Keine Einigung zum Hebel zwischen Berlin und Paris

Bank oder Versicherung? Statt auf dem EU-Gipfel soll wegen des deutsch-französischen Streits erneut auf einem Sondergipfel entschieden werden

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Von Einigung keine Spur. Angeblich hatten sich Berlin und Paris schon auf eine Linie geeinigt, wie man den temporären Rettungsschirm EFSF definitiv über einen Hebel zur Versicherung für Banken umbauen will, um die Gesamtsumme auf bis zu 2 Billionen Euro erhöhen zu können (... und gehebelt wird auf 2 Billionen Euro). Doch weit gefehlt, auf dem Geheimtreffen in Frankfurt am Mittwoch konnten sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy nicht einigen. Wollten sie sich erneut in ihren bilateralen Gesprächen als EU-Regierungschefs aufspielen, haben sie, weil nur um nationale Interessen schachern, die Lage nur noch weiter zugespitzt.

Wie Merkel und Sarkozy ihre "Euro-Rettung retten wollen", so ätzt nun sogar die Financial Times Deutschland, ist nämlich offen. Um nicht erneut, wie nach der Zerschlagung der Dexia-Bank, einen EU-Gipfel absagen zu müssen, soll er am Sonntag doch noch stattfinden. Doch in Brüssel soll nur palavert werden. Beschlüsse wird es nicht geben. Deshalb hat Merkel auch ihre für heute vorgesehene Regierungserklärung abgesagt, in der sie das verkünden wollte, was am aus Paris und Berlin am Sonntag in Brüssel durchgedrückt werden sollte.

Weil es aber nicht einmal zwischen den Nationalisten Merkel und Sarkozy eine Einigung gibt, die auch bei einem Telefonat am Donnerstag nicht herbeigeführt werden konnte, vereinbarten sie, sich am Samstagabend in Brüssel erneut zu treffen. Der eigentliche EU-Gipfel, auf dem dann tatsächlich was entschieden werden soll, soll dann in der nächsten Woche stattfinden. So sind wie erwartet nach dem heißen Euro-Sommer auch die hektischen Aktivitäten im Herbst wieder da. Dass es zu denen kommen würde, war angesichts der Unfähigkeit klar, den Tatsachen ins Auge zu schauen und wirkliche Beschlüsse zu fassen, welche die Probleme angehen. Man hat die Krise nur in den Herbst verschoben und sie damit nur erneut teuer verschlimmert. Denn längst sind mit Italien und Spanien zwei Euro-Schwergewichte an den Rand des Abgrunds geratet worden.

Da sogar EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso nicht mehr ausschließen will, dass neben Griechenland, Irland und Portugal "auch andere Länder in den Genuss des europäischen Rettungsschirms gelangen", wird eifrig an Hebeln und Lizenzen geschraubt, mit denen der European Financial Stability Facility (EFSF) aufgebohrt werden soll. Dass Merkel und Sarkozy, nachdem sie die Griechenland-Krise und den nötigen Schuldenschnitt fast zwei Jahre und die dringend nötige Regulierung der Finanzmärkte sogar noch länger verschleppt haben, nun die postulierte "umfassende und ehrgeizige Antwort auf die Krise zu geben, die die Euro-Zone im Moment durchlebt", darf bezweifelt werden. So lag sogar einmal der Internationale Währungsfonds (IWF) richtig, der im Frühjahr gewarnt hatte, dass deshalb die "Saat für die nächste Krise" gelegt werde, die nun auf die Tagesordnung gerückt ist.

Bank oder Versicherung?

Dass Merkel und Sarkozy erklären, man sei sich "vollkommen einig", ist nämlich das Eingeständnis, dass man sich in wesentlichen Fragen vollkommen uneinig ist. Einig ist man sich nämlich nur darin, dass man den EFSF zum umfassenden Bankenrettungsschirm aufblähen will, der dafür über eine Summe von bis zu 2 Billionen Euro verfügen soll. Doch Berlin wendet sich dagegen, angeführt von Finanzminister Wolfgang Schäuble, dass der EFSF eine eigene Banklizenz bekommen soll, wie Paris es will. Das hätte den zentralen Vorteil, dass sich der EFSF sein Geld direkt bei der Europäischen Zentralbank (EZB) für niedrige Zinsen Geld holen kann. Doch damit würden den Banken enorme Geschäfts- und Verdienstfelder wegbrechen. Und das ist in Berlin nicht vorgesehen.

Deutschland schnitzt dagegen am Hebel, der fälschlich gerne als "Teilkasko-Versicherung" für die bezeichnet wird, die Anleihen von angeschlagenen Ländern kaufen soll. Banken-Teilkasko ist deshalb falsch, weil auch eine Teilkasko-Versicherung bei einem Ausfall (zum Beispiel dem Diebstahl des Autos) die volle Summe bezahlt. Es handelt sich vielmehr um eine Vollkasko-Versicherung mit einer Selbstbeteiligung. Denn jede Art Ausfall soll versichert werden, allerdings soll eine Selbstbeteiligung eingebaut werden. Da ein Teil der Summe (20-30%) abgesichert werden soll, hofft man, dass sich eher Investoren für die Risikoanleihen finden, womit man den Umfang von höchstens 440 Milliarden Euro deutlich erhöhen könnte. Allerdings sind ein guter Teil der 440 Milliarden eh schon an Irland und Portugal vergeben und für die Griechenland-Nothilfe 2.0.

Deshalb geht Schäuble nur von einer Gesamtsumme von etwa 1 Billion Euro aus, auf die der EFSF gehebelt werden könnte. Doch diese Summe wird schon nicht reichen, wenn auch Italien abschmiert. Und die Gefahr ist, angesichts der Chaos-Regierung und der wirtschaftlichen Daten derzeit sogar noch höher als ein Absturz Spaniens. Wobei dort die wirtschaftlichen Gesamtdaten noch deutlich schlechter sind, wie eine steigende Rekordarbeitslosigkeit von mehr als 21 Prozent und grassierenden Kreditausfälle deutlich machen.

Dazu bietet die Versicherungslösung weitere große Problemfelder. Warum sollten Anleger die Anleihen kaufen, wenn sie höchstens zu 30% abgesichert sind. Bisher können die Banken offensichtlich nicht einmal einen Schuldenschnitt von 50% in Griechenland verkraften, ohne dafür erneut auf Steuergelder zur Rekapitalisierung angewiesen zu sein. Daraus ergeben sich zwei Rückschlüsse: Entweder man kauft die Anleihen nicht, weil man einen realen Ausfall von 70-80% kalkulieren muss und nicht verkraften kann. Und damit, da haben die Grünen recht, steigt die Gefahr, dass die deutschen Bürgschaften von 211 Milliarden Euro auch ausgezahlt werden müssen.

Kaufen Anleger sie trotzdem, obwohl sie einen Schuldenschnitt von 70 bis 80% nicht verkraften können, dann kaufen sie diese nur deshalb, weil sie sich weiter als "systemisch" ansehen. Sie sind also, wie der IWF kritisiert hatte, in der Krise sogar noch größer geworden, weshalb der Hebel von Bankenseite auch stärker werden muss, um sie im Fall der Fälle doch mit Steuergeldern heraus zu schlagen. Statt der Vollkasko-Versicherung mit Selbstbeteiligung würde im Schadensfall erneut das Rundum-Sorglos-Paket angeboten. Das ist so, weil "lediglich an den Symptomen der Kernschmelze im globalen Finanzsystem herumgedoktert wurde". Der IWF hatte kritisiert, man habe eine der "seltenen Chancen" vertan, um am Problem von "Too big to fail" etwas zu ändern.

Steuert alles auf den Merkel-Crash zu?

Dazu kommt ein weitere Probleme: Ein Land, dass in den Genuss der Rückversicherung kommt wird attraktiver und unattraktiver zugleich. Denn die EFSF-Rückversicherung bedeutet, dass die EU das Land offiziell auf Ramsch-Status ratet, ohne dafür auch nur eine Rating-Agentur zu haben. Zudem werden die Absturz-Länder für Anleger unattraktiver, die keine Absicherung bekommen oder diese aus politischen Erwägungen nicht wollen. Als Beispiel: Bekommen nur die bisherigen EFSF-Länder Griechenland, Irland und Portugal die Rückversicherung, werden Anleihen aus Italien oder Spanien noch unattraktiver und die Zinsen für sie dürften weiter steigen. Nimmt man sie aber ins Boot, ist das die Steilvorlage für weitere Rating-Abstufungen, da man ja sogar offiziell in der EU vom möglichen Absturz ausgeht. Nun in solchen Situationen das Rating verbieten zu wollen, wenn das Kind längst im Brunnen liegt, ist eher ein peinlicher Vorstoß eines sichtlich überforderten EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier.

Würde man aber nur Spanien mit unter den Versicherungsschirm nehmen, dann könnte Spanien vielleicht real vor dem Absturz gerettet werden, aber Italiens Anleihen, die längst höhere Zinsen als spanische Anleihen bieten müssen, werden noch unattraktiver. Damit steigen die Zinsen weiter und Italien dürfte abschmieren. Italien kann man aber nicht unter diesen Schirm von bis zu 1 Billion nehmen, weil er für ein Land, das 2 Billionen Euro an Staatsschulden vor sich herschiebt, darüber nicht glaubhaft absichern kann.

Man könnte das Spiel weiter treiben. Aber es ist klar, dass die Hebel-Nachteile groß sind. Ohne einen Schuldenschnitt für Griechenland wäre dieses Vorgehen völlig absurd. Offensichtlich begreift man in Berlin nicht, was man in der Stückwerkpolitik da eigentlich vorschlägt. Man muss kein Wahrsager sein, um voraussagen zu können, dass mit dem Versicherungshebel nur erneut teuer Zeit erkauft würde und wir alsbald das Problem mit neuen Ausmaßen, Merkel sei Dank, auf dem Tisch haben werden. Das ist eigentlich die einzige Konstante des Berliner Schlingerkurses in der Griechenland-Krise, die sich enorm teuer zur Euro-Krise ausgewachsen hat. Man muss nun wirklich vermuten, dass Merkel mit dieser Politik mit dem Merkel-Crash in die Geschichtsbücher eingehen wird, weil sie den Euro und vielleicht sogar die EU beerdigt.