Fortsetzung im "Theater der Grausamkeit"

Angeblich wurde die zweite US-Geisel von den Terroristen ermordet, ein grausames Vorspiel, um die Briten unter Druck zu setzen

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Entführungen von Ausländern und auch die Ermordung von Geiseln häufen sich, während der Irak immer mehr im Chaos und möglicherweise auch im Bürgerkrieg versinkt (Der "zweite Krieg" im Irak). US-Präsident Bush versucht, weiterhin unbeirrt daran festzuhalten, dass der Irak-Krieg richtig war. Nun schlug er auch in seiner Rede vor der UN, die er vor dem Irak-Krieg gegeißelt hatte, versöhnliche Töne an und bat um Mitarbeit im Irak, da die USA und die UN dieselben Ideale teilten und es seiner Regierung vor allem um die "menschliche Würde" gehe. UN-Generalsekretär Kofi Annan gab sich hingegen distanziert und forderte mit deutlichem Blick auf die US-Regierung die Stärkung des internationalen Rechts.

Die erste amerikanische Geisel, Eugene Jack Armstrong, bevor er ermordet wurde. Die maskierten und bewaffneten Mitglieder der Gruppe präsentieren sich in der schon zum Ritual gewordenen Inszenierung einer Exekution. Der "Urteilsspruch" wird von einem Papier abgelesen.

Schon vorgestern hatte die Terrorgruppe Al-Tawhid wa al-Dschihad, die als eine der ersten mit Entführungen von Ausländern zur Durchsetzung politischer Forderungen begonnen und auch den ersten Amerikaner geköpft hatte, die erste amerikanische Geisel hingerichtet - und dies wie üblich in einem grausigen Video dokumentiert, auf dem die wachsende Angst des gefesselten und mit einer Augenbinde versehenen Amerikaners zu sehen ist, der weiß, was mit ihm in diesem "Theater der Grausamkeit" gleich geschehen wird. Angeblich soll die Ermordung Sarkawi selbst, der mysteriöse Führer der Gruppe, auf den ein Kopfgeld in Höhe von 25 Millionen Dollar ausgesetzt ist, vorgenommen haben. Der meist al-Qaida zugeordnete Sarkawi dürfte, falls er tatsächlich noch leben sollte und nicht ein Phantom ist, auf eigene Rechnung agieren.

Mit der Bekanntgabe, zwei Amerikaner und einen Briten gefangen genommen zu haben, forderte die Terrorgruppe - strategisch vermutlich nicht ungeschickt - innerhalb von 48 Stunden die Freilassung aller muslimischen Frauen, die in Abu Ghraib oder in Umm Qasr. Fraglich ist, ob sich immer noch Frauen in den Gefängnissen befinden. Das US-Militär vedrsichert, dass mittlerweile alle weiblichen Gefangenen, es sollen insgesamt 45 gewesen sein, aus Abu Ghraib entlassen wurden. Die Geiselnehmer, die sich vermutlich ihre Opfer einkaufen oder deren Entführung bestellen (Der Entführungsmarkt), profitieren in diesem Fall vermutlich bei manchen Muslimen von der Geheimhaltungspraxis der Amerikaner und den Gerüchten über Misshandlungen von weiblichen Gefangenen. Angeblich sind nur noch zwei Frauen in Haft, darunter Rihab Rashid Taha, die für das biologische Waffenprogramm zuständig war, aber diese "Sicherheitshäftlinge" befänden sich weder in Bagdad noch in Umm Qasar. Die britische Regierung beteuert, sie habe keine weiblichen Gefangenen. Spätestens seit dem Bekanntwerden der Misshandlungen in Abu Ghraib glauben viele Iraker, dass die amerikanischen Soldaten auch weibliche Gefangene misshandelt oder vergewaltigt haben. Angeblichen zirkulieren Bilder im Irak, die solche Misshandlungen zeigen, berichtet der Telegraph. Und Bilder spielen bekanntlich eine große Rolle für die Meinungsbildung. Die Bilder der Misshandlungen in Abu Ghraib sind entsprechend weit verbreitet und dienen auch dazu, Stimmung gegen die Amerikaner und ihre Intentionen zu machen.

Update: Noori Abdul Raheem, ein Sprecher des irakischen Justizministeriums, erklärte heute, dass die irakische Regierung eine der beiden weiblichen Häftlinge frei lassen werde, nämlich Rahib Rashid Taha oder "Dr. Germ" (vgl. Der Irak, biologische Waffen und der neue Krieg). Auch über die andere Gefangene, Huda Ammash oder "Mrs Anthrax", werde diskutiert. Eigentlich werden diese beiden Frauen wie auch Saddam Hussein und andere hochrangige Mitglieder des ehemaligen Regimes von den Amerikanern gefangen gehalten, daher ist noch unklar, ob die Ankündigung der irakischen Regierung, die nun offensichtlich den Terroristen nachgeben will, auch umgesetzt wird. Ein Sprecher des US-Militärs sagte denn auch, er wisse nichts über eine solche Entscheidung. Natürlich versichert Raheem, dass die Entscheidung nichts mit den Forderungen der Geiselnehmer zu tun habe, sondern dass ihr Fall schon lange diskutiert werde, da sie mit den Behörden kooperiert habe. Ob die Freilassung von Taha die Geiselnehmer bewegen würde, den Briten deswegen nicht zu töten, ist eher unwahrscheinlich.

Allerdings muss den Terroristen klar gewesen sein, dass die US-Regierung im Unterschied zu anderen Mitgliedern der Koalition auf keinen Fall der Erpressung nachgeben würde. Die Ermordung der Geiseln war also bereits im Drehbuch der Gruppe vorgesehen, die ihre blutige Entschlossenheit auch schon früher demonstriert hat und versucht, sich mit ihren Aktionen von den konkurrierenden anderen Gruppen abzusetzen.

Aus der Perspektive der Geiselnehmer war es denn auch strategisch richtig, nach dem Ablauf des Ultimatums den zweiten Amerikaner zu ermorden. Das zumindest wurde von der Gruppe, sofern dies zutrifft, auf einer Website gemeldet - und schon einmal, um die Medien anzulocken, versprochen, dass bald das Video mit der Ermordung oder der inszenierten Exekution gepostet würde. Die Betreiber der dazu benutzen Website www.ansarnet.ws versichern auch auf englisch, dass die Postings nicht von ihnen selbst stammen und auch nicht zuvor kontrolliert werden. Jeder könne hier Mitteilungen und Links veröffentlichen. Daher werde ansarnet auch missbraucht. Man macht aber uneindeutig deutlich:

It is ANSARNET.WS's policy, and it is published on the top of the bulletin board in Arabic, not to allow any posting which contains incitement to violence or could be interpreted as an original statement or publication of terrorist groups. These postings could stay for a short while before being noticed and removed by the web-master.

Die Geiselnehmer haben folglich ihre Entschlossenheit demonstriert und über die Medien der Weltöffentlichkeit mitteilen können, dass nach den beiden Amerikanern der Brite das nächste Opfer sein wird, falls die Forderung nicht erfüllt wird. In Großbritannien ist eine große Mehrheit der Menschen für den Abzug der britischen Truppen aus dem Irak: 71 Prozent. Hier könnte die Drohung und dann die Ermordung der Geisel die Regierung sehr viel stärker unter Druck setzen, als dies im Fall der US-Regierung, die gegenwärtig vor allem auf die anstehende Wahl sieht, möglich ist. So fordert die Familie des gefangenen Briten Ken Bigley von ihrer Regierung, dass sie den Terroristen nachgibt.