"Falsche Berichterstattung wird in diesem Land nicht erlaubt"

Die arabischen Sender Al-Dschasira und Al-Arabia sind erneut ins Visier des US-Militärs geraten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Erst vor wenigen Monaten hat die US-Regierung ihren 62 Millionen teueren Satelliten -TV-Sender Al Hurra lanciert (Saudischer Richter will das Anschauen des neuen US-Senders al-Hurra verhindern). Er sollte ein Gegengewicht zur "hasserfüllten Propaganda" liefern, die, laut George W. Bush, "in der muslimischen Welt den Äther füllt". Aber die amerikanische Medienoffensive ist bei weitem noch nicht aufgegangen. Ob bin Laden Statements, Geiselnahmen oder Kampfhandlungen im Irak, die beiden arabischen Sender, Al-Dschasira und Al Arabia, berichten zuerst und exklusiv. Westliche Medien, inklusive CNN oder BBC World, spielen nur mehr die "zweite Geige".

US-Soldat vor Falludscha. Foto: Pentagon

Im Irak stehen nun Al-Dschasira und Al Arabia vor einem Arbeitsverbot, wenn sie mit ihrer "unkritischen Berichterstattung" weiter machten wie bisher, hatte ein Sprecher des "Iraqi Goverment Council" vor wenigen Tagen angekündigt: ">"Falsche Berichterstattung wird in diesem Land nicht erlaubt."

I can definitively say that what Al-Jazeera is doing is vicious, inaccurate and inexcusable.

US-Verteidigungsminister Rumsfeld

Hintergrund dieser Drohung sind die nicht gerade imageträchtigen Bilder, die Al-Dschasira und Al Arabia in Falluja bei der US-Strafaktion für die vier dort getöteten "zivilen Amerikaner" einfingen (Krieg in den Städten). Gezeigt wurde nicht nur der Ärger und der Zorn der Bevölkerung über den Angriff der US-Truppen auf die Stadt, sondern auch dessen tödlichen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Man sah aufgereihte Leichen auf den Strassen, in Häusern liegen, die Reporter interviewten Verwundete in Krankenhäusern und sprachen mit den behandelnden Ärzten. Viele ihrer Patienten waren Frauen und Kinder. Bewohner zeigten ihre von Kugeln durchsiebten Wohnungen, Zeugen schilderten, wie Granaten einschlugen und sprachen von amerikanischem "Streufeuer" auf Zivilisten.

It is always interesting to me how Al-Jazeera manages to be at the scene of the crime whenever a hostage shows up or some other problem happens to be there. So they are -- they have not been truthful in their reporting, they haven't been accurate, and it is absolutely clear that American forces are doing their very best to protect civilians and at the same time get at the military targets there.

General Abizaid
US-Soldaten mit gefangenem "Terroristen" in Falludscha. Foto: Pentagon

"Kollalateralschäden" sind nicht sehr publikumsträchtig, gerade nicht für einen US-Präsidenten, der im Wahlkampf steht. Auf Al-Dschasira und Al Arabia waren auch immer wieder tote US-Soldaten zu sehen, was den präsidialen Presseberatern besonders gegen den Strich geht. Allerdings bleibt in Meinungsumfragen die Zustimmung zur Irak-Politik von Bush George W. Bush noch immer relativ konstant. 57 Prozent der Amerikaner sollen nach einer aktuellen Pew-Umfrage sein Vorgehen im Irak noch unterstützen. Letzten Januar waren es noch 65 %. Allerdings sagen bereits 44 Prozent, dass Bush die US-Truppen aus dem Irak abziehen soll. Einen "klaren Plan" der Irak-Politik vermögen nur noch 32 Prozent zu erkennen.

Zerstörtes Haus in Falludscha. Foto: Al-Dschasira

Auf einer Pressekonferenz in Bagdad meinte General John Abizaid, dass "die arabische Presse, insbesondere Al-Dschasira und Al Arabia, die US-Truppen so darstellten, als ob sie es absichtlich auf Zivilisten abgesehen hätten". Der militärische Sprecher der Koalitionsstreitkräfte, Brigadegeneral Mark Kimmit sprach von einer "verfälschenden Propaganda" der beiden Sender. Außerdem wäre es doch schon sehr seltsam, dass Al-Dschasira von den Geiselnahmen zuerst erführe und immer im richtigen Moment vor Ort sei. Da müsse es doch eine Verbindung zu den Entführern geben. Die Bilder wagemutiger, vermummter Kämpfer, die Geiseln bedrohen, sieht man nicht gern. Sie sind ein Beweis für die Hilflosigkeit und den misslungenen Versuch der US-Streitkräfte, "Law and Order" im Irak herzustellen.

Direkte Verbindungen zu Geiselnehmern seien völlig absurd, erklärte Ahmad al Sheik, der Chefredakteur vom Sender Al-Dschasira, der in Bagdad ein Büro mit 80 Mitarbeitern unterhält und in jeder irakischen Stadt mit einem Korrespondenten vertreten ist. "Der Kontakt zu den Kidnappern ist immer über oft mehrere Mittelsmänner gelaufen", sagte der Al-Dschasira-Chef auf CNN. "Die Leute trauen uns einfach. Außerdem haben wir die gleiche Sprache und brauchen keine arabischen Übersetzer." Al-Dschasira würde einfach die Wahrheit zeigen, wie sie eben ist, sagte Ahmad al Sheik zum Schluss. Man werde in jedem Falle so weiter machen wie bisher. Egal, wem das passt oder nicht.

Ein Verbot wäre nichts Neues für den Sender aus Katar. Während der laufenden US-Invasion des Iraks vor einem Jahr war Al-Dschasira vom Hussein-Regime noch die Arbeitsgenehmigung entzogen worden. Nun droht nicht das erste Mal das selbe Spiel mit dem US-Militär (Medienkrieg im Irak), dem der Sender schon seit langem ein Dorn im Auge ist (Fallen der Propaganda). Während der Bombardierung von Afghanistan hatte sich zuerst Colin Powell, dann Dr. Rice höchstpersönlich beim Emir in Katar über die "unausgeglichene Berichterstattung" beschwert (Sex, Religion und Politik). Als das nichts half, fiel zufällig eine Bombe aufs Büro des Senders in Kabul. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt oder getötet. Ein Jahr später allerdings musste ein Kameramann sterben, als bei einem US-Luftangriff das Büro von Al-Dschasira getroffen wurde (Bombenzensur oder "Kollateralschaden"?). Zur gleichen Zeit hatte auch ein US-Panzer das Palästina Hotel beschossen, in dem die westlichen Pressevertreter untergebracht waren und einen spanischen und ukrainischen Journalisten getötet. (Beseitigung und Einschüchterung der Augen der Weltöffentlichlichkeit)

In diesen Tagen verlassen nicht nur zivile Helfer und Arbeiter die irakische Hauptstadt angesichts der "prekären Sicherheitslage". Auch immer mehr Journalisten entschließen sich, den Krieg hinter sich zu lassen. Die wenigen, die bleiben, verlassen kaum das Hotelareal, aus Angst vor Entführung und Übergriffen. Ein Verbot von Al-Dschasira und Al-Arabia käme dem US-Militär ganz Recht. Die verbliebenen Journalisten, möglichst aus den Koalitionsländern, stehen unter ihrem besonderen Schutz.