Klima-Killer: Wie die Kriege in der Ukraine und Gaza die Welt aufheizen
Die Treibhausgas-Emissionen sind gigantisch. Das zeigen neue Studien. Warum Bomben nicht nur Menschen töten, Städte zerstören, sondern ein Angriff auf die Zukunft sind.
Der Ukraine- sowie der Gaza-Krieg haben verheerende Auswirkungen auf die Menschen und die Regionen, wo die Kämpfe stattfinden. Doch tatsächlich ist das Ausmaß der Zerstörungen noch deutlich größer als die unmittelbaren Folgen.
So viel wie der Ausstoß von ganzen Ländern
Zwei neue Studien zeigen, wie die Kriegshandlungen in massiver Weise die Klimakrise befeuern und die Erde weiter aufheizen, inklusive der damit verbundenen Schäden für Menschen und die wirtschaftliche Entwicklung weltweit.
Dabei sollte beachtet werden, dass schon bei gut einem Grad Erderhitzung nach UN-Angaben die klimabedingte Katastrophen zwischen 2000 und 2019 über eine halbe Million Menschenleben gefordert haben, Schäden in Höhe von geschätzt über zwei Billionen US-Dollar verursachten und fast vier Milliarden Menschen weltweit betrafen.
Fangen wir mit dem Ukraine-Krieg an. In einer aktuellen Untersuchung werden die klimaschädlichen Emissionen der zweijährigen russischen Invasion höher als die jährlichen Treibhausgasemissionen, wie sie individuell in 175 Ländern erzeugt werden, beziffert.
Nach der Untersuchung der Organisation Greenhouse Gas Accounting of War (IGGAW) – eine Forschungsgruppe, die teilweise von der deutschen und schwedischen Regierung und der European Climate Foundation finanziert wird – haben die Kämpfe bereits mindestens 175 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente (was die Umrechnungseinheit aller Treibhausgasen auf Kohlendioxid ist) verursacht.
Treibhausgase durch Kämpfe, Brände, Gas-Leaks
Das ist ungefähr so viel wie 90 Millionen Verbrennerautos im Jahr freisetzen bzw. Staaten wie die Niederlande, Venezuela und Kuwait.
Die Quellen der kriegsbedingten und weiter ansteigenden Klimagase sind in der Ukraine die direkte Kriegsführung, Brände, umgeleitete Flüge, erzwungene Migration und Gas-Lecks, die durch militärische Angriffe auf die Infrastruktur für fossile Brennstoffe verursacht wurden (insbesondere der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines). Dazu kommen die CO2-Emissionen, die bei einem zukünftigen Wiederaufbau zerstörter Häuser und Infrastrukturen freigesetzt werden.
Die Berechnung zum Ukraine-Krieg ist die bisher umfassendste Studie zu den Klimakosten eines Konflikts. Danach soll ein Drittel der Treibhausgase durch die direkten militärischen Operationen ausgestoßen worden sein, inklusive der Herstellung und des Transports von Waffen und Munition.
Ein weiteres Drittel stammt vom kommenden Wiederaufbau, hauptsächlich vom dafür benötigten Stahl und Beton. Allerdings kommt es dabei darauf an, wie der Wiederaufbau stattfindet, der durchaus auch mit klimafreundlichen Materialien durchgeführt werden könnte.
Das letzte Drittel beinhaltet die Ausbreitung von Bränden, die Umleitung von Flugzeuge, zerstörten Energieinfrastrukturen und, allerdings zu geringerem Anteil, die erzwungene Migration von sieben Millionen Ukrainern und Russen.
Gaza-Krieg: Wiederaufbau von 200.000 Gebäuden
Dass auch Israels Gaza-Krieg ein "Klima-Killer" ist, belegt eine weitere Studie, die gerade erschienen ist. Er ist zwar zeitlich und räumlich limitierter als der Ukraine-Krieg – er läuft erst seit acht Monaten gegenüber zwei Jahren Ukraine-Krieg, während das Kampfgebiet im Gazastreifen nicht einmal die Hälfte der Fläche der Stadt Kiews umfasst.
Trotzdem ist der Klimaschaden des israelischen Kriegs enorm – und relativ betrachtet sogar schlimmer als der des russischen Ukraine-Kriegs. Die aktuelle Berechnung des internationalen Forscherteams beziffert die direkten und indirekten Emissionen auf bis zu 61 Millionen Tonnen C02-Äquivalente. Allein die unmittelbaren Emissionen der ersten 120 Tage des Konflikts überstiegen schon die Jahresemissionen von 26 Ländern.
Dazu kommen die Treibhausgase, die durch die Kriegsvorbereitungen und den Wiederaufbau von bis zu 200.000 zerstörten Gebäuden emittiert werden. Sie belaufen sich laut Studie auf 47 bis 60 Millionen Tonnen CO2. Das entspricht der jährlichen Emissionsmenge von 135 Staaten.
Tabu: Militär als Klimabombe
Die Autoren weisen zudem darauf hin, dass ihre Berechnung eine "erste Momentaufnahme" darstellt und einen konservativen, auf einige besonders Kohlestoff-intensive Bereiche limitierten Ansatz verfolgt. Zudem müssten die Militäroperationen im Westjordanland und die Schlagabtausche an der israelisch-libanesischen Grenze einbezogen werden.
Die beiden Kriegsstudien zu den Klimaeffekten in der Ukraine und Gaza folgen einer Reihe von wissenschaftlichen Versuchen, die die Emission von Treibhausgasen des militärischen Sektors global zu bestimmen. Denn bisher gibt es dazu kaum offizielle und umfassende Daten.
Das liegt daran, dass die an den Klimaabkommen teilnehmenden Staaten von den Vereinten Nationen nicht verpflichtet werden, die Kohlenstoffemissionen ihrer Armeen, Flugzeuge, Kriegsschiffe und Waffen zu melden. Das ist vor allem den Interventionen der US-Regierungen unter George W. Bush und Barack Obama zu verdanken.
Die 5,5-Prozent-Marke
Die Erfassung der weltweiten Militär-Emissionen ist daher schwierig. Nur relativ wenige Länder legen ihre diesbezüglichen Daten freiwillig gegenüber den UN offen. So zeigt der Military Emissions Gap, dass im Jahr 2023 nur vier Länder belastbare Daten zu militärischen Treibstoffemissionen vorlegten. Zudem neigen die Streitkräfte zur Geheimhaltung.
Ein Bericht des Conflict and Environment Observatory aus dem Jahr 2022 legt nach eigenen Recherchen nahe, dass das Militär für etwa 5,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist – aber das könnte die wahre Dimension unterschätzen. Schon damit wäre aber der Kohlenstoff-Fußabdruck des Militärs größer als der jedes einzelnen Landes, außer den USA, China und Indien.
Die Mengen an Treibhausgasen, die das US-Militär erzeugt, sind mit Abstand die höchsten im Vergleich mit den Streitkräften anderer Staaten. Die Emissionen des Pentagon liegen sogar höher als der jährliche Kohlenstoffausstoß von 150 individuellen Ländern und Regionen, einschließlich Norwegen, Irland und Aserbaidschan.
Das Pentagon ist Spitzenreiter
Das US-Verteidigungsministerium gibt für das Jahr 2022 an, dass die Streitkräfte geschätzt fast 50 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen haben. Und das sind nicht einmal alle Emissionen, da Angriffe und ihre Effekte nicht beachtet werden.
Das US-Militär ist damit der größte institutionelle Emittent. Das liegt an den globalen militärischen Operationen der USA, aber auch am Betrieb von mehr als 700 US-Militärstützpunkten weltweit.
Dabei werden nach Angaben von Neta Crawford, Autorin des Buchs "The Pentagon, Climate Change and War", 20 Prozent der jährlichen Militäremissionen allein dadurch ausgestoßen, dass die USA ihre fossilen Brennstoff-Interessen in der Golfregion sichern wollen. Einem Hotspot der Klimakrise, der sich doppelt so schnell erwärmt wie der Rest der bewohnten Welt.
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Aus Klimasicht – und nicht nur deswegen – ist es sehr beunruhigend, dass die Welt immer stärker militarisiert und kriegerisch wird. Nach Angaben der Vereinten Nationen ist die Zahl der Konflikte in der Welt auf den höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg geklettert.
Aufrüsten = Aufheizen
Zugleich nehmen die militärischen Ausgaben global immer mehr zu, während im Zuge der russischen Invasion in die Ukraine vor allem europäische Länder und die EU Aufrüstungsoffensiven gestartet haben.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) prägte vor zwei Jahren den Begriff "Zeitenwende", der vor allem militärisch zu verstehen ist, um im gleichen Atemzug ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro einzurichten. Die deutschen Militärausgaben konnten damit im letzten Jahr erstmals seit Jahrzehnten die Nato-Vorgabe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Ein Rekord, der als Ausdruck von globalem Verantwortungsbewusstsein in Deutschland gewürdigt wird.
Bei der Diskussion um eine Fortführung des Ukraine-Kriegs, der Kämpfe Israels in Gaza und der Aufrüstung, sprich der Erzielung von "Kriegstüchtigkeit", wird jedoch praktisch nie über die damit verbundenen massiven Treibhausgas-Emissionen und die Effekte auf die Klimakrise gesprochen.
Dabei fordern Klimawissenschaftler, Umweltorganisationen und zivilgesellschaftliche Akteure schon seit vielen Jahren, die "Klima-Killer" Militär und Krieg endlich in den Fokus zu nehmen. Es wird vor allem verlangt, dass die Emissionen der Armeen von ihrer Sonderbehandlung befreit und in die UN-Berichte aufgenommen werden, damit man nach Wegen suchen kann, sie zu reduzieren.
Die falsche Risikobewertung
Dann wären die Staaten verpflichtet, diesen Sektor zu dekarbonisieren, also emissionsfrei zu machen.
Am besten wäre es natürlich, die Militärs zu schrumpfen, die laufenden Kriege so schnell wie möglich zu beenden und Konflikte in Zukunft zivil zu lösen. Aber der gegenwärtige Trend geht in die andere Richtung.
Neta Crawford, Professorin für Internationale Beziehung an der Oxford University, hält das für fatal:
Wir bereiten uns ganz einfach auf die falschen Risiken vor, indem wir zu sehr auf das Militär setzen, während wir in Wirklichkeit eine viel schlimmere Notlage haben, mit der wir alle konfrontiert sind. Die Verlagerung militärischer Ressourcen in die [Energie-]Wende ist eine "niedrig hängende Frucht".