Keine Ruhe im RBB: Intendantin Ulrike Demmer unrechtmäßig im Amt?

Charlottenburg rbb-Sendezentrum. Foto: Fridolin freudenfett / CC BY-SA 4.0 Deed

Gutachten fordert Abberufung und Neuwahl. Vorwurf: fehlende Staatsferne. Kritiker sprechen von einer entglittenen Auftragsarbeit. Wo der Stachel sitzt.

rbb heißt natürlich nicht "Ruhe in Berlin und Brandenburg". Obwohl die relativ bescheidenen Marktanteile gerade des rbb-Fernsehens solchen Kalauer nahelegen könnten. Nein, der öffentlich-rechtliche Rundfunk Berlin-Brandenburg kommt nicht zur Ruhe.

Dieser Tage wird nicht nur in der Hauptstadt-Region heftig diskutiert über ein Rechtsgutachten, das im Auftrag der rbb-Beschäftigten-Vertretungen (Personalrat und Freienvertretung) über die – am 16. Juni dieses Jahres in einem höchst umstrittenen Verfahren erfolgte – Wahl der neuen rbb-Intendantin Ulrike Demmer erstellt wurde.

Diese Wahl sei "rechtswidrig" gewesen, schlussfolgert der beauftragte Gutachter, der Medienrechtsprofessor Marcus Schladebach von der Uni Potsdam.

Der Jurist fordert in seinem Text zahlreiche und deutliche Konsequenzen – darunter die Abberufung und Neuwahl der Intendantin sowie die Abberufung der Vorsitzenden der beiden Aufsichtsgremien des rbb, also von Rundfunk- und Verwaltungsrat.

Die rbb-Führung wiederum zeigt öffentlich weiterhin keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl von Ulrike Demmer zur Intendantin.

Eher im Gegenteil: Die rbb-Führung erkenne im Schladebach-Gutachten weder neue Argumente oder neue Aspekte, vielmehr ergäben sich "ernsthafte Zweifel an der juristischen Haltbarkeit der dort gefundenen Ergebnisse". Der Ton trage nicht zur Versachlichung der Debatte bei, sondern arbeite bewusst mit Zuspitzungen und Polemik.

Wichtigster Kritikpunkt des Gutachtens dürfte die geforderte Neuwahl der Intendanz sein, weil nur so der seit der Wahl vorliegende "rechtswidrige Zustand" überhaupt behoben werden könne.

Verschiedene andere kritische Argumente zur Demmer-Wahl waren ihrerzeit im Juni auch bereits hier auf Telepolis ähnlich aus journalistikwissenschaftlicher Perspektive dargelegt worden.

Kritikpunkte

Entsprechende weitere Kritikpunkte des aktuellen Schladebach-Gutachtens:

• Die Mitbestimmungsrechte der Personalvertretungen bei der Berufung der neuen Intendantin seien unzulässig beschränkt worden.

• Die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber sei unprofessionell und chaotisch gewesen, es habe keine Chancengleichheit gegeben.

• Kritisiert werde auch, dass ein vierter Wahlgang abgehalten wurde. Im dritten Wahlgang hatte Demmer die notwendige Mehrheit verfehlt, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt die einzige verbliebene Kandidatin gewesen war.

• In der Verfassung sei die sogenannte Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks festgeschrieben. Dies werde aber durch Demmers Wahl konterkariert, da sie von 2016 bis 2021 stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung war. Mit der Staatsferne ebenfalls unvereinbar sei, dass Dietmar Woidke (SPD), der Ministerpräsident von Brandenburg, vor der Wahl an den Verwaltungsrat einen Brief geschrieben habe. Dieses Gremium schließt den Arbeitsvertrag mit der Intendantin ab.

Die Freienvertretung des rbb als einer der Auftraggeber der Studie erklärte, durchaus mit einer gewissen Distanz zum Tenor des Schladebach-Textes:

Wie auch immer man das Gutachten und dessen Schlussfolgerungen letztlich bewertet: Eine sorgfältige Aufarbeitung des gesamten (Aus-)Wahlprozesses ist nach Überzeugung der Freienvertretung dringend geboten. Und mindestens für die Zukunft muss sichergestellt werden, dass vergleichbare Verfahren geordnet, fair, transparent und unter angemessener Beteiligung der Mitarbeitenden und ihrer Vertreter:innen ablaufen.

Freienvertretung des rbb

Das kann laut Freienvertretung z.B. die künftige Freienvertretung des rbb-Staatsvertrag regeln, um dessen Neufassung gerade intensiv gerungen wird. Bis auf "Freie im Personalrat" habe die herrschende Politik in Gestalt der Landesregierungen von Berlin und Brandenburg diese Vorschläge der Beschäftigten-Vertretungen für mehr Belegschaftsbeteiligung in ihrem aktuell vorliegenden Entwurf leider kaum berücksichtigt.

Dafür enthalte dieser Entwurf, so die rbb-Freienvertretung, "das eine oder andere Einfallstor für (partei-)politischen Einfluss, der die gebotene Staatsferne des rbb unterminieren könnte".

Das sehen laut rbb-Freienvertretung nicht nur sie selbst, sondern auch Personalrat, Redaktionsausschuss und sogar der rbb-Rundfunkrat (der Demmer ja im Juni in eben jenem offenbar fragwürdigen Verfahren gewählt hatte) kritisch.

Neuwahl?

Insgesamt lässt sich derzeit mit Blick auf den rbb feststellen, dass sich zumindest laut Freienvertretung seit Juni manches zu wandeln scheint in Richtung von mehr Belegschaftsbeteiligung: In zwei jüngsten Anhörungsrunden haben die Freienvertretung

"sogar die Gelegenheit (erhalten), interessierte Rundfunkratsmitglieder im direkten Austausch über ihre Sicht auf den Staatsvertragsentwurf zu informieren – neben rbb-Vertreter:Innen wie der Intendantin, dem Chefredakteur oder der Justiziarin. Das gab es bisher noch nie und ist Ausdruck der begrüßenswerten Bereitschaft des rbb zu mehr Transparenz und Partizipation".

Das deutet nicht darauf hin, dass rbb-Mitarbeitende nun massiv auf eine rasche Neuwahl der Intendanz drängten, die doch das Gutachten von Schladebach prominent fordert.

Kritik am Gutachten

Auch andere Stimmen äußern sich eher in die Richtung, der Medienjurist sei zu weit und zu heftig vorgeprescht. Das "Gutachten" von Schladebach sei, schreibt Stefan Niggemeier auf Übermedien "eine bizarre, entglittene Auftragsarbeit".

Es komme spektakulär daher, weil es behaupte, "sämtliche" (das relativiert Niggemeier aber gleich selber wieder, s.u.) Beteiligten, "die irgendetwas mit dieser Wahl zu tun hatten", seien inkompetent oder bösartig und hätten verantwortungslos, falsch, unprofessionell oder übergriffig gehandelt.

Sie alle würden "mit teils drastischen Worten abgewatscht". Nur der Personalrat und die Freienvertretung als Auftraggeber des Textes hätten "abgesehen von winzigen Kleinigkeiten" alles richtig gemacht: "All ihre Initiativen zeugen von einer entschlossenen, sachgerechten und abgewogenen Interessenvertretung", attestiere ihnen der Gutachter.

Warum das Niggemeier stark zu stören scheint, erschließt sich nicht ohne Weiteres: Wenn die Auftragslage transparent dargelegt und über Interessen offen geredet wird, warum sollte das als "bizarr" gelten?

Wenn sich Beschäftigte in solchen Machtkämpfen ggf. zu ihrem Vorteil auch mal öffentlichkeitswirksam einbringen – warum sollte das als "entglitten" kritisiert werden?

Das wird vielleicht eher verständlich, wenn Niggemeier seinen eigenen Horizont an der Stelle skizziert: Das Gutachten, so der Übermedien-Kommentator, schlage "als Bombe" bei einem Sender ein, der gerade versuche, "trotz vieler laufender Aufräumarbeiten und juristischer Auseinandersetzungen halbwegs zur Ruhe zu kommen".

Da darf doch gefragt werden: "Ruhe" als oberste Senderpflicht?