Geschlechtsverkehrshäufigkeit unter Amerikanern nimmt ab

Grafik: TP

Trend wird auch in Großbritannien, Deutschland, Südkorea und Japan beobachtet

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Einer im Archives of Sexual Behavior erschienenen Studie zufolge hatten amerikanische Erwachsene 2013 deutlich weniger Sex als in den 1990er Jahren: Bei Verheirateten sank die Zahl der jährlichen Geschlechtsakte zwischen 1989 und 2014 von durchschnittlich 67 auf durchschnittlich 56. Bei den Singles blieb die Frequenz relativ gleich, aber da diese Gruppe weniger Sex hat als die der Verheirateten, trug ihr heute größerer Anteil an der Gesamtbevölkerung zum Rückgang der allgemeinen Frequenz bei.

Die sexuelle Aktivität ging unabhängig davon zurück, welches Geschlecht, welche Hautfarbe und welchen Bildungsstand jemand hat, wo er wohnt, was er arbeitet und ob er verheiratet ist. Lediglich zwischen den verschiedenen Altersgruppen gibt es Unterschiede: Bei den Über-70-Jährigen stieg die Zahl der jährlichen Geschlechtsakte von durchschnittlich 9,6 1989 auf durchschnittlich fast 11 2014, wozu womöglich auch neue Potenzmedikamente wie Viagra beitrugen, die dazwischen auf den Markt kamen. Die in den 1980er und 1990er Jahren geborenen "Millennials" und die jüngsten Erwachsenengruppe der "Generation Z" haben dagegen weniger Sex als alle vor ihnen gemessenen Generationen.

Trend zeichnet sich schon länger ab

Dieser Trend zeichnet sich in den USA schon in mehreren anderen Studien ab (vgl. Vor allem bei jungen Männern geht der Sex verloren): Dass es unter Amerikanern, die in den 1990er Jahren auf die Welt kamen, doppelt so viele sexuell Inaktive gibt wie unter jenen, die in den 1960er Jahren geboren wurden, weiß man bereits seit 2016 (vgl. Junge Amerikaner: Liberaler, aber weniger Sex). Und Studien aus Großbritannien (Keine Arbeit oder mehr Arbeit - auf jeden Fall weniger Sex), Deutschland (vgl. Viele Singles sind nicht mehr auf Partnersuche aus), Südkorea (vgl. In Südkorea gibt es die schnellste Zunahme von Singlehaushalten) und Japan deuten darauf hin, dass das Phänomen der zurückgehenden sexuellen Aktivitäten nicht auf die USA beschränkt ist.

In Japan, wo es am stärksten ausgeprägt scheint, ermitteln die dort alle zwei Jahre durchgeführten Umfragen immer niedrigere Durchschnittswerte: 2016 gaben 47 Prozent der verheirateten Befragten an, der letzte Geschlechtsverkehr sei wenigstens einen Monat her. Und unter den 18-24-Jährigen Singles outeten sich von den Männern 47,9 Prozent und von den Frauen 52,9 Prozent als unberührt (vgl. Sex ist Mühsal). 2013 hatte eine Umfrage enthüllt, dass 45 Prozent der jungen Frauen zwischen 16 und 24 Jahren und über 25 Prozent der jungen Männer im selben Alter an sexuellen Kontakten überhaupt nicht interessiert sind.

Für das, was diese Studien ermittelten, gibt es in Japan sogar einen Namen: Sekkusu Shinai Shokogun - das "Zölibatssyndrom". Für heterosexuelle Männer existiert zusätzlich der Begriff Soshoku Danshi - "Pflanzenfresser". Personen mit Zölibatssyndrom haben zwar einen Sexualtrieb, halten aber den zu seiner Befriedigung im Körperkontakt mit anderen Menschen nötigen zeitlichen, wirtschaftlichen und emotionalen Aufwand häufig für unangemessen hoch - für "Mendokusai" (vgl. "Zölibatssyndrom" in Japan).

Umgekehrter statistischer Zusammenhang mit Arbeitsbelastung und Pornografiekonsum

Zu zwei potenziellen Ursachen, die in den älteren Studien zu diesem Phänomen immer wieder genannt werden, fanden die Autoren der neuen US-Studie keinen entsprechenden statistischen Zusammenhang: Ihrem Befund nach hängt die gesunkene sexuelle Aktivität weder mit der gestiegenen Arbeitsbelastung noch mit dem Konsum von (heute leichter verfügbarer) Pornografie zusammen. Im Gegenteil: Befragte, die mit langen Arbeitstagen und überdurchschnittlichem Pornokonsum auffielen, hatten sogar öfter Sex als der Durchschnitt.

Als mögliche andere Ursachen nennen die Autoren Freizeit- und Kommunikationsangebote, die 1989 noch nicht zur Verfügung standen: Soziale Medien wie Facebook, Computerspiele und Streaming-Sender wie Netflix.

Hinzu kommt vielleicht eine Entwicklung, die Michel Houellebecq 1998 in seinem Buch Elementarteilchen beschrieb: Mit der "sexuellen Revolution" löste ein entfesselter sexueller Wettbewerb die vorher relativ festen Zweierbeziehungen ab und sorgte dafür, dass sich der Kreis der aktiven Teilnehmer zunehmend auf Personen beschränkte, die möglichst wenig von einem Ken-und-Barbie-Ideal abwichen (vgl. Her mit dem "fucking manual"!).

"Schlaf ist der neue Sex"

Darüber hinaus wurde Sex auch weniger "sexy": Zum einen über eine Verunsicherung durch die SJW-Subkultur an Universitäten, die ein früher reizvolles Spiel mit Blicken und Noir-Film-Dialogen durch Bürokratie zu ersetzten versucht (vgl. Duke-Universität hält Seminare zu "toxischer Maskulinität" ab), zum anderen durch das öffentliche Anpreisen einer vorher mit dem Reiz des Verbotenen verbundenen Aktivität als Sport, Arbeitsvorbereitung und Arbeitgeberzusatzleistung.

Ein neues tabuisiertes Vergnügen, von dem man im 21. Jahrhundert potentiell immer zu wenig hat, ist dagegen der Schlaf - "Schlaf ist der neue Sex" brachte es die Kuratorin einer Ausstellung in Salzburg über "Schlafkunst" auf den Punkt.

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