Herstellung eines künstlichen Virus angekündigt

In fünf Jahren könnte die Technik so weit entwickelt sein, meint Clyde Hutchinson vom Minimal Genome Project

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Wissenschaftler des Institute for Genomic Research (TIGR), dessen Präsident Craig Venter ist, haben berichtet, sie könnten in den nächsten fünf Jahren ein vollständig künstliches Virus entwerfen und herstellen. Natürlich ist es nur eine Ankündigung, gleichwohl eröffnet das Projekt die Aussicht auf eine neue Art der Gentechnik, die nicht mehr "nur" Organismen verändert, sondern auch von Grund auf neu aus Genen zusammenstellen kann.

Schon Ende 1999 haben die Wissenschaftler am TIGR, die am Minimal Genome Project beteiligt sind, gemeldet, dass sie die Minimalzahl der Gene bestimmt hätten, die für das einfachste Lebewesen notwendig wären (Das Minimal Genome Project). Das Genom des Bakteriums Mycoplasma genitalium war eines der ersten, das kartiert wurde, weil es mit 580.070 Basenpaaren das bislang kleinste bekannte ist. Das Genom besteht aus 517 Genen, wie die Wissenschaftler des TIGR aufgrund einer "globalen Transposonen-Mutagenese" wurden die Gene identifiziert. Transposonen sind mobile DNA-Sequenzen, die nicht an einen bestimmten Genomort gebunden sind. Durch den Einbau an neue Genorte verändern sie den strukturellen Aufbau eines Genoms. Liegt diese Stelle in einem Bereich, der für ein Gen kodiert, wird auch die Genexpression und damit die Merkmalausbildung beeinflusst. Wenn die Bakterien, bei denen Gene durch Transposonen ersetzt wurden, weiterhin wachsen und sich teilen können, dann weist dies darauf hin, dass diese Gene nicht lebensnotwendig sind.

Wie die Wissenschaftler in ihrer Veröffentlichung in Science schrieben, seien zwischen 265 und 350 Gene notwendig, um eine lebenfähige Zelle zu bilden. Von 100 dieser Gene war aber zur Zeit der Veröffentlichung des Artikels noch die Funktion unbekannt. Die Idee des Minimal Genome Project geht allerdings über die Beantwortung der Frage "Was ist Leben?"hinaus, denn die Identifizierung der notwendigen Gene soll darin münden, zunächst ein Chromosom zu bauen, das diese enthält, und schließlich eine lebendige, sich selbst replizierende Zelle zu erzeugen. Clyde Hutchinson, der Leiter des Minimal Genome Project, kündigte auf der Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) an, dass man bis in fünf Jahren die Technik zur Verfügung haben werde, um zunächst einmal ein künstliches Virus herstellen zu können. Viren haben mit 3.500 bis 230.000 Basenpaaren ein noch wesentlich kleineres Genom als Bakterien und sollten so auch einfacher herzustellen sein.

Auch wenn Hutchinson optimistisch einen Zeitraum von fünf Jahren ansetzt, in dem die Herstellung eines solchen künstlichen Virus möglich sein soll, "wenn die Wissenschaftler ihre Energie darauf richten", weist er auch auf die noch dabei zu lösenden Probleme hin, die nicht gerade klein sind. Noch ist es nicht ohne Weiteres möglich, lange und dauerhafte Sequenzen von Aminosäuren, also von DNA und RNA, herzustellen. Aber auch wenn man ein ganzes Genom richtig zusammenbauen könnte, hat man noch lange keinen funktionierenden Code, der eine Zelle aufbaut und am Leben erhält: "Um die Gene dazu zu kriegen, etwas zu machen, müssen die Bedingungen vorhanden sein, um die Gene in Messenger RNA und in Proteine etc. zu übersetzen, und das kann gegenwärtig nur in einer lebendigen Zelle gemacht werden." Man müsste mithin eine leere Zelle verwenden, aus der das gesamte genetische Materiak entfernt wurde, solange man nicht direkt Zellen bauen kann. Fügt man jedoch wieder nur ein künstliches Chromosom in eine bestehende Zelle ein, wäre die Ankündigung ein wenig übertrieben, einen ganz und gar künstlichen Organismus herzustellen.

Ließen sich Viren und Bakterien maßgeschneidert bauen, dann könnten sie je nach Zweck optimiert werden. Viren beispielsweise, um im Rahmen der Gentherapie Gene an die richtigen Stellen im menschlichen Körper zu liefern, Bakterien, um bestimmte Aufgaben wie dem Abbau von gefährlichem Abfall zu übernehmen oder der Bekämpfung von Schädlingen zu dienen. Natürlich wäre aber auch vorstellbar, dass von Grund auf maßgeschneiderte Viren oder Bakterien auch als gefährliche biologische Waffen dienen könnte, für die es keine Gegenmittel gibt.

Auf der Tagung sagten Wissenschaftler allerdings, dass diese Gefahr nicht übertrieben werden sollte, schließlich gäbe es genügend natürlich vorhandene Pathogene wie Pocken oder Milzbrand, die sich auch durch "normale" Gentechnik "verbessern" lassen. "Man muss kein Genom von Grund auf synthetisieren", so etwa David Magnus vom Center for Bioethics der University of Pennsylvania, "um eine Pockenvariante herzustellen. Man kann dazu einen nahen Verwandten nehmen und normale Gentechnik verwenden. Das kann man wahrscheinlich schon jetzt." Hutchinson selbst gibt sich offenbar ein wenig naiv: "Ob ich über ein künstliches Virus besorgt bin? Nein, Sorgen macht nur, wenn dies jemand aus bösartigen Motiven macht." Venter hatte im Dezember 1999 noch gesagt, man habe das Experiment mit solchen Designer-Organismen eingestellt, um niemandem eine Herstellungsanleitung für biologische Waffen in die Hand zu geben.

Erst zu Beginn dieses Jahres hatten Wissenschaftler der australischen Forschungsorganisation CSIRO und Ian Ramshaw von der Australian National University berichtet, dass sie aus Zufall Viren so veränderten hatten, dass sie zu einer gefährlichen Waffe weiter entwickelt werden können. Bei dem Versuch, einen Virus genetisch zu verändern, um ein Mittel gegen die Vermehrung von Mäusen herzustellen, habe man überraschenderweise bewirkt, dass von diesen das Immunsystem der Mäuse außer Kraft gesetzt wurde. Ganz ähnlich ließen sich auch Pockenviren zu tödlichen Biowaffen umbauen, warnten die Wissenschaftler.