Hört auf zu gendern, ihr Antidemokraten!
Das Gendern wird uns von einer Minderheit aufgezwungen. Es rückt die wahren Probleme der Gesellschaft in den Hintergrund. Was stattdessen notwendig wäre. Ein Essay.
Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Politiker, Journalisten, Professoren, auch Podcastphilosophen, der Öffentlichkeit versichern, dass das Gendern niemanden interessiert, es nichts Belangloseres gäbe, wir andere Probleme hätten und die ganze Aufregung eine Phantomdebatte sei. Das abwiegelnde Mantra scheint zumindest jene zu beruhigen, die es zelebrieren. Doch was, wenn wir es mit einer Fehleinschätzung zu tun haben, einer politischen Instinktlosigkeit, die dafür sorgt, dass die Stimmung im Lande andauernd schlechter bleibt als die Lage?
Die unterschätzte Macht des Genderns
Tatsache ist: Je länger in den Öffentlich-Rechtlichen gegen das explizite Votum der überwältigenden Mehrheit ihrer Nutzer und der Kritik Hunderter Sprach- und Medienwissenschaftler Nachrichten, Dokus und Reportagen – von Talkshows ganz zu schweigen – gegendert wird, desto mehr verfestigt sich bei einem zunehmenden Teil der Rezipienten solcher Emissionen ein verheerender Eindruck.
Sie denken erstens, dass "die da oben ohnehin machen, was sie wollen" und sich keinen Deut um die Proteste jener scheren, denen sie grundgesetzlich zur Überparteilichkeit verpflichtet sind, und von deren Gebühren sie sich – in den Chefetagen fürstlich – finanzieren.
Politische Manipulation durch Gendern
Dass zweitens das Gendern als Umsetzung politischer Vorgaben in erster Linie eine Machtdemonstration der kleinen Minderheit ist, die inzwischen in den Leitmedien und in der Politik sowie an Schulen und Universitäten und in den über 3000 Gleichstellungsbüros "das Sagen hat".
Kontrolle des Informationsflusses
Und dass drittens denjenigen, die ihre Macht missbrauchen, um sprachliche Ausdrucksformen nach ideologischem Gutdünken zu verrenken, auch zuzutrauen ist, deren Inhalte – Informationen, Darstellungen, Analysen – ebenfalls gesinnungskonform zu manipulieren, kurzum: dass der öffentlich-rechtlich beglaubigte Informationsfluss in Wahrheit gesteuert und gefiltert wird.
Das Gefühl der Bevormundung
Hat sich dieser Generalverdacht einmal verfestigt, fühlen sich die Menschen bevormundet und als Objekte von Umerziehungskampagnen instrumentalisiert.
Überall, wo sich dieses Gefühl einstellt, wenden sie sich ab, vom Deutschlandfunk, dem Ersten, dem Zweiten, den Sparten- und Länderprogrammen, aber auch von den meisten überregionalen Zeitungen, Zeitschriften und Verlagen, und wandern ab – zu den sozialen Medien und deren Nischen, Plattformen und Desinformationsagenturen.
Da sie sich von einem mitte-links-grünen Mainstream abgewendet haben, kann diese trotzige Radikalisierung nur in eine Richtung marschieren: nach rechts, über die sich vergeblich staatstragend gerierende CDU hinaus, zur AfD.
Radikalisierung und Abwanderung
Da sie dort auch nicht die "Wahrheit" serviert bekommen, ahnen vermutlich die meisten, die solche Kanäle nutzen, aber diese Versionen der Wirklichkeit haben sie sich selbst ausgesucht, und es ist ihre Sprache, die dort geschrieben oder gesprochen wird, in der sie sich heimisch fühlen, selbst wenn der schrille Ton und die extremistischen Slogans ihnen nicht geheuer sind.
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Und mit jeder gegenderten Sendung, jedem verunzierten Newsletter, jedem einschlägig tätowierten Artikel sind es wieder ein paar Ungläubige mehr, die genug haben. Sie wollen keinen Glottisschlag und keine Binnen-Is und auch nicht mehr die enervierenden Doppelnennungen hören oder gar über irreführende Doppelpunkte, Suffixe, Unterstriche, Sternchen in behördlichen Formularen straucheln; sie haben Partizipien satt, die an nichts partizipieren und generische Feminina, die nur Frauen repräsentieren.
Gendersprache als Ablenkung
So belanglos ist das Gendern, dass selbst Berichte von den Kriegshöllen dieser Welt, ganz gleich wie sehr die Gräuel den Reportern die Sprache verschlagen, nicht auf diese Zutat verzichten, auf eine Zusatzinformation, die von der Dramatik der Geschehnisse ablenkt und wegen des darin offenbarten missionarischen Eifers je nach Tonfall komisch oder zynisch klingt.
Manipulation durch Medien
Auf jeden Fall merkt man, worauf es den "Sendern" ankommt, was ihnen wirklich wichtig ist: keine Gelegenheit zu verpassen, um den "Empfängern" ihre subliminale Botschaft einzuträufeln. Wer solche Praktiken dann polemisch als "Gehirnwäsche" bezeichnet, darf sich der Eintragung in eines der neuen "demokratiefördernden" Melderegister, vorzugsweise als rechter Komplottist, sicher sein.
Die Sprachentfremdung
So werden es täglich mehr, die sich abwenden, manche resignieren, gehen nicht mehr zur Wahl, andere laufen den Rechtsradikalen in die Arme. Mit jedem Knacklaut, jedem sinnwidrigen Partizip, jeder überflüssigen Doppelnennung wird diese Regression getriggert, gesellt sich zu der gefühlten Überfremdung durch die Migration – im Grunde eine Überforderung – nun auch eine Mischung aus Frust, Ärger und Wut über die Entfremdung von der eigenen Sprache.
Das ohnehin vorherrschende Gefühl, den Zumutungen eines übermächtigen Transformationsprozesses hilflos ausgeliefert zu sein, wird mit jedem ferngesteuerten Sprechakt Falschdeutsch aktualisiert.
Auf die pädagogisch Renitenten und vermeintlich Zurückgebliebenen warten dann jene Rattenfänger, die mit vormodernen Kollektivphantasmen eines homogenen Volks und traditioneller Geschlechterrollen ein Bündnis gegen die aufdringlichen Vorschriften der Tugendwächter anbieten. Die Reaktanz der Gegängelten geht so weit, sich einer Partei zuzuwenden, die für keines der sie umtreibenden Probleme, nicht einmal für die Migration, realistisch umsetzbare Lösungen anzubieten hat und obendrein den größten Kriegsverbrecher des 21. Jahrhunderts hofiert, der daran arbeitet, Mitteleuropa mit weiteren Millionen Flüchtlingen zu destabilisieren.
Konsequenzen der Gendervorschriften
Dem harten Kern habituell Rechtsextremer, der in Ostdeutschland bereits von den älteren DDR-Kohorten – Funktionäre, Sympathisanten und Mitläufer des Stalinismus, denen es nicht autoritär genug in einer Gesellschaft zugehen kann –, aufgestockt wurde, wächst auf diese Weise Nachschub aus einer Mitte, die unbewohnbar geworden ist für Bürger, die sich nicht länger wie dumme Schüler disziplinieren lassen und die vor allem gefragt werden wollen, ob sie mit dieser Sprachregelung oder jenem Migrantenkontingent einverstanden sind.
Die Politik der "Zuweisungen", auch der semantischen, ist definitiv gescheitert, wenn Diktate als Vorboten einer Diktatur empfunden werden.
Es stimmt, es gibt Wichtigeres als Gendersprache, die Leute haben wahrhaftig andere Sorgen: Migration, Wohnungsnot, Energiepreise, kriegs- und klimawandelbedingte Unsicherheiten und anderes mehr.
Umso größer die Verstimmung, wenn sie merken, dass jene, die gewählt wurden, sich der gewaltigen Probleme anzunehmen, nicht nur halbherzig bis erfolglos ans Werk gehen, sondern ihnen offenbar nichts wichtiger zu sein scheint, als dieses angeblich so unbedeutende Ornament ihrer Macht in Politik und Medien, in Behörden, und Verwaltungen, in Unternehmen und Bildungsanstalten, kurz: überall durchzusetzen, um dem gesunden Menschenverstand den Stempel ihres kulturellen Suprematismus aufzudrücken.
Und sei es um den Preis, den Leuten das Wichtigste zu verleiden, das sie verbindet: die gemeinsame Sprache. Was implizit bereits geschieht durch die Auslöschung des generischen Maskulinums, das 1200 Jahre lang durch seine sachlich-funktionalen Abstraktionen alle Angehörige einer Sprachgemeinschaft ganz selbstverständlich einbezogen hat.
Wer dagegen ankämpft, betreibt im Namen von Inklusion das genaue Gegenteil: Trennung der Geschlechter, Spaltung der Gesellschaft. Und Entzauberung der Wahlversprechen: Genderzeichen mögen die Empfindlichkeiten einer überschaubaren Minderheit berücksichtigen, doch für die große Mehrheit markieren sie eine Repräsentationslücke, das Fehlen einer Politik, die sich um die "echten", die großen, die existenziell bedrohlichen Herausforderungen unserer Zeit kümmert.
Als ob das nicht irritierend genug wäre, fühlen sich immer mehr Menschen auch durch die – wiederum von oben, dieses Mal "postkolonial" – verordnete Umbenennung von Straßen, Plätzen und Gebäuden, von Speisen, Gerichten und idiomatischen Wendungen sowie durch die entsprechende Säuberung von Klassikertexten (bis hin zur Bibel) weiterer verlässlicher Koordinaten ihres Lebensraums beraubt.
Während die Tabuisierung klar rassistisch konnotierter Begriffe jedem Vernunftbegabten unmittelbar einleuchtet, wird die Verbannung etwa von Idiomen mit der pejorativen Farbsymbolik "schwarz" (Schwarzfahren, Schwarzarbeit, Schwarzmarkt, schwarz sehen) als intellektuell anmaßende Einschränkung sprachlicher Gewohnheitsrechte abgelehnt.
Wenn solche Eingriffe in die Freiheit des Sprechens und Meinens und mehr noch die an Schulen und Universitäten, in Verlagen und Redaktionen mit Sanktionsdrohungen erpresste Genderschreibung nicht einmal als Verletzung von Art. 5 des Grundgesetzes öffentlich diskutiert werden, darf man sich nicht wundern, dass etliche der Unbelehrbaren (83 Prozent der Bevölkerung) sich einer Partei zuwenden, die ihrerseits keinen Hehl daraus macht, massiv in die persönlichen Freiheitsrechte einzugreifen, etwa durch Gleichschaltung der Medien, sobald sie am Zuge ist.
Auch hier gilt: lieber die gelegentliche Traufe am rechten Rand als den Dauerregen in der Mitte. Zugespitzt formuliert: Wo immer sich das Gefühl einstellt, dass Demokratie ist, wenn alle so reden und schreiben, wie die Kader des Wahrheitsministeriums es verlangen, werden politische Korrektheit und Genderzwang zur Lizenz, demokratische Loyalitäten aufzukündigen, Motto: wenn die sich nicht an die Spielregeln halten, warum sollten wir das tun?
Widersprüche in der Politischen Korrektheit
Dabei sind Doppelstandards – etwa Universalismus predigen und Partikularismus praktizieren – selbst Verfallssymptome einer zwar institutionell (von Grünen und Linken) gut abgesicherten Diskurshoheit, der es aber trotz administrativer Verankerung als Gendermainstreaming im Laufe von über drei Jahrzehnten nicht gelungen ist, für die Glaubensartikel des sozialen Konstruktivismus eine allgemeine Akzeptanz – und sei es unter Akademikern – zu gewinnen. Insofern bleibt dessen allgegenwärtig hör- und sichtbare Manifestation ein elitärer Jargon, genauer ein "Soziolekt", wie der Germanist Fabian Payr anmerkte, der niemanden repräsentiert als seine Erzwinger, bar jeder demokratischen Legitimierung.
Auch darum wird Gendersprache auf unabsehbare Zeit nicht bis zur Unauffälligkeit in den Sprachduktus aufgehen, und solange dies nicht geschieht, wird sie bei den einen unliebsame Haupt-, bei den anderen unerwünschte Nebenwirkungen erzeugen (und so wiederum ihre eigene Implementierung sabotieren).
Die Lesen und Verständnis erschwerende Verunstaltung der Schriftsprache ist das eine; die stets mitschwingenden Obertöne der richtigen Gesinnung das andere: Man mache damit Frauen sprachlich sichtbar und würde bei Unterlassung sich moralisch ins Unrecht setzen. Dabei tut man bei Befolgung der Direktiven genau das Gegenteil: auf den angeblichen Opferstatus der Frau verweisen, der durch Verwendung der "geschlechtergerechten" Diskriminierungsdiktion gerade nicht aufgehoben, sondern erst recht bekräftigt und perpetuiert wird.
So werden jedes Mal, wenn jemand gendert, seine Adressaten an die Narrative eines (wiederum hartnäckig bestrittenen) hegemonialen Feminismus erinnert, die sich mangels Überzeugungskraft als linguistische Stolpersteine Geltung zu verschaffen suchen. Noch nie dürften psychopolitische Konditionierungsversuche sich als derart kontraproduktiv erwiesen haben.
Paradoxe Reaktionen auf Gendervorschriften
Eine letzte paradoxe Reaktion soll daher nicht unerwähnt bleiben: Sobald einem bewusst wird, dass man aufgefordert wird, sich wider Willen und Sprachgefühl gegen eine Benachteiligung zu artikulieren, die nur noch in den Köpfen einer kleinen aber lautstarken feministischen Fraktion existiert, löst das linguistische Hindernisrennen zwangsläufig Assoziationen an dazu korrelierende Ruhmesblätter der politischen Akteure aus. Namentlich an das epochale Scheitern des Quotenprinzips, dem erst die Grünen die Kanzlerkandidatur geopfert haben, dann die SPD ein ganzes – für die Ukraine katastrophales – Jahr lang das Verteidigungsministerium.
Man denkt an so manche, allein dem Geschlechterproporz geschuldete Fehlbesetzung in Politik und Wirtschaft, an den Universitäten, in den Chefredaktionen und Intendanzen der Medien und nicht zuletzt – wenig beachtet – an den obersten Gerichten. Merke: niemand, der sich überwinden muss, etwas zu tun, denkt dabei an etwas Positives. Und die Ohnmacht wächst und mit ihr der Zorn. So gesehen mutet das tägliche Mantra von der Nebensächlichkeit der Genderdebatte wie das Pfeifen im Walde an, bevor dieser abgeholzt wird.
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