Großbürger im Panikmodus: Sahra Wagenknecht auf den Spuren Mussolinis?

Sahra Wagenknecht als Rednerin einer Friedensdemonstration im November 2023 in Berlin. Foto: Ferran Cornellà / CC-BY-SA-4.0

Neue Partei als Störfaktor und vernichtende Vergleiche: Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung versucht, die Politikerin in die rechte Ecke zu stellen. Ein Kommentar.

Ganz offensichtlich gibt es große Besorgnis unter den Herrschenden angesichts eines möglichen Erfolgs der neuen Partei von Sahra Wagenknecht. Nur so ist es zu erklären, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in den letzten Monaten gleich drei ganzseitige Artikel ins Blatt setzte, in denen versucht wird, Wagenknecht und ihre Bewegung ins rechte Abseits zu stellen.

Den Anfang machte Oliver Nachtwey am 18. September 2023 unter der Überschrift "BRD noir. Anmerkungen zu Wagenknecht". Nachtwey war lange Zeit selbst ein Linker, der sich nicht scheute, selbst bei den ganz Linken, der Sozialistischen Linken, zu referieren.

Progressive Neoliberale auf Krawall gebürstet

Doch das ist lange her, heute ist er Professor für Sozialstrukturanalyse an der Universität Basel, schreibt Bücher wie die "Abstiegsgesellschaft" und ist Autor von Zeitungen und Magazinen, die dem linksliberalen Mainstream zuzurechnen sind. Nun also publiziert er auch in der großbürgerlichen FAZ.

Schon der Titel seines Artikels gibt die Richtung vor: "BRD noir" was sich wie bête noire spricht, jenes schwarze Biest also, das stört und beseitigt gehört. Und wohin Wagenknecht gehört, ist für ihn klar: in die rechte Ecke. Dorthin, wohin Linksliberale – laut der marxistisch orientierten Feministin Nancy Fraser die "progressiven Neoliberalen" – all jene entsorgen wollen, die ihre Kreise stören.

Nachtwey beschreibt in seinem Artikel zunächst langatmig die verschiedenen Stationen des politischen Lebens von Sahra Wagenknecht, wobei er dem schon längst Bekannten nichts Neues hinzufügt. Er lässt kein Ressentiment und keine Anekdote aus.

Mäkeln über Kleidung und Frisur

Da gibt es den von Lothar Bisky stammenden peinlichen Vergleich Sahra Wagenknechts mit Rosa Luxemburg: "Jetzt fehlt nur noch, dass sie hinkt". Da mokiert sich Nachtwey über ihre stets adrette Kleidung und über ihre Haartracht. Und es gibt Zitate zuhauf aus ihrer Zeit als Kommunistin. Alles nicht neu.

Erst spät kommt Nachtwey zu seinem eigentlichen Anliegen: "Das Phänomen Wagenknecht ist Ausdruck einer erweiterten Krise der Repräsentation." Und diese Krise nutzt die Politikerin aus seiner Sicht schamlos aus:

Wagenknecht setzt auf die Anti-Avantgarde, den konservativen Teil, der aufgestiegen ist und nun etwas zu verlieren hat. Sie hat auch hier durchaus einen Punkt. Es ist nicht so, dass die anderen Parteien diese Gruppe nicht ebenfalls im Blick haben, aber niemand wertet sie kulturell so auf wie Wagenknecht, niemand ist stärker darin, ihre dunklen Emotionen auszudrücken: Sie fühlen sich als Außenseiter, obwohl sie doch zur Mitte gehören sollten.

Oliver Nachtwey, FAZ

Wagenknecht als "Ressentimentbewirtschafterin"

Diese "dunklen Emotionen" sind laut Nachtwey nichts als populistische Ressentiments:

Wagenknecht ist eine Populistin im klassischen Sinne: Das Establishment ist korrupt und inkompetent, die Bevölkerung wird nicht repräsentiert. Anders als ihre Anhänger es glauben, handelt es sich aber mitnichten um einen Linkspopulismus, denn dieser setzt auf Partizipation als Antwort auf die Usurpation der Demokratie durch die Eliten.

Wagenknechts Ansatz der Ressentimentbewirtschaftung gegen das linksliberale Establishment lässt sich mühelos auf neue politische Felder übertragen.

Oliver Nachtwey, FAZ

Wagenknecht sei demnach eine "Ressentimentbewirtschafterin". Ein neues Wort, erfunden ganz offensichtlich von Nachtwey selbst. Hier sollte man wissen, dass solche Wortschöpfungen regelmäßig zu den kreativen Leistungen gewisser Autoren gehören, die sich damit ein Alleinstellungsmerkmal bei der Akkumulation ihres intellektuellen Kapitals sichern wollen.

Linksautoritär: noch eine Wortschöpfung, die abschrecken soll

Nachtwey fragt sich schließlich, ob "eine Wagenknecht-Partei funktionieren" würde: "Sie wäre wohl tatsächlich interessant für AfD-Wähler oder für solche, die in der Forschung als 'linksautoritär' gelten – umverteilungsaffin, aber kulturell rechts, einwanderungskritisch und demokratieunzufrieden."

"Linksautoritär" ist erneut eine Wortschöpfung, die abschreckend wirken soll. Doch was heute so benannt wird, bezeichnet tatsächlich eine Kombination von Haltungen, die als klassisch sozialdemokratisch gelten kann. Es spricht viel dafür, dass es Wagenknecht genau darum geht: Den vielen ehemaligen Anhängern der SPD ein Politikangebot zu machen, das sie davor bewahrt auf die marktradikale AfD hereinzufallen.

Für Nachtwey ist hingegen klar, wohin die Reise mit der neuen Partei stattdessen gehen wird: "Ein migrationskritisches und diversitätsfeindliches Programm verspricht auf der lokalen Ebene viele rechte Aktivisten anzuziehen. Wer sich von einer Liste Wagenknecht ein Bollwerk gegen die AfD erhofft, wird im schlechtesten Fall bei einem gestärkten rechten Block enden."

Faschistenführer Mussolini als angebliches Vorbild

Am 20. November 2023 nahm sich Torben Lütjen ebenfalls in einem ganzseitigen Artikel in der FAZ (online aktualisiert am 5. Dezember) Wagenknecht vor. Der Verfasser ist Professor für Partizipations- und Demokratieforschung an der Europa-Universität Flensburg.

Die Überschrift lautete: "Die große Verwandlung. Von den deutschen Frühromantikern über Benito Mussolini bis zu Sahra Wagenknecht und zurück: Eine soziologisch informierte Geschichte politischer Konversionen."

Es spreche nach Lütjen viel dafür, dass sich Wagenknecht "nun einreihen wird in eine lange Reihe politischer Überläufer von links nach rechts." Wagenknecht sei tatsächlich eine Renegatin.

Breiteres Bündnis oder Projekt einer Konvertitin?

Aus den Äußerungen im Umfeld ihrer Parteigründung wird allerdings deutlich, dass Wagenknecht schon längst einen Schritt weiter ist: Sie befindet sich bereits im Stadium der Renegatin, der Konvertitin.

Der Renegat bricht bereits deutlich und öffentlich mit seinen alten Überzeugungen, behauptet, sich befreit zu haben aus einem Korsett überholter und erstarrter Glaubensüberzeugungen. Weil er endlich frei ist, kann er fortan ohne Rücksicht auf die alten Dogmen die Wahrheit aussprechen.

Wagenknecht hat zuletzt deutlich gemacht, dass es ihr um ein dezidiert linkes Projekt nicht mehr geht, der Begriff ohnehin nur noch negative Assoziationen auslöse und das Ziel darin bestehe, ein breiteres Bündnis zu schmieden.

Torben Lütjen, FAZ