Hungerkatastrophe in Somalia

Nach Schätzungen starben fast 260.000 Menschen, die Islamisten-Milizen und die US-Antiterrorpolitik werden dafür mit verantwortlich gemacht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Hungerkatastrophe in Süd- und Zentralsomalia zwischen Oktober 2010 und April 2012 hat nach wissenschaftlich begründeten Schätzungen der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) und der NGO Famine Early Warning Systems Network (Fews Net) deutlich mehr Menschen das Leben gekostet, als man bislang angenommen hat.

Ursache der Hungerkatastrophe war die schwerste Dürreperiode seit 60 Jahren, die zu einem Einbruch der Ernten und hohen Preisen geführt hat ("Schlimmste Hungerkatastrophe der Welt" am Horn von Afrika). Die Versorgung der Hungernden scheiterte nach dem Bericht nicht nur an den damals über weite Teile Somalias herrschenden Islamisten, allen voran al-Shabab, die keine Hilfe in die von ihnen kontrollierten Gebiete lassen wollten, sondern auch an der Antiterror-Politik der USA. Zudem war die Hilfe trotz frühzeitiger Warnungen nicht rechtzeitig organisiert worden (Vermeidbare Hungerkatastrophe am Horn von Afrika). 10 Prozent der Kinder und 4,6 Prozent der Gesamtbevölkerung starben in der Folge der Dürre. Errechnet wurde dies anhand der Gesamtzahl der Toten in diesem Zeitraum und der Schätzung der Todesfälle, die ohne eine Katastrophe zu erwarten gewesen wäre, sowie der Zahl der Menschen, die in der Region gelebt haben. Weil diese Zahlen in Somalia aber nicht exakt erhoben werden können, wurden die Zahlen mit Daten und statistischen Analysen abgeschätzt und beruhen im Wesentlichen auf den Flüchtlingen, die in die 11 Flüchtlingslager in Kenia und Äthiopien gekommen waren.

Das Ergebnis bleibt natürlich eine Schätzung aufgrund der aus den Daten gebauten Computersimulation für die plausibelste Bevölkerungsentwickelung. Danach sind 258.000 (244.000-273.000) Todesfälle auf die Hungerkatastrophe zurückzuführen, davon waren 52 Prozent Kinder unter 5 Jahren. Die meisten Menschen starben zwischen April und November 2011. Erst im Juli 2011 war die Hungersnot offiziell erklärt worden, schon 2010 waren die Todesfälle angestiegen.

Was für den schnellen Rückgang der Hungerkatastrophe ab Ende 2011 verantwortlich war, konnten die Autoren nicht klären. Normalerweise aber treten Epidemien zu Beginn einer Hungerkatastrophe auf, zudem war die Ernte ab Frühjahr 2012 deutlich besser, schon Ende 2011 waren die Lebensmittelpreise gefallen. Durch das Zurückweichen der Islamisten dürfte sich auch die Lebensmittelversorgung verbessert haben.

Während in den meisten Medien nur den Islamisten die Schuld zugeschoben wird, die Hilfeleistungen des Westen und der Vereinten Nationen abwiesen und die hungernden Menschen zu hindern suchten, aus den Dürregebieten zu fliehen, sehen andere neben Warlords, die sich Lebensmittelhilfen aneigneten, auch die US-Politik als mit verantwortlich. 2008 hatte die US-Regierung al-Shabab in die Liste der Terroristenorganisationen eingetragen, was auch bedeutete, dass jede Kooperation untersagt war. Aus diesem Grund hätten einige internationale und US-Hilfsorganisationenwie die Welthungerhilfe Lebensmittellieferungen in die von al-Shabab kontrollierten Gebiete eingestellt. Gefürchtet wurde, der Unterstützung bezichtigt zu werden. Im Sommer 2011 wurden die Sanktionen flexibilisiert.

Überdies beendete bereits 2010 das Welthungerprogramm die Hilfe für Südsomalia vorübergehend, weil diese in falsche Hände gelangten und wegen zunehmender Angriffe. Nach einem UN-Bericht bedienten sich lokale Partnerorganisationen und somalische WFP-Angestellte und zweigten schon mal 30 Prozent der Hilfe ab, um daran zu verdienen, 10 Prozent stahlen lokale WFP-Mitarbeiter und weitere zehn Prozent bewaffnete Gruppen.