Klatsche für Bayerns Inlandsgeheimdienst

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat sich verrechnet. Bild: Markus Spiske / CC-BY-4.0

"Mit dem Grundgesetz unvereinbar": Bundesverfassungsgericht kippt wesentliche Teile des bayerisches Verfassungsschutzgesetzes

Das bayerische Verfassungsschutzgesetz ist vom höchsten deutschen Gericht in Teilen für verfassungswidrig erklärt worden. Mehrere Vorschriften des BayVSG seien mit dem Grundgesetz unvereinbar, erklärte das Bundesverfassungsgericht am Dienstag.

In dem Gesetz seien dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Befugnisse eingeräumt worden, die unter anderem gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der informationellen Selbstbestimmung, gegen das Fernmeldegeheimnis sowie gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung verstießen.

Konkret geht es um Regelungen zum Ausspähen und Abhören von Wohnungen, zur Online-Durchsuchung und zur Ortung von Mobiltelefonen. Die Befugnis hierfür ist so weit gefasst, dass sie nach Einschätzung des Gerichts auch eine langandauernde Überwachung der Bewegungen der Betroffenen erlaubt – also die Erstellung eines "Bewegungsprofils" – ohne den dafür geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen.

Gesetzgebung soll Spitzeln Grenzen setzen

Auch für den Einsatz "Verdeckter Mitarbeiter" seien in dem 2016 verabschiedeten Gesetz "keine hinreichenden Eingriffsschwellen geregelt" – es fehle eine Bestimmung, "die den Kreis zulässiger Überwachungsadressaten begrenzend regelt, sofern der Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern oder Vertrauensleuten gezielt gegen bestimmte Personen gerichtet ist". Außerdem fehle eine unabhängige Vorabkontrolle, erklärte das Gericht in Karlsruhe.

Der Gesetzgeber muss die Maßgaben zur jeweils erforderlichen Beobachtungsbedürftigkeit hinreichend bestimmt und normenklar regeln. Besondere Anforderungen bestehen, wenn Personen in die Überwachung einbezogen werden, die nicht selbst in der Bestrebung oder für die Bestrebung tätig sind.


Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 (1 BvR 1619/17)

Allerdings seien die beanstandeten Vorschriften "lediglich mit der Verfassung unvereinbar" und gelten vorübergehend bis Ende Juli 2023 weiter – wenn auch "nach einschränkenden Maßgaben", wie es in dem Urteil heißt. Ausgangspunkt war eine Verfassungsbeschwerde gegen das BayVSG, die von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) für betroffene Einzelpersonen aus dem linken Spektrum koordiniert wurde. Obwohl das Gericht die Beschwerde für "teilweise unzulässig" erklärte, wertet die GFF das Urteil insgesamt als Erfolg.

Heute ist ein guter Tag für die Grundrechte und den Rechtsstaat in Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Verfassungsschutz klare Grenzen gesetzt: Trotz seiner besonderen Befugnisse und Aufgaben gilt für den Inlandsgeheimdienst kein Freifahrtschein bei Grundrechtseingriffen.

Wer im Auftrag der wehrhaften Demokratie für den Schutz der Verfassung arbeitet, muss sich auch selbst an ihre Regeln halten.


Bijan Moini, Prozessbevollmächtigter und Leiter des Legal Teams der Gesellschaft für Freiheitsrechte, zur Bedeutung des Karlsruher Urteils

Auch sei das Trennungsprinzip zwischen Geheimdienst und Polizei gestärkt worden. Die Klage habe das Risiko deutlich reduziert, "dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger überwacht und abgehört werden".

Bayern Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte das in Teilen verfassungswidrige Gesetz ausgerechnet mit Blick auf die Versäumnisse der Sicherheitsbehörden im Fall des rechten Terrornetzwerks NSU verteidigt. Aus seiner Sicht mangelte es den Geheimdiensten nicht an Motivation, sondern an Befugnissen.

Dagegen geklagt hatten allerdings von Überwachungsmaßnahmen Betroffene aus dem antifaschistischen Spektrum – darunter Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), die im bayerischen Verfassungsschutzbericht für 2020 als "linksextremistisch beeinflusst" erwähnt worden war.

Ein Umstand, der inzwischen auch zum Anlass für eine rechte Kampagne gegen die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) genommen wurde. Faeser, damals noch Chefin der hessischen SPD-Landtagsfraktion, hatte im Juli 2021 als Betroffene neofaschistischer Mord- und Gewaltdrohungen einen Gastbeitrag für das VVN-BdA-Magazin Antifa geschrieben, was Anfang dieses Jahres von der Rechtsaußen-Postille Junge Freiheit skandalisiert worden war.

Unions- und AfD-Politiker sowie die Bild hatten dies munter aufgegriffen. Faeser selbst hatte die Vorwürfe als "durchschaubar" bezeichnet, zumal sich andere Verfassungsschutzämter in ihren Jahresberichten nicht der bayerischen Lesart angeschlossen hatten.

Direkt von Überwachungsmaßnahmen in Bayern betroffen war unter anderem der Kommunikationswissenschaftler und Aktivist Kerem Schamberger, Mitglied der Partei Die Linke. Das Karlsruher Urteil stellt aus Schambergers Sicht klar, "dass der Verfassungsschutz nicht die Verfassung schützt", sondern ein Inlandsgeheimdienst sei, "der politische Gegner überwachen soll, vor allem linke".

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