Ihr seid nicht allein

Seite 4: Kommunistischer Vorschein

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Alain Badiou, der sich eine Woche davor in Le Monde auch zu den Ereignissen geäußert hatte (Tunisie, Egypte: quand un vent d'est balaie l'arrogance de l'Occident), warnt denn vor so einer "kolonialen Arroganz", die den Arabern die Basics der Demokratie erklären und ihnen vorschreiben will, was sie jetzt zu tun haben. Es sei zwar richtig, dass die Bewegung keine Hierarchien kenne, weder in Form eines Führers oder einer Partei. Doch in Nordafrika seien "wir diesmal die Schüler, und nicht die dummen Lehrer der Araber."

Der Begriff "Demokratie" würde im Maghreb kaum verstanden. Darum sprächen die Leute auch von einem "neuen Ägypten", dem "wirklichen ägyptischen Volk" und einer Vielzahl "neuer Möglichkeiten". Nichtsdestotrotz kommt auch Badiou nicht umhin, seine messianischen Erwartungen hinauszuposaunen. Das "Ereignis", wie er es pathetisch nennt, sei die bislang "reinste Form" der Gemeinschaftsbildung seit den seligen Tagen der "Pariser Kommune".

Wie immer die Zukunft dieser Länder ausschauen werde, die Aufstände in Tunesien und Ägypten hätten eine "universale Bedeutung", vor allem für Europa und den Westen. Sie erinnerten und lehrten uns, dass ein Aufstand gegen die Staatsmacht durchaus erfolgreich sein kann. "Die Menschen, und nur die Menschen, sind der Schöpfer der Geschichte".

Jobs und nichts außerdem

Nichts gegen die Revolutionsromantik, der sich Badiou hier ebenso hingibt wie all seine anderen linksintellektuellen Gesinnungsgenossen. Aber Tunesier und Ägypter werden mit Sicherheit mit anderen Problemen konfrontiert sein als mit der Revitalisierung des "Subjekts der Geschichte" oder dem Experimentieren mit neuen politischen Formen und Möglichkeiten. Die "Lösung ist nicht eine Menschenmenge, die Fahnen schwenkt" und Transparente durch die Straßen trägt, wie es Jim Clancy, jahrelanger CNN-Reporter in der Region und jetzt Anchorman des Senders, nüchtern formuliert. Eine Verbesserung der Lage "kann nur aus einer robusten wirtschaftlichen Erholung bestehen."

Um die geht es vor allem, um Jobs und um Arbeitsplätze, und nicht um akademische Fragen oder politische Ideologien. Wenn auf den Rausch der Revolution nicht ein langer Kater folgen soll, steht vor allem die rasche Lösung praktischer Fragen auf der Agenda. Etwa, wie man die grassierende Kriminalität wieder in den Griff kriegt und den plündernden Mob in Schach halten kann. Wozu ungelöste Sicherheitsfragen führen können, kann man im Irak oder in Afghanistan beobachten. Sodann gilt es vor allem die Wasser-, Strom- und Gasversorgung wiederherzustellen. Schließlich wird es darum gehen, die Touristikindustrie, die völlig am Boden liegt und ebenso Haupteinnahmequelle wie Jobgeber ist, wieder auf die Beine zu stellen.