Gewerkschafter kritisieren VW-Management: "Spalten, herrschen, Kosten senken"

VW-Arbeiter platt gewalzt

VW will bis 2026 zehn Milliarden Euro einsparen und droht mit Werkschließungen. Wut bei Beschäftigten ist groß. Gewerkschafter fordern drastische Konsequenzen.

Die Wut der Beschäftigten beim Volkswagen-Konzern (VW) ist groß. Bis 2026 möchte die Konzernführung zehn Milliarden Euro einsparen. Gelingen sollte dies zunächst mit dem intern "Performance Programm" getauften Vorgehen. Wer gehen soll, aber nicht will, soll in eine "Perspektivwerkstatt" verschoben werden, meldet das Manager Magazin. So wurden Einzelne enorm unter Druck gesetzt.

Inzwischen hält die Unternehmensleitung drastischere Einschnitte für notwendig und droht, die bis 2029 geltende Beschäftigungssicherung aufzukündigen. Betriebsbedingte Kündigungen und die Schließung von Werken wären dann möglich. Bei Belegschaftsversammlung protestierten die Arbeiter dagegen, viele skandierten Richtung Vorstand:

Wir sind Volkswagen – ihr seid es nicht!

"Seit 30 Jahren konnten sich die VW-Beschäftigten darauf verlassen, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen und keine Werksschließungen gibt. Plötzlich soll jetzt beides möglich sein. Das ist ein tiefer Einschnitt", erklärt Carsten Büchling, Betriebsratsvorsitzender beim VW-Werk in Baunatal, im Interview mit der Frankfurter Rundschau.

Wir stehen noch immer am Anfang einer ökologischen Transformation der Automobilindustrie. Die Markenpolitik der letzten Jahre war einfach schlecht. […]

Das heißt im Einzelnen: Die Elektrofahrzeuge wurden zu spät entwickelt. Die Technik ist nicht ausgereift. Und die Autos sind zu teuer, die Preise sind einfach zu hoch.

Carsten Büchling

Ökonom: Deutsche Autoindustrie verpasste Chancen im E-Auto-Markt

Die deutschen Autokonzerne hätten "die goldenen Jahre vor der Pandemie zu wenig genutzt, um attraktive E-Autos insbesondere für den Massenmarkt zu entwickeln. Stattdessen wurde die Abhängigkeit vom chinesischen Markt weiter ausgebaut, die nun umso schwerer wiegt, wenn dort die Nachfrage zurückgeht", kritisiert auch der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum die Firmenpolitik.

IG Metaller Büchling fordert vom Management "einen Masterplan. Der soll für jede einzelne Marke von VW exakte Ziele definieren. Und zwar jeweils für die Jahre 2025, 2030 und 2035". Ob Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat diese Forderungen seit Längerem vortragen, bleibt in dem Interview offen. Denn viele Beschäftigte fragen nach deren Rolle. In mitbestimmten Unternehmen – etwa Aktiengesellschaften mit über 500 Arbeitenden – werden auch von der Belegschaft Aufsichtsratsmitglieder gewählt, oft Betriebsräte oder Gewerkschafter.

Aufgaben der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat

Deren Informationsrechte sind weitgehend. Im Aktiengesetz (AktG) sind die genauen Aufgaben und Zuständigkeiten der Mitglieder des Aufsichtsrats festgelegt. Es beschreibt die Aufgabe des Aufsichtsrats in § 111 Abs. 1 AktG:

Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen.

Der Vorstand muss dem Aufsichtsrat vornehmlich über die Personalpolitik berichten. Dazu zählen die Personalplanung, primär die Personalentwicklungsplanung. Der Aufsichtsrat kann nach § 111 Abs. 4 AktG die Vornahme von Geschäften mit existenzieller Bedeutung für die Gesellschaft von seiner Zustimmung abhängig machen. Der Vorstand darf dann eine solche Grundsatzentscheidung erst umsetzen, wenn der Aufsichtsrat diese zuvor gebilligt hat. Ein Beispiel kann die Veränderung strategischer Ziele sein.

Vorstände haben ein Risikomanagement zu betreiben – dabei sind unternehmensweit Risiken zu ermitteln und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Dazu zählen Krisen wegen nachlassender Verkäufe. Aktiengesellschaften haben ein Überwachungssystem dazu einzurichten, um Entwicklungen, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden können, früh zu erkennen.

Wie der Aufsichtsrat bei VW darüber informiert wurde, ist der Belegschaft nicht bekannt. Häufig versuchen Unternehmen, Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat mit dem Hinweis auf "Vertraulichkeit" die Kommunikation mit den Beschäftigten über aktuelle Entwicklungen zu untersagen.

Die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung unterstützt Belegschaftsvertreter in ihrer Arbeit und macht auf ihrer Homepage deutlich: Ein Aufsichtsrat ist "kein Geheimrat". Geheim sind spezielle Produktionsverfahren oder für Insidergeschäfte geeignete Informationen, wie ein anstehender Aufkauf einer Firma.

Informationen über geplante Umstrukturierungen oder Personalabbau können keine Geschäftsgeheimnisse sein, da die Planungen große Auswirkungen auf die Belegschaft haben. Vorschläge zu Investitionen oder zum Produktionsprogramm, die sowohl Belegschaftsvertreter im Aufsichtsrat als auch Betriebsräte erarbeiten können, sind kein Betriebsgeheimnis.

Haben Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die Produktpolitik hinterfragt?

Ob und wie Arbeitnehmervertreter die Produktpolitik des Vorstands infrage gestellt und Gegenvorschläge vorgelegt haben, wurde bis heute nicht offengelegt. Deutliche Forderungen gab es bei den Belegschaftsversammlungen. Thorsten Donnermeier, Vertrauensmann der IG Metall bei VW in Baunatal, fordert bei der Versammlung Anfang September:

Zukunftsfähige Arbeitsplätze gibt es nur mit zukunftsfähigen Produkten. Natürlich rückt da die Produktion von Öffentlichen Verkehrsmitteln und Schienenfahrzeugen ins Blickfeld. Die Vernunft spricht dafür. Eine Diskussion, die auch wir hier in Zeiten der automobilen Überproduktion führen müssen, wenn wir nicht völlig in die Knie gehen wollen.

VW heißt Verkehrswende? Beschäftigte sollen mitentscheiden

Der ehrenamtliche Gewerkschafter stellt europaweite Zusammenhänge her und vergleicht die Situation mit anderen Betrieben. "Die ersten Belegschaften nehmen das nicht mehr hin. In Italien nahe Florenz hat sich eine Belegschaft entschieden, die Fabrik zu besetzen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und sich einer Werksschließung entgegenzustellen. Statt Teile für Verbrenner oder E-Mobilität zu fertigen, sollen dort Solarpanels und Lasten-Fahrräder gebaut werden", stößt Donnermeier eine Diskussion an, die der IG Metall-Vorstand derzeit nicht führt.

Unter dem Motto "VW heißt Verkehrswende" setzen sich in Wolfsburg Aktivisten seit 2019 für eine Produktionsumstellung und Vergesellschaftung der Autoindustrie ein. Ihre weitreichendste Forderung: die Vergesellschaftung des VW-Konzerns und die komplette Umstrukturierung der Produktion auf Straßenbahnen und E-Busse.

Die Produktionsumstellung biete auch arbeitspolitische Vorteile, so die Initiative. Der Bau von Straßenbahnen ergebe mehr und bessere Arbeitsplätze als die Produktion von E-Autos, da deren Produktion durch höheren Komponentenanteil sehr komplex sei. Grundlegende Änderungen fordern auch Gewerkschafter.

Wir haben beim jüngsten Gewerkschaftstag der IG Metall beschlossen, dass die Mitbestimmung in strategischen Fragen in den Unternehmen ausgebaut werden muss. Wenn wir mehr Einfluss hätten auf strategische Entscheidungen über die Produktion, dann könnten solche krisenhaften Zuspitzungen wie jetzt bei VW vermieden werden. […]

Unser Ziel muss sein, dass die Beschäftigten über die Produktion entscheiden. Die Beschäftigten müssen zu Miteigentümern der Betriebe werden.

Carsten Büchling

"Falls jemand über die Not in den Werken von Volkswagen diskutieren will: 137 Milliarden Euro Gewinnrücklagen und mehr als 16 Milliarden Euro Nettogewinn 2023 in der Bilanz des Konzerns. Davon ausgeschüttet wurden 4,5 Milliarden 2024, gut 1,5 Milliarden Euro direkt an den Porsche-Piëch-Clan. Die Gift-Küche des VW-Managements: Spalten, herrschen, Kosten senken", erläutert Stephan Krull, ehemaliger VW-Betriebsrat.

"Wir sind nicht allein mit der Bedrohung. Man braucht nur die Zeitung aufzuschlagen. Audi Brüssel steht unter Druck. Von ZF bis Bosch. Von BMW bis Stellantis in den USA", so Vertrauensmann Donnermeier. Er beklagt einen "Arbeitsplatzabbau auf Teufel komm raus" und fordert gemeinsame Gegenaktionen der Belegschaften.