Finanzkrise erschüttert Börsen und erreicht endgültig Europa
Das umstrittene Rettungspaket erhielt keine Mehrheit, während weltweit immer mehr Banken auf der Kippe stehen und die Kursen an den Börsen einbrechen
Das umstrittene Rettungspaket für die US-Finanzbranche wurde am Montag überraschend im Repräsentantenhaus abgelehnt, obwohl sich zuvor die beiden großen Parteien geeinigt hatten. Statt der US-Regierung, wie gewünscht, einen Blankoscheck auszustellen, hatten die Demokraten viele Änderungen eingebaut.
So sollte es eine Kontrolle über die eingesetzten Mittel geben, die auch nur in Tranchen ausgegeben werden sollten. Zunächst sollten für 250 Milliarden US-Dollar wertlose Kredite, Derivate und Wertpapiere aufgekauft werden. Mit dem Emergency Economic Stabilization Act sollte verhindert werden, dass Banken durch die Rückkaufaktion noch Profite einstreichen. Millionen-Abfindungen an Spitzenmanager, die für die Lage ihrer Finanzinstitute verantwortlich sind, sollte es nicht geben und für die Bezüge von Managern sollten Obergrenzen eingezogen werden. Doch letztlich waren die berechtigten Zweifel der Abgeordneten zu groß.
Die Fragen standen im Raum, ob der Umfang mit 700 Milliarden Dollar ausreiche und ob eine Rettung überhaupt sinnvoll ist. Die Finanzmärkte waren ohnehin schon abgestürzt, bevor die Entscheidung der US-Abgeordneten fiel. Verantwortlich dafür war auch, dass die Finanzkrise nun so richtig Europa erreicht hat. Das zeigen die hektischen Rettungsaktionen für die Hypo Real Estate, Fortis und Bradford & Bingley.
"Die Party ist vorbei", diktierte die demokratische Präsidentin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi den Journalisten stolz in die Notizbücher. Die beiden großen US-Parteien hätten mit dem Gesetz eine klare Botschaft für die Wall Street ausgesendet, meinte Pelosi. "Die Zeit der Goldenen Fallschirme für abgehobene Wall Street Akteure ist vorbei. Die Steuerzahler werden für die Rücksichtslosigkeit der Wall Street nicht länger aufkommen", sagte sie.
Zuvor hatten sich Demokraten und Republikaner auf den Rettungsplan geeinigt. Die Nachricht wurde noch am späten Sonntag (Ortszeit) verbreitet, um vor der Öffnung der Börsen in Asien am Montag für Ruhe an den Finanzplätzen zu sorgen. Präsident George W. Bush hatte sich noch einmal eindringlich dafür ausgesprochen, den Plan schnell zu verabschieden. Mit dem "gewagten Gesetz" solle verhindert werden, dass sich die Probleme auf die Gesamtwirtschaft ausweiten, sagte er. Ohne die Zustimmung zum Paket "könnten die Kosten katastrophal" werden. Doch das sahen die Volksvertreter anders. 228 stimmten mit Nein, nur 205 mit Ja und versenkten das Vorhaben. Abgelehnt wurde das Paket von Abgeordneten beider Parteien.
Der Plan aus drei "zusammengeschusterten" Seiten des Finanzministers Henry Paulson war zunächst auf 106 Seiten angewachsen und schwoll noch im Laufe des Montags auf 109 Seiten an. Unterstellte man, dass dieses Paket tatsächlich zur Rettung des US-Finanzsystems ausgereicht hätte, wären die Steuerzahler erneut mit bis zu 700 Milliarden Dollar zur Kasse gebeten worden, um die größte staatliche Intervention der US-Regierung auf den Finanzmärkten seit der Weltwirtschaftskrise 1929 auf den Weg zu bringen.
Das Bankensterben setzt sich fort
Schon vor der Entscheidung im Repräsentantenhaus war bekannt geworden, dass die große Citigroup, die im Rahmen der Finanzkrise selbst viele Federn lassen musste, nun die gestrauchelte Wachovia-Bank übernimmt. Im Januar wurde sogar schon einmal über eine Pleite der größten US-Bank spekuliert. Doch die übernimmt nun 42 Milliarden Dollar Schulden von Wachovia, für den Rest wird die US-Einlagensicherungsfonds FDIC einstehen. Allein die Schuldenlast der in Charlotte im Bundesstaat North Carolina ansässigen Wachovia wird auf 312 Milliarden Dollar geschätzt. Wie die FDIC die schultern will, ist unklar. Schließlich waren die Einlagen schon Ende August auf 45 Milliarden Dollar geschrumpft.
Seither geht das Bankensterben ungebremst weiter, zuletzt mit der Washington Mutual. Der Fall Wachovia zeigt auch, dass die Übernahme anderer Banken keinesfalls bedeutet, dass der Käufer solvent ist. Schließlich wollte ausgerechnet Wachovia die angeschlagene Investmentbank Morgan Stanley in die rettenden Arme schließen (Erneuter Börsenabsturz und neue Milliardenspritzen). Der Deal platzte, als sich Morgan Stanley und Goldman Sachs mit der Umwandlung in Geschäftsbanken unter die Fittiche der Einlagensicherung retteten.
Der geplatzte Plan
Geplant war, dass die US-Regierung wertlos gewordene Kredite, Derivate und Wertpapiere aufkauft, dafür die Rekordverschuldung des Staates in Kauf nimmt und nach den bisherigen Verstaatlichungen weitere Milliardenbelastungen auf die Steuerzahler abwälzt. Paulson sollte zunächst für 250 Milliarden Dollar die illiquiden Vermögenswerte der Banken kaufen. Der Staat sollte im Gegenzug Aktienbeteiligungen erhalten, die er theoretisch bei einer zukünftigen Erholung der Kurse wieder einlösen könnte, um die Belastungen für die Staatskasse zu verringern. Eine Versicherung für hypothekenbesicherte Wertpapiere sollte die Risiken für die Steuerzahler verringern. Denn diese Mortgage backed securities (MBS) haben eine große Verantwortung für die Größe der Finanzkrise (Unsichere Versicherer). Sie sind durch kein Eigenkapital abgesichert, weshalb die ausgebenden Institute kein Ausfallrisiko hatten. Viele Banken waren zum Geldverleih bereit, ohne auf die Rückzahlungsfähigkeit zu achten. Das Eigenkapital sollte nun von den Geldinstituten gebildet werden, die solche Papiere ausgeben, und sie müssen dem Staat eine Sonderabgabe zahlen.
Dass Paulson zunächst nur einen Teil der Gesamtsumme von 700 Milliarden erhalten sollte, war eine der wichtigen Veränderungen, die sich im Laufe der Verhandlungen abgezeichnet hatten. Die zweite Tranche von 100 Milliarden sollte er erst nach einem Rapport im Parlament erhalten. Für die dritte und größte Tranche von 350 Milliarden wäre eine Zustimmung des Kongresses nötig gewesen, wogegen aber der Präsident ein Veto hätte einlegen können. Zur direkten Kontrolle waren mehrere Gremien vorgesehen. Darin sollen unter anderem Vertreter des Kongresses, das Finanzministerium und der Präsident der US-Notenbank (FED), Ben Bernanke, vertreten sein.
Banken, welche Hilfe in Anspruch nehmen wollten, sollten Restriktionen unterworfen werden. Das sollte auch für die Entlohnung und Abfindung von Managern gelten. "Goldene Handschläge", also die frühzeitige Verabschiedung von Managern mit den entsprechenden Millionenabfindungen, wie sie sogar nach der Pleite von Lehman gezahlt werden, sollte es nicht mehr geben. Das galt aber nur, wenn der Staat "toxische" Papiere im Wert von mehr als 300 Millionen Dollar erstanden hätte. Die Jahresgehälter der Manager sollten auf 500.000 Dollar beschränkt werden. Boni sollten zurück gefordert werden können, wenn sich heraus stellt, dass die Geschäfte, die zu ihrer Gewährung geführt haben, letztlich doch zu Verlusten führten.
Erst nach fünf Jahren sollte Bilanz gezogen werden. Der US-Präsident hätte dann einen Vorschlag vorlegen müssen, wie aufgelaufene Verluste ausgeglichen werden. Falls die übernommenen Papiere dann noch immer unter dem Wert liegen, zu dem sie gekauft wurden, oder die Institute in den Bankrott abgeschmiert sind, sollte die Regierung gezwungen sein, die Verluste auszugleichen. Erst dann sollten Steuern und Abgaben auf Transaktionen am Geldmarkt fällig werden.
Erstaunlich, dass nicht sofort die Verursacher der Krise dafür auch zur Kasse gebeten werden sollten. Beim Schutz der Hausbesitzer wurde allerdings deutlich schwammiger formuliert. Durch den Aufkauf von faulen Krediten sollte der Staat das Recht erhalten, die Konditionen für die Kreditzurückzahlung zu ändern. So hätten die Zwangsvollstreckungen, die sich derzeit in großer Zahl ereignen, ausgesetzt werden können. Doch dies wurde nicht verbindlich festgeschrieben, und es war nur eine Hoffnung, dass der Staat sich auch noch nach den Wahlen als geduldigerer Gläubiger zeigt. Allerdings verbarg sich dahinter auch der Versuch, die fallenden Preise zunächst zu stabilisieren. Denn immer mehr Hausbesitzer werden aus Geldnot dazu gezwungen, ihre Immobilien zu schlechten Preisen zu verkaufen, was die Preise weiter unter Druck bringt.
Die Börsen stürzen ab
Eigentlich war niemand wirklich davon überzeugt, dass die 700-Milliarden-Dollar-Spritze der erfolgreiche Befreiungsschlag werden würde und die Liste der Kritiker wurde immer länger. Das fing schon mit der Summe an. Denn man darf davon ausgehen, dass drei Billionen Dollar oder mehr als faule Kredite in den Büchern der Finanzinstitute schlummern. Zu heftig war der Zick-Zack Kurs von Paulson und Bernanke, um ihnen nun das Paket glaubwürdig abzukaufen. Denn die aufgestellten Regeln sollten nur für die gelten, welche die Hilfen in großem Umfang in Anspruch nehmen. Zudem zeigte auch das dieses Rettungspaket, dass im Finanzministerium und in der FED noch immer die Devise gilt, dass man niemanden abstürzen lässt, der "too big to die" ist. Die ausgesprochene Warnung, indem man Lehman in die Pleite gehen ließ, wurde mit der Rettung des Versicherungsriesen AIG schnell wieder begraben. Damit wurden sogar fast alle eherne Notenbank-Prinzipien gebrochen, die bis dahin noch bestanden.
So ist für alle klar geworden, dass nach diesem Rettungsplan der nächste kommen würde, wenn das nächste Desaster ansteht. Deshalb haben die Abgeordneten, aus Angst vor den Wählern, denen es langsam zu bunt wird, dieses Paket abgelehnt. Nach einem kurzen Kursfeuerwerk, nach der Ankündung des Plans, hatte sich auch an den Aktienmärkten immer mehr die Stimmung breit gemacht, dass der das Problem erneut nur weiter verschieben würde. Anders als Bush behauptet, geht er nicht an die Wurzel des Übels. Dass die Börsen am Montag sogar trotz der frohen Botschaft der Einigung abgestürzt sind, hat das gezeigt. Der Dax hatte noch vor der Ablehnung im Repräsentantenhaus 4,2 % an Wert verloren und war auf ein neues Jahrestief gesunken. In London und Paris waren es sogar etwa 5 %. Der Dow fiel nach der Ablehnung des Rettungspakets durch das Repräsentantenhaus um fast 800 Punkte oder 7 Prozent herunter – ein neuer Rekord für einen Tag.
Die Krise hat nun Europa erfasst
Dafür war aber auch verantwortlich, dass nun für alle deutlich ist, dass die Bankenkrise auch Europa richtig erreicht hat. Etliche Geldinstitute mussten am Montag hektisch gerettet werden. Mit der Münchner Hypo Real Estate (HRE) traf es nun das erste Dax-Unternehmen. Der Immobilienfinanzierer musste durch kurz- und mittelfristige Kredite in Milliardenhöhe vor der Pleite bewahrt werden. Teuer wird das erneut für die deutschen Steuerzahler. Der Bund ist mit einer Bürgschaft von 26,6 Milliarden an einem Hilfspaket von Privatbanken beteiligt, das eine Gesamthöhe von 35 Milliarden Euro hat. Es gehe um die geordnete Abwicklung der HRE, sagte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Die Aktiva der Hypo Real Estate sollten in eine Zweckgesellschaft eingebracht werden, "so dass dabei die vorhandenen Assets so vermarktet, so liquidiert werden können, dass man in einem geordneten Verfahren ohne Verletzungen für alle Beteiligten herauskommt", sagte Steinbrück, Die Probleme rühren vor allem von einer irischen Tochter, die wegen der Vertrauenskrise Probleme mit der kurzfristigen Refinanzierung erhielt. Die HRE hatte Depfa erst Ende 2007 für 5 Milliarden Euro übernommen.
Auch der belgisch-niederländische Finanzkonzern Fortis musste in einer Gemeinschaftsaktion mehrerer Länder vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Die Regierungen Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs bewahrten mit 11,2 Milliarden Euro Fortis vor der Pleite. "Wir hätten uns raushalten können - aber dann wäre es die Frage gewesen, ob Fortis den Montag überlebt hätte", sagte der niederländische Finanzminister Wouter Bos. Fortis soll ihren erst 2007 für 24 Milliarden Euro erworbenen Anteil am ehemaligen Rivalen ABM Amro abstoßen. Daran soll die niederländische ING interessiert sein. Fortis ist die größte Bank Belgiens und die Nummer zwei in den Niederlanden. Sie wurde nun verstaatlicht. Belgien zahlt 4,7 Milliarden und übernimmt im Gegenzug 49% an der belgischen Banktochter der Fortis-Gruppe. Die Niederlande zahlen 4 Milliarden für 49% der niederländischen Tochter und Luxemburg lässt sich die 49% in seinem Land 2,5 Milliarden Euro kosten.
Ähnlich sah es in Großbritannien aus, wo nach Northern Rock nun die nächste Bank verstaatlicht werden musste. Erneut müssen die Steuerzahler einspringen, um die Pleite der Hypothekenbank Bradford & Bingley (B&B) abzuwenden. Die britische Regierung übernahm faule Kredite in Höhe von 63 Mrd. Euro. Die Spareinlagen und das Filialnetz hat sich für 770 Millionen Euro der spanische Bankenriese Santander einverleibt. Und mit den drei Fällen ist nun klar, dass dies erst der Anfang ist. Auch hier pumpen die Notenbanken nun erneut jeden Tag Unsummen in die Kapitalmärkte. Doch das alles wird nichts nutzen, solange die Banken nicht wirklich die Karten auf den Tisch legen und derlei Treiben unterbunden wird. Von "Transparenz" ist noch immer nichts zu sehen, die von denen eingefordert wurde, die auch keine Krise in Europa sehen wollten (Krise? Welche Krise?).