Hat Trump mit der Kündigung des INF-Vertrags seine Kompetenz überschritten
Der US-Präsident, der vermutlich den Notstand erklären wird, verstößt damit gegen vom Kongress beschlossene Gesetze, die nur eine Aussetzung und Neuverhandlungen befürworten
In den USA wird die Ankündigung des Austritts aus dem INF-Vertrag durch die Trump-Regierung durchaus auch kritisch gesehen. Interessant ist, dass dabei auch rechtliche Fragen diskutiert werden. Hat der US-Präsident eigentlich das Recht, ohne den Kongress einzubeziehen, aus einem internationalen Vertrag auszusteigen? Schon lange wird in den USA diskutiert, welche Rechte der Präsident wirklich hat oder haben sollte. Das war schon unter George W. Bush, der bereits in vielen Hinsichten den Kongress aushebelte, ein großes Thema.
Bush benutzte die umstrittene Unitary Executive Theory, nach der der Präsident weitreichende Befugnisse über die gesamte Exekutive ausüben kann, damit sie einheitlich oder geschlossen handlungsfähig ist. Damit hat er vom Kongress beschlossene Gesetze nur bedingt anerkannt oder sich als Exekutive über die Legislative hinweggesetzt (Das Gesetz bin ich). Die gerne zitierten Checks and Balances, die die amerikanische Demokratie ausmachen sollen, werden damit eingeschränkt.
Anstatt die Befugnisse des Präsidenten allgemein zu regeln, werden vom Kongress jetzt einzelne Gesetze verabschiedet, um Donald Trumps Entscheidungsbefugnisse einzuschränken, er also beispielsweise keinen Erstschlag mit Atomwaffen befehlen, nicht eigenmächtig aus der Nato austreten oder militärisch gegen den Iran vorgehen kann. Umstritten ist auch, ob der Präsident allgemein die Autorität haben soll, Atomwaffen einzusetzen.
Die US-Regierung, die wie üblich die Nato hinter sich gebracht hat, begründet die Aufkündigung des INF-Vertrags mit der alleinigen Verletzung Russlands durch die Entwicklung, das Testen, den Bau und die Installation des landgestützten Marschflugkörpers 9M729. Wenn Russland diese Raketen nicht verschrotte, habe man keine andere Möglichkeit, als aus dem Vertrag auszusteigen. Russland bestreitet nicht die Existenz der Raketen, sondern erklärt, deren Reichweite verletze nicht den INF-Vertrag.
Kaum erwähnt wird jedoch, dass die USA mit der einseitigen Kündigung des ABM-Vertrags und der Einrichtung des Raketenabwehrschilds an der Grenze Russlands mit landgestützten Aegis-Raketenabschusssystemen, die auch nukleare Mittelstreckenraketen abschießen können, gleichfalls das Abkommen verletzt oder unterlaufen haben. Da andere Staaten nicht eingebunden sind, wäre vernünftig gewesen, zumindest China in ein neues Abkommen einzubeziehen. Andererseits haben Russland und die USA Raketen der verbotenen Reichweite, die von Schiffen oder Flugzeugen abgefeuert werden können. Aber die USA wollen sich nicht gerne durch internationale Verträge binden, um ihre Vorherrschaft abzusichern. Das aber hat entsprechende Aufrüstung der Konkurrenten zur Folge. Auch Russland ist an dem Vertrag nicht mehr sonderlich interessiert gewesen, schließlich ist es umgeben von Ländern, die allesamt nicht an den Vertrag gebunden sind.
Die übrigen Nato-Staaten können oder wollen die USA nicht drängen, entsprechende Rüstungskontrollabkommen einzugehen. Vassalentreu unterstützten denn auch die Nato-Staaten den INF-Austritt der USA, indem sie die Schuld einzig Russland zuschoben, ein provozierendes Ultimatum setzten und sich auch nicht konkret interessiert an Neuverhandlungen zeigten.
Kündigung oder Aussetzung?
Donald Trump, so wird berichtet, habe anfänglich einen sofortigen Ausstieg verkünden wollen, sei aber dann davon überzeugt worden, dass ein diplomatisches Spiel mit Einhaltung der formalen Regeln die USA nicht zum Bumann werden und besser dastehen ließe, weswegen schließlich Außenminister Pompeo Russland eine Verletzung vorwarf und Russland eine Frist von 60 Tagen setzte, um einseitig den Forderungen nachzukommen. Der US-Regierung war klar, dass das so nicht geschehen wird, es ging nur darum, die Bühne zu bauen, um Russland besser vorführen zu können, was auch gelungen ist (Offizieller Start des neuen nuklearen Wettrüstens).
Pompeo warf Russland nicht nur eine Verletzung, sondern einen material breach, einen schwerwiegenden Bruch, vor, um so die einseitige Aufkündigung des Vertrags zu legitimieren. Seltsamerweise steht in dem vom Außenministerium dazu veröffentlichten Fact Sheet aber nichts von einem Austritt, sondern es wird mit einer Aussetzung (suspension) gedroht. Das würde es den USA eigentlich ebenso erlauben, landgestützte Mittelstreckenraketen zu entwickeln, zu testen und zu stationieren, so lange Russland den Vertrag weiter verletzt. Bei Bedarf hätte man den Vertrag wieder aufnehmen können. Aber die rechtlich-sprachliche Doppeldeutigkeit, dass Washington aus dem Vertrag aussteigen wollte.
Nach Rechtsexperten hat dies aber zur Folge, dass der Kongress sechs Monate lang nach der Aufkündigung am 2. Februar Zeit hätte, dagegen einzuschreiten. Im Kongress waren in den Pentagon-Haushaltsgesetzen seit einigen Jahren - zuletzt im Pentagon-Haushalt 2019 - Forderungen eingearbeitet worden, die den Präsidenten zu einer Aussetzung und zu neuen Verhandlungen auffordern. Der Kongress wollte keinen Austritt, sondern explizit eine Aussetzung, so wurde etwa 2017, als Trump bereits im Amt war, der "Intermediate-Range Nuclear Forces (INF) Treaty Preservation Act" beschlossen, der ausdrücklich für die Beibehaltung war, aber als Mittel, um Russland zur Einhaltung zu bringen, Gelder für die Entwicklung von landgestützten Raketen während der Aussetzung vorsah.
Zwar hätten auch frühere Präsidenten Abkommen wie den ABM-Vertrag einseitig aufgekündigt, aber bislang noch nicht gegen vom Kongress beschlossene gesetzliche Regelungen. Trump könne den Kongress nur dann umgehen, wenn er geltend macht, dass der Ausstieg aus dem Vertrag nach der Verfassung der exklusiven Entscheidung des Präsidenten unterliege, was aber kaum möglich sei, weil Rüstungskontrollverträge in der Verfassung nicht geregelt ist.
Im Clinch mit dem Kongress
Scott Anderson von der Brookings Institution schreibt, dass der Kongress gute Chancen hätte, gegen die Entscheidung von Trump bis zum 2. August rechtlich anzugehen. Trump könne aber versuchen, den Rückhalt des Kongresses für seine Entscheidung suchen, was den Rückzug glaubhafter mache. Allerdings könnte sich dem die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus widersetzen.
Oder Trump könne die Ambivalenz auflösen und doch nicht zurücktreten, sondern den Vertrag nur aussetzen. Möglicherweise wollte sich das Weiße Haus diese Hintertüre offenlassen. Das hätte den Vorteil, dass künftige Generationen die Chance haben, sich für einen Ausstieg mit Abwägung der strategischen Implikationen zu entscheiden. Man kann allerdings vermuten, dass Trump sich nicht groß um die rechtlichen Grundlagen scheren wird, während die Demokraten eher entschlossener in der Politik gegen Russland sind, was ein Einschreiten wegen des INF-Vertrags auch nicht sehr wahrscheinlich macht.
Wenn Trump aber wegen seiner Mauer den Notstand ausrufen sollte, erweitert er seine Machtbefugnisse so, dass der Kongress weitegehend seinen Biss verliert. Angekündigt hat er es gerade schon mal, natürlich auf Twitter.
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