the Russian S-400 air and missile defense system; (…).

Resolution

Dass der Spionageverdacht keineswegs vorgeschoben ist, zeigt sich am Beispiel Israel. Die F-35I Adir der 140. Kampfstaffel "Golden Eagle" der israelischen Luftwaffe in Newatim erhalten aus Sicherheitsgründen eine verbesserte Software, die gegenüber der Türkei geheim gehalten wird. Dennoch sind die Spionagegründe für manche Beobachter nur vorgeschoben; sie sehen eher geo- und bündnispolitische Gründe für die US-Vorbehalte gegenüber dem türkisch-russischen Waffendeal. So erklärte der frühere türkische Generalmajor a.D. Nejat Eslen im Februar 2019:

Die Amerikaner wollen nicht zulassen, dass die Türkei im Kontext der Entstehung einer neuen Weltordnung außer Kontrolle gerät. Deshalb setzt es Ankara systematisch unter Druck. Die USA betrachten den Kauf russischer Raketensysteme als Austritt der Türkei aus dem Atlantischen System und aus ihrem Einflussgebiet - und versuchen, das zu verhindern.

Sputniknews

In gleicher Weise dozierte der frühere Admiral Soner Polat, der von 2005 bis 2007 Chef der Geheimdienstabteilung des Generalstabs in Ankara und von 2009 bis 2011 Logistikchef der Seestreitkräfte war, in Hinblick auf einen möglichen Krieg gegen den NATO-Partner Griechenland:

Wenn wir eine ernsthafte Analyse durchführen, können wir leicht feststellen, dass nahezu alle inneren und äußeren Probleme, mit denen die Türkei heute konfrontiert ist, in den Aktivitäten des Westens, allen voran der USA, begründet sind. Der Westen weicht im Grunde nicht einen Millimeter von seiner alten Haltung ab. Der Westen ist nur damit beschäftigt, der Türkei Befehle zu erteilen, wie zum Beispiel im Falle des Luftabwehrsystems. (…)

Das S-400 Beschaffungs-Projekt erfüllt die wirklichen operativen Bedürfnisse der Türkei. Es macht unser Land sicherer gegen Bedrohungen vom Westen und von anderen Feinden. Dass der Westen die Geheimnisse dieses Systems nicht kennt, ist ein weiterer großer Vorteil. Dies erhöht den Bewegungsspielraum unseres Landes. (…)

Wir sollten uns auch nicht selbst betrügen. Wenn die Türkei eines Tages wirklich gezwungen sein sollte, in die Schlacht zu ziehen, dann wird der Gegner mit Sicherheit kein westasiatisches Land sein. Die S-400-Beschaffung ist der Ausdruck der nicht offen ausgesprochenen oder aussprechbaren, für manche im Unterbewusstsein aber verankerten Bedrohungswahrnehmung. Die Beschaffung ist das wichtigste Zeichen für einen Wechsel und für einen Wandel im Bereich der Verteidigung.

Soner Polat

Nachdem die Beteiligung türkischer Unternehmen am Bau der F-35 bereits am 4. Juni 2019 offiziell eingestellt wurde, wurden die Türken von der Teilnahme am jährlichen Runden Tisch der F-35-Programmpartner am 12. Juni 2019 ausgeladen. Am 7. Juni 2019 setzte die Staatssekretärin im US-Verteidigungsministerium Ellen Lord der Regierung in Ankara ein Ultimatum. Bis zum 31. Juli 2019 müssen die Türken ihren Verzicht auf die Beschaffung der S-400 erklären, andernfalls droht die US-Regierung mit weiteren Sanktionen: Unter anderem soll die Ausbildung der türkischen Piloten bis Ende Juli eingestellt und diese Flugschüler aus dem USA ausgewiesen werden.

Am 28. oder 29. Juni 2019 wollen sich Donald Trump und Recep Tayyip Erdoğan am Rande des G-20-Gipfels in Osaka (Japan) zu einem bilateralen Gespräch treffen. Die türkische Seite stellt schon Überlegungen für den Eventualfall auf. Sollten die USA an ihrem F-35-Lieferboykott festhalten, planen die Türken die Beschaffung russischer Suchoi SU-34 bzw. SU-32 (NATO-Code FULLBACK), Suchoi SU-57 (PAK-FA) oder chinesischer Shenyang J-31 GYRFALCON.