Gewalt und Computerspiele

Seite 3: Trampelpfade im Gehirn

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Einer der Mitunterzeichner des Kölner Aufrufs ist der Hirnforscher Prof. Dr. Manfred Spitzer. Auch er tritt häufig im Zusammenhang mit der "Killerspiele"-Debatte in Erscheinung und führt dabei seine Kompetenz als Neurowissenschaftler ins Feld. Spitzer ist Psychologe und Mitgründer des Ulmer Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen. Dort versucht man pädagogische Konzepte auf der Basis von bestimmten neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zu entwickeln. Vieles an der Methodik ist orientiert an materialistischen (d. h. hirnphysiologischen) Vorstellungen von psychischen Lernprozessen. Für Spitzer heißt lernen beispielsweise "Trampelpfade im Gehirn" anzulegen, wie er es im Interview mit der Augsburger Allgemeinen ausführt: "Wenn Elefanten durch den Busch rennen, entsteht ein Trampelpfad. Das ist wie im Gehirn. Pfade, die begangen wurden, sind ausgetreten. Alle Erfahrungen werden gespeichert, wir merken uns das Allgemeine dahinter."

Manfred Spitzer. Foto: Bigbug21. Lizenz: CC BY-SA 2.5.

Das trifft nach Spitzer auch für die Erfahrung mit medialen Gewaltdarstellungen zu, die ihm zufolge für die virtuellen Gewalttäter großteils konsequenzlos bleibt: "Unser Hirn sagt: Es gibt viel Gewalt, selten eine Alternative, sie tut nicht weh und man kommt davon. Das kann nicht an uns vorübergehen. Es ist nicht egal, was wir mit dem Gehirn machen. In der Folge führt mediale Gewalt zu mehr realer."5 Von seiner Warte aus betrachtet erscheint es konsequent, dass das Spielen von Computerspielen, das multisensorisch, mit Wiederholungen und Emotionen verbunden ist, als ein intensiver Lernprozess angesehen wird. Einmal auf eine solche neurophysiologische Ebene herunter gebrochen, lässt sich allerdings schlecht gegen ein "Killerspiele"-Verbot argumentieren. Man hat doch nun im EEG, Tomographen oder mit anderen Instrumenten gemessen, was sie mit dem Gehirn anstellen. Und die Auswirkungen davon hat Manfred Spitzer in einem Experiment selbst vorgeführt. Im Deutschlandfunk beschreibt er dies 2006 im Deutschlandfunk wie folgt:

"Man lässt Leute ein gewalttätiges Computerspiel spielen oder eben was anderes und hinterher guckt man, wie gewalttätig sind die. Und auch das kann man experimentell messen. Man lässt sie zum Beispiel einen Drink mixen aus Tabasco und Wasser. Und wenn die vorher ein Gewaltspiel gespielt haben, dann tun sie mehr Tabasco rein. Sie können das in Gramm Tabasco messen, dass die Leute vierfach - die tun da wirklich viermal mehr da rein -, vierfach aggressiver werden. Und es gibt eine Reihe von solchen Tests, wo man Aggressivität ganz objektiv messen kann. Und mit solchen Methoden kann man rausfinden: Ja, da gibt es einen Zusammenhang. Wir wissen auch, dass der Anblick einer Waffe den Testosteronspiegel ansteigen lässt. Das wissen wir mittlerweile. Ihr männliches Sexualhormon, was auch Aggression macht, ja, geht rauf, einfach nur, wenn Sie 15 Minuten mit einer Knarre spielen. Und solche Mechanismen, die kann dann die Hirnforschung liefern."

Derartige Experimente sind nicht nur dazu geeignet, das verzweifelte Bemühen aufzuzeigen, messbare Medienwirkungsforschung mit Hilfe von Würzsaucen zu verdeutlichen. Sondern auch denjenigen, die den Nexus zwischen Gewalt(darstellung) und Sexualität (Perversion) zuvor allenfalls rhetorisch "herbeigeredet" haben, gemessene Testosteron-Werte zu liefern. Subtil angedeutet wird dabei ja auch, dass das Vorhandensein von Testosteron bereits das Vorhandensein einer sexuellen Komponente bedeutet - ein fahrlässig verkürzter endokrinologischer Befund!

Das "Tabasco"-Experiment wurde durch andere Medien und insbesondere von Autoren, die sich gegen Computerspielzensur aussprechen, als Beleg für die Absurdität der Verbotsbegründungen aufgegriffen. Manfred Spitzer fordert ein solches Verbot allerdings nach wie vor, weiß aber auch, dass sich Computerspiele kaum vollständig verbieten lassen. Also schlägt er im Deutschlandfunk-Interview eine höhere Besteuerung derselben vor und unterstreicht damit ein markantes Argument gegen die Verbote: Computerspiele stellen mittlerweile einen nicht mehr zu vernachlässigenden Wirtschaftsfaktor dar.

Spiel nicht mit den Kellerkindern

Zwei andere Psychologen, der Auenwalder Dr. Rudolf H. Weiß und der Münchner Dr. Werner Hopf, lassen sich - trotzdem sie beide den Kölner Aufruf unterzeichnet haben - zunächst noch auf eine Debatte mit den Computerspielern ein. Nachdem das Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden e.V. im Juni 2010 eine Petition zum Verbot von "Killerspielen" beim Deutschen Bundestag eingereicht hatte und kurz darauf einen diesbezüglichen Appell an die Abgeordneten nachsandte, kritisierte der Verband für Deutschlands Video- und Computerspieler (VDVC), unterstützt durch die Jungen Piraten und den Pirate Gaming e.V. das Aktionsbündnis in einem offenen Brief. Darin wurde unter anderem moniert:

"Insgesamt vermissen wir die Sachlichkeit, die Ihr Handeln besonders im Gespräch mit dem Verband für Deutschlands Video- und Computerspieler auszeichnete. Leider aber sprechen Sie inzwischen wieder von "Killerspielen" - ein unsachlicher Kampfbegriff, der nicht nur irreführend ist, sondern auch von nicht wenigen Spielern als beleidigend empfunden wird: Er setzt diejenigen, die Ego-Shooter spielen, mit professionellen Auftragsmördern ("Killern") gleich. Auch verdeckt er, dass der Zweck von Ego-Shootern, entgegen den Aussagen Ihres Bündnisses, nicht das Trainieren von Mord und Totschlag ist, sondern der freundschaftliche, sportliche Wettbewerb in Reaktionsgeschwindigkeit, Gruppenkoordination und Taktik."

Die Spieler fordern hier Sachlichkeit und Dialogbereitschaft, wenn sie die Debatte begrifflich zu deeskalieren und von Vorverurteilungen frei zu halten versuchen. Auf diesen offenen Brief antworteten Weiß und Hopf - beide Mitglieder des Vereins Mediengewalt - Internationale Forschung und Beratung e.V., (hier als Vertreter des Aktionsbündnisses - die folgenden Zitate stammen aus diesem Brief). Im ersten Teil der Antwort schreibt Weiß vor allem über das Phänomen Spielsucht und bemüht hierfür Sprachbilder von "schönstem Sonnenschein", vorüberziehenden Jahreszeiten und sich abwendenden Freunden, von welchen der im dunklen Kämmerchen spielende Computerspieler gar nichts mehr mitbekommt. Man müsse sich kaum "noch wundern, wenn man über sie den Kopf schüttelt oder [sie] gar verachtet."

Damit zeichnet Weiß ein Bild von Computerspielern, das bereits in den 1980er-Jahren kursierte und schon damals eher dem Vorurteil des "Computer-Nerds" entsprach - damals wie heute also kaum das Bild eines Gesprächspartners auf Augenhöhe. Warum Spieler und Spielsüchtige von Weiß miteinander identifiziert werden, so als wäre die Spielsucht die notwendige Konsequenz des Spielens, erklärt er nicht, geht aber dazu über, sich selbst und alle Wissenschaftler, die ein "Killerspiele"-Verbot fordern zum "Opfer" der Debatte zu erklären: Beleidigt und beschimpft werden seiner Meinung nach Wissenschaftler, die aufgrund ihrer "Analysen auf die Ursachen solcher Fehlentwicklungen aufmerksam machen". Nach dem Kölner Aufruf sind Wissenschaftler, die "Killerspiele"-Befürwortern Pro-Argumente liefern, lediglich unseriös. Nach Weiß‘ Darstellung scheinen sie nun sogar selbst noch zur Aggressionssteigerung beizutragen.

"Basta"-Wissenschaft

Sein Co-Autor Werner Hopf sieht sich vom Offenen Brief des VDVC ebenfalls angegriffen und setzt daher nicht weniger aggressiv und beleidigt mit seinem Textabschnitt ein: "offensichtliche Lügen" verbreiten die Absender und wagen es sogar das "AAW zum Schluss zu umarmen" - sprich: weiterhin mit ihm im Diskurs bleiben zu wollen. Hopf hingegen hat dies nicht vor. Er führt nicht nur ein Dutzend Argumente ins Feld, die die bekannten Thesen zur negativen Medienwirkung von Computerspielen perpetuieren. In Punkt 5 seiner Liste verlässt auch er wie zuvor Pfeiffer und Spitzer den Diskurs, um auf die Metaebene zu wechseln und dort die Schreiber des offenen Briefes zu psychologisieren:

"Spieler wissen Realität und Virtualität zu unterscheiden: Das behauptet jeder Spieler (third-person-effect). Selbstberichte von Spielern belegen eindeutig, dass die Innenbilder, die durch Mediengewalt geschaffen werden, die Wahrnehmung der Realität stark beeinflussen. Oder glauben die Briefeschreiber, dass ihr Denken und Fühlen durch Werbung, Fernsehen und andere Medien weder geprägt noch beeinflusst sind? Die selbstüberschätzende Alltagspsychologie der Briefeschreiber zeugt von ihrer Bewusstlosigkeit."

Hopf schließt hier also von der berechtigten Annahme, "dass Medien wirken" automatisch auf die negative Wirkung von Computerspielen. Dass das Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden e.V. danach zu dem Entschluss gekommen ist, an derartigen Debatten, die letztlich auf dem Rücken der Opfer des Amoklaufs und ihrer Angehörigen geführt werden, nicht mehr teilzunehmen, scheint angesichts dieser festgefahrenen bzw. abgebrochenen Argumentation nur verständlich. Die hier zitierten Politiker und Wissenschaftler haben durch die Art ihrer Argumentation schließlich dazu geführt, dass der gesellschaftliche und kulturelle Dialog über Computerspiele und Gewalt empfindlich gestört wurde. Er muss jedoch weitergeführt werden, wie ich im abschließenden Teil mit dem Konzept der "Normalisierung" darzulegen versuche.

Teil 4: Normalisierung und Wiederholung

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