Israels Kampf gegen den Internationalen Strafgerichtshof: Wenn der Mossad mehrfach klingelt

Rauchwolke über Khan Yunis

Khan Yunis im südlichen Gaza-Streifen nach einem israelischen Luftangriff am 3. Januar 2024. Bild: Anas-Mohammed / Shutterstock.com

Seit jeher steht Israel dem IStGH kritisch gegenüber. Jüngste Enthüllungen zeigen jedoch, wie weit Israel geht. Welche Konsequenzen hat das?

Israels Verhältnis zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) war noch nie gut. Sobald der IStGH Anstalten machte, sich mit dem Israel-Palästina-Konflikt befassen zu wollen, weigerte sich Israel, seine Gerichtsbarkeit anzuerkennen. Israelische Minister gingen schnell dazu über, die Institution offen anzugreifen.

Doch die kürzlich veröffentlichte investigative Recherche des Guardian offenbart, dass Israel in seinem Feldzug gegen den IStGH noch deutlich weiterging. Auch Telepolis hatte bereits im Mai darüber berichtet.

Den Auftakt der Bemühungen, den Gerichtshof zu diskreditieren und anzugreifen, bildete der Beitritt Palästinas zum IStGH im Jahr 2015. Israel, das sich seit Jahrzehnten in einem fortdauernden Konflikt mit dem benachbarten Palästina befindet, missbilligte den Beitritt offen.

Dennoch folgte am 7.01.2015 die Verkündung von Palästinas Beitritt zum Rom Statut (dem Regelwerk, das dem IStGH zugrunde liegt) als 123. Staat.

IStGH macht den Weg frei für Ermittlungen in Palästina

Bereits seit dem Jahr 2009 hatte Palästina versucht, den Israel-Palästina-Konflikt zum Untersuchungsgegenstand des Gerichtshofes zu machen. Der Beitritt zum IStGH war Voraussetzung für eine Untersuchung, da der Gerichtshof nur unter bestimmten Umständen seine Gerichtsbarkeit ausüben und nicht ohne Weiteres in die Staatensouveränität eingreifen darf.

Frühere Versuche Palästinas, die Gerichtsbarkeit des IStGH anzuerkennen und damit den Beginn von Ermittlungen auszulösen, waren gescheitert. Der mit dem Thema befasste Chefankläger am IStGH fühlte sich nicht zuständig für die endgültige Entscheidung über Palästinas Staatsqualität, eine Frage, die bis heute stark umstritten ist.

Seine Nachfolgerin Fatou Bensouda allerdings zog 2015 andere Schlüsse. Sie orientierte sich daran, dass auch der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen (United Nations, UN) Palästinas Beitritt angenommen und es damit als Staat im Sinne des Rom-Statuts anerkannt habe.

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Diese unterschiedliche Herangehensweise ist sinnbildlich für die Diskussion um Palästinas Staatsqualität. Auf der einen Seite wird sie von den Vereinten Nationen mehrheitlich anerkannt.

Auf der anderen Seite ist Palästinas völkerrechtlicher Status weiterhin ungeklärt. Denn ein Staat im völkerrechtlichen Sinne setzt ein klar definiertes Staatsgebiet und die effektive Kontrolle über dieses Gebiet voraus. Jedenfalls Letztere lässt sich für Palästina nicht zweifellos bestätigen.

Wachsende Wut in Israels Regierungskreisen

Am 16.01.2015 eröffnete Ermittlerin Fatou Bensouda vorläufige Ermittlungen zur "Situation in Palästina". Benjamin Netanjahu nannte die Entscheidung "absurd" und veröffentlichte damit die erste missbilligende Reaktion Israels auf die Ermittlungen des IStGH. Es blieb nicht dabei.

Bereits im Februar 2015 wurde Bensouda in ihrem Apartment in Den Haag von zwei Unbekannten aufgesucht. Sie übergaben ihr Bargeld und ein israelisches Mobiltelefon mit der Information, es handele sich um ein Geschenk einer unbekannten deutschen Frau. Der IStGH deutete die kryptische Botschaft später als Drohung. Der israelische Geheimdienst habe Bensouda so wissen lassen wollen, dass man ihren Wohnort kenne.

Der Hintergrund: Schon unmittelbar nach Palästinas Beitritt zum IStGH war die Sorge in Israels Regierungskreisen, es werde zu Ermittlungen im Israel-Palästina-Konflikt kommen, offenbar gewachsen.

Was mit dem Besuch bei Bensouda im Februar 2015 begann, entwickelte sich zu einer fast ein Jahrzehnt andauernden Geheimdienstoperation mit dem Ziel, den IStGH und seine Ermittlungen gegen Israel zu unterminieren.

Eine wichtige Rolle spielt dabei Yossi Cohen, der den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad bis 2021 leitete.

Der Geheimdienst, der als "Versicherung gegen einen zweiten Holocaust" dienen und gewissermaßen Israels Existenz garantieren soll, kennt im Einsatz seiner Mittel wenig Skrupel. Cohen, der der Operation gegen den IStGH vorstand, hatte eine so enge Verbindung zu Netanjahu, dass er als sein "inoffizieller Bote" galt.

Der israelische Mossad wird aktiv

Bereits kurz nach dem ersten Vorfall informierte Bensouda den IStGH darüber, dass Cohen immer wieder an sie herantrete und versuche, Druck auf sie auszuüben. Ausdrücklich wolle er so Ermittlungen des IStGH in Palästina stoppen.

Dabei bediente sich der Mossad-Chef gegenüber der Chefanklägerin verschiedenster perfider Methoden wie Drohungen und dem heimlichen Abhören ihres Gatten. Immer wieder geriet Bensoudas Ehemann in den folgenden Jahren ins Zentrum der Angriffe des Mossad.

Parallel dazu fanden wiederholt geheime Sitzungen einer israelischen Delegation mit dem IStGH statt, die ebenfalls darauf abzielten, die Ermittlungen in israelischem Interesse zu beeinflussen.

Unterstützt wurde der Mossad bei seiner Operation von verschiedenen israelischen Nachrichtendiensten und nicht zuletzt auch vom ehemaligen Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo, Joseph Kabila.

Nachdem Bensouda 2019 verkündete, die vorläufige Ermittlung zur Situation in Palästina habe hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Kriegsverbrechen auf palästinensischem Boden sowohl von Israel als auch Palästina begangen worden seien, steigerte sich Israels Einflussnahme auf Bensouda weiter und gipfelte in "persönlichen Drohungen".

Regelmäßig hörte der Mossad Telefonate Bensoudas ab und las E-Mails mit, die sie mit palästinensischen Kontakten austauschte.

Ferner gelang es dem Geheimdienst, hochrangige US-Beamte von vermeintlicher Korruption und Amtsmissbrauch auf höchster Ebene des IStGH zu überzeugen, bis diese dem Gerichtshof sogar Sanktionen auferlegten.

Auch wenn die Sanktionen später von der Biden-Administration zurückgenommen wurden, zeigte sich die neue US-Regierung angesichts der Vorwürfe gegen den IStGH weiterhin loyal zu Israel.

Haftbefehlsanträge gegen Netanjahu läuten neue Konfliktstufe ein Kurz nachdem Bensouda im Februar 2021 dann als Chefanklägerin von Karim Khan abgelöst wurde, verkündete sie den endgültigen Beginn der Ermittlungen in Palästina.

Mit der Beantragung von Haftbefehlen gegen Netanjahu und weitere israelische Beamte im März 2024 erreichte das Verhältnis zwischen Israel und dem IStGH einen neuen Tiefpunkt.

Netanjahu rief die "Anführer der freien Welt" dazu auf, den Vorstoß des IStGH ebenfalls zu verurteilen. Kurz darauf offenbarte dann eine gemeinsame Recherche des Guardian und der Magazine +972 und Local Call die Informationen über Israels geheimdienstliche Aktivitäten gegen den IStGH.

Die Recherche fasziniert. Auch, weil sie einen Blick hinter die Kulissen der Geheimdienste offenbart und unabhängig von ihren Akteuren spannend und mitreißend ist. Aber sie legt auch offen, wie wenig Vertrauen Israel in die internationale Gemeinschaft hat, deren Produkt der IStGH ist.

Ein Grund dafür, warum das Land einer Institution, die im Dienste der gemeinsamen Aufklärung schwerster Verbrechen steht, so feindlich gegenübersteht, ist die Angst vor ihrem Einfluss.

Denn Ermittlungen des IStGH könnten dazu führen, dass Israel für (vom IStGH festgestellte) Verbrechen im Rahmen des Israel-Palästina Konflikts in die Verantwortung genommen wird.

Beziehung geprägt von Misstrauen

Damit setzt sich fort, was schon mit den Verhandlungen des Rom-Statuts begonnen hat. Denn daran war Israel aktiv beteiligt. Ratifiziert hat das Land das Rom-Statut dann allerdings nie.

Man vermutete, bestimmte Länder hätten die Verhandlungen des Statuts so beeinflusst, dass es nun speziell auf Israel zugeschnittene Tatbestände enthalte.

Einige an der Verhandlung beteiligte Staaten wollten, so Israel, gezielt Ermittlungen gegen israelische Akteure erreichen. Schon die Unterzeichnung des Rom-Statuts durch Israel scheiterte also daran, dass sich das Land von der internationalen Gemeinschaft bedroht und in die Ecke gedrängt fühlte.

Dass sich das Verhältnis von Israel und dem IStGH zeitnah entspannt, ist insbesondere angesichts des fortdauernden Krieges in Gaza infolge des Angriffs der Hamas auf Israel unwahrscheinlich.

Nun steht also auf der einen Seite das Interesse an Ermittlungen im Israel-Palästina-Konflikt mit dem Ziel, schwerwiegende Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bekämpfen und vielleicht auch dem Krieg in Gaza etwas entgegenzusetzen.

Auf der anderen Seite stehen Israels Auflehnung gegen diesen Versuch und seine engen Beziehungen zu den USA und zu diversen europäischen Ländern (darunter Deutschland).

Der Konflikt zwischen Israel und dem IStGH ist damit nicht nur für die beiden Parteien, sondern für die internationale Gemeinschaft eine Belastungsprobe. Die Operation Israels gegen den IStGH haben nicht zu dem von Israel gewünschten Ergebnis geführt, denn der Gerichtshof konnte den Bedrohungen standhalten.

Nun wird sich zeigen, ob dasselbe auch für die engen diplomatischen Beziehungen Israels gilt, oder ob das Interesse an effizienter völkerstrafrechtlicher Zusammenarbeit letztlich überwiegt.