Hamburg: Mann kennt sich, Mann hilft sich

Bild Olaf Scholz: Frank Schwichtenberg / CC-BY-SA-3.0 / Grafik: TP

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher könnten Entscheidungen des Finanzamtes zugunsten der Warburg-Bank beeinflusst haben. Konsequenzen sind nicht abzusehen

Die Grünenpolitikerin Annalena Baerbock gilt vielen für das Amt der Bundeskanzlerin als untragbar, weil sie in ihrem Lebenslauf zu dick auftrug. Mitbewerber Armin Laschet (CDU) disqualifizierte sich in den Augen vieler durch sein unangemessenes Lachen während der Flutkatastrophe in Westdeutschland.

Von diesen Fauxpas profitiert überraschenderweise Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Und dies, obwohl ihm vorgeworfen wird, seine Hand schützend über Steuersünder zu halten. Das tut seiner Beliebtheit offensichtlich keinen Abbruch, noch weniger führt es zu Rücktrittsforderungen.

Es wird ein hektischer Tag im Hamburger Rathaus gewesen sein, dieser 9. November 2016. Der damalige Bürgermeister Olaf Scholz wird viel zu tun gehabt, viele Menschen getroffen und viele Telefonate geführt haben. Nicht an alle kann er sich rückblickend erinnern. So weit verständlich.

Nur: Wie viele Telefonate führte er mit Männern eines Kalibers des Christian Olearius, seinerzeit Vorstandssprecher der Warburg-Bank? Ein alteingesessenes Hamburger Unternehmen, gegründet 1798 von den Juden Moses Marcus und Gerson Warbug, 1941 "arisiert" und seit 1949 wieder Familienbesitz der Warburgs.

Die Warburg-Bank – dem Senat stets zu Diensten

Die Bank – und mit ihr Olearius – erwiesen sich in der Vergangenheit immer wieder als treue und verlässliche Partner des Hamburger Senats, nicht nur unter SPD-Führung.

1986, kurz nach seinem Einstieg in die Warburg-Bank, wickelte das Kreditinstitut für den damaligen Senat unter Bürgermeister Klaus von Dohnany (SPD) den Kauf von 40.000 Wohnungen von der insolventen gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugenossenschaft "Neue Heimat" ab.

Als 1995 entschieden wurde, das Stadion des "Hamburger Fußballvereins" (HSV) zur "Arena" umzubauen, wurden die Hamburgische Landesbank und das Bankhaus Warburg mit der Aufgabe betraut, die Bewerber auf Seriosität und Bonität zu überprüfen.

Laut den Autoren des Buches Das Machtkartell – Die Stadt als Beute, Jörn Breiholz und Frank Wieding, war das Ergebnis ein 20-seitiges Gutachten. Dafür, so zitiert sie die Tageszeitung Die Welt, hätten die Kreditinstitute je 1,75 Prozent der Auftragssumme als Honorar erhalten.

Möglicherweise spielte das eine Rolle bei der Empfehlung für "das mit Abstand teuerste Projekt – Deuteron und Holzmann".

Besagtes Angebot veranschlagte mehr als 500 Millionen D-Mark Baukosten, ein anderer Anbieter wollte "für 363 Millionen Mark bauen", so die Autoren. Hinzu kam, dass ein Gesellschafter der Warburg-Bank zuvor jahrelang Geschäftsführer bei Deuteron war.

Andreas Wankum, Chef von Deuteron, saß für die CDU in der Finanzbehörde, die auch die Hamburger Landesbank kontrollierte. Drei Jahre später war Deuteron pleite und Phillip Holzmann musste Insolvenz beantragen.

So rissen die beiden Unternehmen laut Breiholz und Wieding kleinere Baufirmen mit in den Ruin, die ihnen beim Stadionbau zugearbeitet hatten.

Das Beispiel zeigt, dass Olearius, beziehungsweise die Warburg-Bank, sich nicht nur der SPD, sondern dem Senat verpflichtet fühlt. Als beschlossen wurde, der Stadt mit der Elbphilharmonie, einem Herzensprojekt des CDU-Bürgermeisters Ole von Beust, ein kulturelles Denkmal zu setzen, akquirierte Olearius Spenden von privaten Unternehmern. Mit anderen Worten: Mann kennt sich, Mann hilft sich.

Deckt der Finanzminister und SPD-Spitzenkandidat Steuersünder?

Mit diesem für Hamburg so wichtigen Mann telefoniert zu haben, wollte Scholz sich später nicht mehr erinnern können.

Das sagte er im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Cum-Ex-Skandal aus, immerhin einem Gremium der höchsten Kontrollinstanz der Bundesregierung.

Glücklicherweise traf Olearius Vorkehrungen und vermerkte die Telefonate sowie Treffen in Tagebüchern, die 2018 von der Staatsanwaltschaft Köln sichergestellt wurden und die unter anderem Kolleginnen und Kollegen der Wochenzeitung Zeit sowie des TV-Magazins Panorama einsehen konnten.

47 Millionen Euro sollte die Hamburger Warburg-Bank 2016 an das Finanzamt zurückzahlen. Die Summe soll von der Bank beim Finanzamt aufgrund von Tricksereien mit Kapitalertragssteuern geltend gemacht worden sein.

Dabei wurden Bescheinigungen über Dividenden zwischen Aktionären hin- und hergeschoben, sodass am Ende die Finanzbehörden den Überblick verloren und mehr Bescheinigungen ausstellten, sprich mehr Steuern zurückerstatteten als tatsächlich Kapitalertragssteuern gezahlt wurden. Dieses System wird als Cum-Ex bezeichnet.

Mit anderen Worten: Steuerbetrug. Die Warburg-Bank sah sich indes ihrerseits als Opfer und warf auch der Deutschen Bank grobe Versäumnisse vor. Das erläuterte Olearius in einem mehrseitigen Schreiben an die Finanzbehörde und bat auf Aufhebung des Zahlungsbescheids, da die Rückzahlung das Aus für die Bank bedeuten würde.

Zudem wandte er sich direkt an den damaligen Ersten Bürgermeister der Hansestadt, Olaf Scholz, wohl mit der Bitte um Fürsprache bei der Finanzbehörde. Am 26. Oktober trafen Olearius und Max Warburg dem Spiegel zufolge Scholz im Rathaus und übergaben dem Bürgermeister eine Kopie des Schreibens an die Finanzbehörde.

Dieser soll dem Banker in einem Telefonat am 9. November 2016 geraten haben, dieses Schreiben direkt dem damaligen Finanzsenator und heutigen Ersten Bürgermeister Hamburgs, Peter Tschentscher (ebenfalls SPD), zukommen zu lassen.

Diesen Rat befolgte Olearius: Noch am 9. November 2016 erhielt Tschentscher eine weitere Kopie des Schreibens. Der Finanzsenator versah vermutlich dieses Schriftstück mit dem Vermerk "mit der Bitte um Informationen zum Sachstand", handschriftlich und mit grüner Tinte – ein Code, dass die Angelegenheit als "Chefsache" behandelt wird.

So ging das Schreiben an die Finanzbehörde. Am 17. November 2016 wurde der Bank die Steuerschuld erlassen.

Der Spiegel leakte das Papier Ende vergangener Woche im Vorfeld einer Sitzung des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft. Besagter Vermerk trägt dem Blatt zufolge "das Kürzel von Tschentscher und ist somit eindeutig ihm zuzuordnen".

In dem Schreiben sind einige Passagen mit einem Textmarker unterstrichen, ebenfalls in grüner Farbe. Dafür übernahm jedoch eine Mitarbeiterin der Behörde im Untersuchungsausschuss am vergangenen Freitag die Verantwortung.

Wird die Staatsanwaltschaft tätig werden?

Der Vorgang irritierte selbst die Grünen, damals und aktuell Koalitionspartner der SPD. So bestätigte der damalige grüne Justizsenator Till Steffen dem Spiegel, solche Anmerkungen seien "heikel":

Wenn in einer Behörde an einem Schriftstück etwas mit grüner Tinte angemerkt oder auch nur markiert ist, stehen alle stramm." Es werde "sorgfältigst geprüft, was gemeint ist und was am besten zu tun ist.

Selbst unter Kritikern steht außer Frage, dass es weder Scholz noch Tschentscher um persönliche Bereicherung gegangen sei, sie wollten vermutlich tatsächlich ein dem Senat eng verbundenes Traditionshaus vor dem Niedergang bewahren.

Nun müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, in dieses Steuerverfahren aktiv eingegriffen haben. Laut NDR wurde die Warburg-Bank im März 2020 vom Landgericht Bonn zur Rückzahlung von 176 Millionen Euro verurteilt und zahlte diese inzwischen auch. Im Raum steht also, dass Scholz und Tschentscher einen Steuerbetrug decken wollten.

Es wurde in ein laufendes Steuerverfahren zu Gunsten eines Straftäters eingegriffen. Dies ist ein Fall für die Staatsanwaltschaft!

bewertete Fabio De Masi, Finanzexperte der Linksfraktion im Bundestag, die Sachlage in sozialen Medien.

Laut Sahra Wagenknecht (Die Linke) deckt Scholz nicht nur einen Steuersünder, sondern alle in Cum-Ex-Geschäfte verwickelte Akteure: In das II. Corona-Steuerhilfegesetzt habe er, so die Politikerin, einen Passus "hineingemogelt".

Dadurch können Rückzahlungsforderungen nur für alle ausstehenden Forderungen im Rahmen von Cum-Ex geltend gemacht werden, die im Juli 2020 noch nicht verjährt waren.

Das traf aber laut Wagenknecht auf die meisten Cum-Ex-Geschäfte zu. Das erklärte die Politikerin in dem Video "Finanzgauner, Bankster und ihre Hintermänner – am Beispiel Olaf Scholz". Linke und Grüne beantragten laut Wagenknecht, diesen Passus zu streichen, doch die Koalitionsparteien stimmten dagegen.

Sollte es nicht angesichts der Tragweite dieser Vorwürfe der politische Anstand gebieten, dass Scholz und Tschentscher mit sofortiger Wirkung ihre Ämter niederlegen? Zumindest vorerst, bis die Sachlage geklärt ist?