Gedankenkontrolle: Die neue Tatort-Folge aus wissenschaftlicher Sicht

Seite 2: Soldaten mit Super-Helm

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Damit kommen wir zum zweiten Beispiel, dem Helm. Es gibt tatsächlich Versuche, durch Verwendung von Neurotechnologie etwa die Aufmerksamkeit oder den Stress von Soldaten im Einsatz zu überwachen und mit Verfahren wie der Transkraniellen Magnetstimulation (TMS) zu beeinflussen. Die Beeinflussung - oder Verbesserung - wird von manchen auch im Rahmen der Neuroenhancement- beziehungsweise Gehirndoping-Debatte diskutiert. In der Tatort-Folge wurde das Verfahren so dargestellt, dass man die entsprechenden psychischen Fähigkeiten mit einem Schieberegler auf der Benutzeroberfläche der Steuerungssoftware stufenlos herauf- oder herunterregeln kann.

Auch hier will ich erst noch einen allgemeinen Punkt anmerken: Wenn man sich überlegt, ob man Aggressivität, Aufmerksamkeit oder Fokussierung mit technologischen, pharmakologischen oder rein psychologischen (denken wir etwa an Meditation) Mitteln beeinflussen kann, dann sollte man einen Moment bei der Natur dieser Begriffe innehalten. Es handelt sich um Wörter, die uns selbstverständlich erscheinen, weil wir in diese Sprache - mit Wittgenstein könnte man sagen: in dieses Sprachspiel - hineingewachsen sind. Das nennt man manchmal auch unsere "Alltagspsychologie", also die Art und Weise, wie wir es gewohnt sind, über uns als Menschen mit Gedanken, Erfahrungen und Gefühlen zu sprechen.

Ein kurzer Blick auf Googles Ngram Viewer, der die Häufigkeit bestimmter Wörter in einer Textsammlung von (u.a. deutschen) Büchern veranschaulicht, zeigt aber, dass etwa "Fokussierung" vor 1980 kaum verwendet wurde. Sogar "Aggressivität" scheint erst seit ca. 1900 im Deutschen in nennenswerter Zahl vorzukommen. "Aufmerksamkeit", wobei nicht klar ist, inwiefern es hier auch um eine Verwendung im Sinne von "Geschenk" geht oder "Liebe", lässt sich demgegenüber schon viel länger in den Büchern finden, mindestens seit 1800. Noch deutlicher ließe sich das an psychischen Störungen zeigen: Auf einmal sind ganz viele "hysterisch" oder haben sie "multiple Persönlichkeiten", "Burn-out" und so weiter - und ein paar Jahre später wird kaum noch darüber geredet (Aus Sicht der Wissenschaftstheorie).

Auf Grundlage der von Google digitalisierten Bücher sieht man, dass manche psychologischen Begriffe erst seit einigen Jahrzehnten verwendet werden (der Übersicht halber hier nur die Jahre 1940 bis 2000). Das erinnert uns daran, dass die Art und Weise, wie wir über uns selbst sprechen, kulturell und historisch geprägt ist. Quelle: Google Books NGram Viewer

Auch wenn manche solche philosophischen Fragen nerven, kann man doch nicht von der Hand weisen, dass man erst einmal wissen muss, was Aufmerksamkeit überhaupt ist, wenn man sie wissenschaftlich untersuchen oder gezielt beeinflussen will. Fachfremde würden sich wahrscheinlich wundern, wie viele unterschiedliche Definitionen - in Fachkreisen nennt man es auch "Operationalisierungen" - von "Aufmerksamkeit" Psychologen, Hirnforscher, Mediziner und wer noch alles verwenden. Oder um bei der Liebe zu bleiben: Eine ehemalige Studentin von uns hat in einem privaten Hobbyprojekt über hundert Menschen in Berlin dazu befragt, was Liebe eigentlich ist - und ungefähr hundert unterschiedliche Antworten bekommen.

Begriffliche Unschärfe

Wenn man im Supermarkt Tomaten kaufen will, dann wissen die allermeisten (aus unserem Kulturkreis) wahrscheinlich nicht nur, wonach sie suchen müssen, sondern auch, wo sie das finden werden (nämlich in der Gemüse-Abteilung). Wenn man stattdessen Gemüse kaufen will, dann wird es abstrakt: Obwohl es zweifellos Gemüse im Supermarkt gibt, kann man es nicht so kaufen wie Tomaten. Nun ist unser Gehirn nicht so aufgebaut wie ein Supermarkt, und gibt es keine Abteilungen wie für die verschiedenen Produkte oder Gemüsesorten. Man weiß also weder genau, wonach man sucht, noch, wo man es genau findet.

Unter dem heutigen Produktivitätszwang haben natürlich die wenigsten Forscher noch Zeit dafür, sich mit solchen tiefgreifenden Fragen zu beschäftigen. Wer grübelt, publiziert nicht - und ohne Publikationen verlieren Forscher ihre Stellen oder zumindest Karrierechancen ("publish or perish"). Deshalb verwendet man ganz pragmatisch diejenigen Definitionen, die für das Ausführen von Experimenten und Publizieren wissenschaftlicher Arbeiten nützlich sind.

Diese begriffliche Unschärfe rächt sich aber spätestens dann, wenn man etwa diese Eigenschaft "Aufmerksamkeit" in der Praxis beeinflussen will. Natürlich ist das nichts, womit sich das Tatort-Team auseinandersetzen müsste. In diesem Artikel geht es aber um wissenschaftliche Fragen. Und darum will ich darauf hinaus, dass man zwar mit ganz unterschiedlichen Verfahren - Drogen, Medikamenten, elektrischer Stimulation, Tanz, Meditation und so weiter - Eigenschaften beeinflussen kann, die man als "Aufmerksamkeit" bezeichnen könnte. Man sollte aber nicht denken, dass es darum so etwas wie ein "Aufmerksamkeitsmodul" im Gehirn gäbe. Und das war tatsächlich auch einer der Fallstricke für die bildgebende Hirnforschung, der inzwischen zu erheblicher Ernüchterung geführt hat.

Das heißt, man sollte nicht davon ausgehen, dass es im Gehirn oder irgendwo sonst im Körper ein einfaches Merkmal gibt, das man in Aufmerksamkeit übersetzen könnte, wie man mit einem Drehschalter die Lautstärke seiner Musik beeinflussen kann. In diesem Sinn mein Fazit zu dem zweiten Aspekt aus dem Tatort: Ja, mit elektrischer Stimulation lassen sich prinzipiell psychische Eigenschaften beeinflussen. Man darf sich das aber nicht zu einfach vorstellen.

Genauso, wie es bisher keine Glückspille gibt oder keinen Liebestrank, auch wenn man seit Jahrhunderten danach sucht, gibt es dafür kein elektrisches Modul in einem Helm. Zwar könnte man die genannten Eigenschaften grob beeinflussen, würde dabei aber auch viele andere Prozesse verändern. Und das ruft nicht nur zahlreiche Nebenwirkungen auf den Plan, sondern stößt irgendwann auch an seine natürliche Grenze. So kommt es dann ja auch in der Tatort-Folge zum Zusammenbruch der Soldatin, an der die Funktion des Helms ausprobiert wurde.

Strahlenwaffen

Bei der dritten Frage ging es darum, ob man mit einer Strahlenwaffe aus der Ferne in den Körper eingreifen und so unter Umständen sogar einen Herzstillstand hervorrufen könnte. Das ist nun nicht mein Fachgebiet. Aber prinzipiell kann man Energie, sei es in Form von elektromagnetischen Wellen oder Licht (Laser), auf ein bestimmtes Ziel richten. Wir wissen ja, dass sogar beim Telefonieren mit einem schlichten Mobiltelefon ein Teil der Strahlung vom Körper als Wärme absorbiert wird. Deshalb gibt es Grenzwerte dafür, wie stark die elektromagnetischen Wellen sein dürfen.

Wenn man sich nun nicht um solche Grenzwerte scheren muss, weil man eine Waffe entwickelt, und dann auch noch Details über Gewebe im Körper (etwa des Herzmuskels) kennt, dann halte ich es durchaus für möglich, aus der Ferne einen tödlichen Schaden anzurichten. Das kann man mit anderen Waffen natürlich auch, wenn auch vielleicht weniger unauffällige. Mein Fazit zum dritten Punkt ist also, dass ich so eine Strahlenwaffe für realistisch halte.