Konkrete Finanzhilfe für härtere Auflagen an Griechenland?

Die EU-Finanzminister beraten heute über Griechenland, dem auch US-Großbanken beim Schummeln geholfen haben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am gestrigen Montag und am heutigen Dienstag beraten die EU-Finanzminister in Brüssel. Als zentrales Thema wird Griechenland behandelt. Unklar ist, ob nach dem wachsweichen Bekenntnis auf dem Sondergipfel in der vergangenen Woche, Griechenland im Notfall unterstützen zu wollen, nun konkrete Hilfen beschlossen werden, womit auch der absteigende Euro gestützt würde. Druck für einen Bailout Griechenlands wird vom Finanzsektor gemacht, weil dieser davon erneut profitieren würde. Als Kompromisslösung zeichnet sich ab, Athen doch mit direkten Hilfen unter die Arme zu greifen, wofür aber noch schärfere Einschnitte und weitere Steuererhöhungen als Gegenleistung stehen müssten. Überschattet wird die Suche nach einem Ausweg von Meldungen, dass US-Großbanken den Griechen - aber auch Italien - beim Frisieren der Bilanzen geholfen haben.

Am Montag waren die Finanzminister der Euro-Gruppe dran und heute sollen deren Beschlüsse von den Finanzministern aller 27 EU-Mitglieder abgesegnet werden. So wird in Brüssel über die Frage debattiert, wie das hoch verschuldete Griechenland saniert werden könnte. Dabei hatte man die Sparpläne Athens längst abgesegnet, wonach Griechenland bis 2012 die EU-Stabilitätskriterien einhalten müsse. Das geschätzte Defizit von 12,7 % sollte mit den Sparmaßnahmen Griechenlands schon in diesem Jahr um 4 % gesenkt werden, um bis 2012 unter die Marke von 3 % zu kommen. Der Vertrag von Maastricht lässt eine maximale Neuverschuldung in dieser Höhe zu.

Doch es ist kein Geheimnis, dass mit den bisher geplanten Maßnahmen die Ziele wohl kaum erreicht werden können. Ohnehin hat Griechenland die Stabilitätskriterien wohl noch nie eingehalten. Dass sich die Finanzminister der Gemeinschaft nun noch einmal ausgiebig mit dem Pleitekandidaten beschäftigen, zeigt auch, dass reale Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Refinanzierung Griechenlands zu sichern. Das Land droht sonst, mit unabsehbaren Folgen für den Euro, in die Pleite abzustürzen.

Deshalb gehe es nun darum, ein "potenzielles Hilfspaket" für den Fall einer akuten Zahlungsunfähigkeit Griechenlands "besser zu definieren", ist aus diplomatischen Kreisen in Brüssel zu vernehmen. Und weil es Widerstand gibt, für die Schulden der Griechen aufzukommen, muss es Gegenleistungen geben, damit alle das Gesicht wahren können. Dazu kommt, dass über sehr strenge Maßnahmen das Risiko einer Kettenreaktion minimiert werden kann, dass auch andere Wackelkandidaten wie Spanien, Italien, Portugal und Irland auf die Idee kommen könnten, sich dann in ein Rettungsnetz fallen zu lassen.

Zentralbank dringt auf noch härtere Sparmaßnahmen

So zeichnete sich vor den Treffen eine Kompromisslinie ab, um Befürwortern und Gegnern von direkten Finanzhilfen eine Brücke zu bauen. Griechenland müsse seine Sparanstrengungen verstärken, heißt es. Dann, so der Hintergedanke, könnte im Gegenzug auch über konkrete Hilfen aus der EU gesprochen werden. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) machte am Sonntag einen Vorstoß in diese Richtung. Jean-Claude Trichet forderte im französischen Fernsehen, Griechenland müsse sich noch stärker anstrengen, um den Sparplänen, mit denen das riesige Haushaltsdefizit abgebaut werden soll, Glaubwürdigkeit zu verleihen. Trichet spricht das aus, was eigentlich allen klar ist. Die bisherigen Pläne sind kaum dazu geeignet, die Maastricht-Kriterien real einzuhalten, schon gar nicht in einem so kurzen Zeitraum. So drängt Trichet wenig diplomatisch auf einen realistischeren Kurs: "Alle Griechen müssen erkennen, dass sie den außer Kontrolle geratenen Kurs korrigieren müssen", sagte er.

Die Zentralbank dringe darauf, dass die Finanzministerrat der Regierung für 2010 noch härtere Sparauflagen auferlegt, berichtet auch das "Handelsblatt". Auf Druck der EZB seien die Auflagen für Griechenland im Entwurf des EU-Sparprogramms deutlich schärfer formuliert worden, heißt es in dem Bericht. Griechenland müsse 2010 "zusätzliche" Konsolidierungsmaßnahmen ergreifen, zitiert die Zeitung aus dem Papier, das ihr vorliegt. Konkret würden "weitere Ausgabenkürzungen", eine höhere Mehrwertsteuer - wie sie auch Spanien beschlossen hat - sowie eine höhere Besteuerung von Luxusgütern und von Energie gefordert. Nur so könne Griechenland die eingegangenen Verpflichtungen im nächsten Jahr erfüllen.

Trichet hat dabei vor allem auch den Euro im Blick, der schon deutlich Federn gelassen hat. Am Montag rutschte der Kurs im Verhältnis zum Dollar auf ein Neun-Monats-Tief. Der Euro war zeitweilig nur noch 1,35 Dollar wert, weil immer mehr Devisenhändler fürchten, dass es keine schnelle Lösung der Griechenland-Krise geben wird. Weil allgemein mit weiteren Kursverlusten gerechnet wird, verkaufen viele Anleger den Euro. Griechenland wegen seiner Probleme aus der Gemeinschaftswährung zu werfen, wie derzeit vor allem in Deutschland diskutiert wird, nennt Trichet eine "absurde Hypothese".

Das sieht auch der Vorsitzende der Euro-Finanzminister, Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker so. "Der Ausstieg wäre das totale Aus für Griechenland. Und auch für das Image der Eurozone wäre das absolut negativ." Er warnt davor, dass dies "erdbebenartige, unkontrollierbare Folgen" auch für den Euro haben könnte. Junker erklärt deshalb auch unmissverständlich, es müsse verhindert werden, "dass ein Staat in die Nähe des Staatsbankrotts abdriftet". Wie sonst niemand, tritt er offen dafür ein, den Griechen finanziell unter die Arme zu greifen: "Wir werden im Falle, dass der griechische Staat Refinanzierungsprobleme hat, ihm bei der Bewältigung derselben helfen", sagte. Er hält es aber nicht geboten, öffentlich über die genaue Ausrichtung der Instrumente zu reden.

In der EU sucht man nach Möglichkeiten, die No-Bailout-Klausel zu umgehen

So dürfte es darauf hinauslaufen, dass Griechenland eben auf einen härteren Sparkurs eingeschworen wird, um die nötigen Finanzhilfen vor den Bevölkerungen der verschiedenen Länder in der EU rechtfertigen zu können. Und so ist es auch kein Wunder, wenn nun Athen auf diesen Kompromisskurs einzuschwenken beginnt. Hatte der griechische Finanzminister Georgios Papaconstantinou die Wirksamkeit weiterer Ausgabenkürzungen bisher angesichts massiven Widerstands in Griechenland gegen die Sparpläne der Regierung in Zweifel gezogen, schwenkt er nun um. Er erklärte er kurz vor Treffen dem Finanzminister in Brüssel am Montag, sein Land sei zu weiteren Sparmaßnahmen bereit: "Wenn zusätzliche Maßnahmen notwendig sind, werden wir sie ergreifen." In einem Vortrag sagte er, man versuche, den Kurs der Titanic umzusteuern, und er warnte davor, dass die Spekulationen, denen Griechenland derzeit an den Finanzmärkten ausgesetzt sei, jederzeit auch andere europäische Länder erfassen könnten.

Auch angesichts realer Wetten von Spekulanten auf einen weiter fallenden Euro, wird man wohl wie bei der Bankenrettung handeln und ein Übel wählen, um ein vielleicht noch schlimmeres Übel abzuwenden. Eine Hintertür ist dafür offenbar in den Verträgen schon gefunden worden. Eigentlich wurde bisher allgemein davon gesprochen, es gäbe ein Verbot von Finanzhilfen für ein Euro-Land wie Griechenland. Die sogenannte No-Bailout-Klausel nach Artikel 125 des "Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) besagt, dass weder die EU noch ein anderes EU-Land für Verbindlichkeiten eines Mitgliedstaates haften oder einspringen dürften. Sie soll dafür sorgen, dass die Mitgliedsländer Haushaltsdisziplin wahren und nicht auf eine Nothilfe spekulieren. Doch wurde man schon hellhörig, als EU-Präsident Herman Van Rompuy nach dem Sondergipfel vergangene Woche plötzlich erklärte, dass der EU-Vertrag Finanzhilfen erlaube.

Ein Gutachten des Bundestages besagt, das ausgerechnet am Montag bekannt gemacht wurde, der Rat der Europäischen Union könne finanzielle Hilfen für ein Mitgliedsland beschließen, wenn es "aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht ist". Das besagt Artikel 122 des AEUV. Eine Pleite kann sehr wohl als ein außergewöhnliches Ereignis eingeordnet werden, doch der Nebensatz definiert eigentlich andere Vorgänge, eben solche, für die Griechenland nicht verantwortlich gemacht werden kann. Das explodierende Haushaltsdefizit hat Griechenland aber eindeutig zu verantworten. Dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in seinem Gutachten allerdings es ebenfalls als außergewöhnliches Ereignis im Sinne des Art. 122 Abs. 2 AEUV betrachten will, zeigt an, dass man in Berlin wohl offensichtlich zur Rettung des Euro auf Abstand zur bisherigen Blockadepolitik zu gehen gedenkt.

Griechenlands Handel mit Derivaten zur Beschönigung der Haushaltslage

Dass Griechenland das Desaster wissentlich herbeigeführt hat, dass zeigten die frisierten Daten, die jährlich an Brüssel gemeldet wurden, mit denen sich das Land auch die Teilnahme am Euro-Club erschummelt hatte. Wie kreativ da gehandelt wurde, machte die New York Times am Montag deutlich. In einem Bericht beschreibt die Zeitung, dass US-Großbanken dem Land über ein Jahrzehnt hinweg geholfen haben, die reale Haushaltslage vor der EU zu verschleiern. Aus Aufzeichnungen und Gesprächen werden zum Beispiel Goldman Sachs und JP Morgan genannt. So habe Goldman Sachs 2001 einen geheimen Milliardenkredit an den griechischen Staat als Währungsgeschäft getarnt und so vor den EU-Währungshütern versteckt.

Über die Masche mit den "Cross-currency-swaps", die nach Angaben der Agentur Bloomberg einen Wert von zehn Milliarden Dollar haben sollen, hatte schon in der letzten Woche der Spiegel berichtet. Abgerechnet wurde bei den Geschäften, für die Goldman 300 Millionen Euro kassiert haben soll, zu fiktiven Wechselkursen. So wurden beim Tauschen des Geldes von einer Währung in die andere aus zehn Milliarden Euro dann rechnerisch 11 oder 12 generiert. Doch auch diese verdeckten Kredite müssen irgendwann zurückgezahlt werden und dafür werden zukünftige Einnahmen eingesetzt. Die Maut von Autobahnen, Lottoeinnahmen und Landegebühren von Flughäfen etc. wurden zur Rückzahlung dafür für viele Jahre verpfändet und dem Haushalt entzogen.

Europaweit seien von US-Banken entwickelte Finanzinstrumente zum Einsatz gekommen, die auch zum Crash des US-Hypothekenmarkts geführt hätten. Und auf das Verstecken und Auslagern von Verbindlichkeiten und Risiken sind diese Banken tatsächlich spezialisiert, wie die Finanzkrise gezeigt hat. Hilfe von solchen Derivaten sei es Griechenland - aber auch Italien - gelungen, ihre enorme Verschuldung teilweise vor der EU zu verschleiern. Erinnert sei deshalb daran, dass Italien längst eine Gesamtverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt aufwies, als Griechenland 2009 mit 115 % erst aufgeschlossen hat. Anstatt der 300 Milliarden Euro Gesamtverschuldung der Griechen schiebt die Regierung von Berlusconi allerdings schon einen Schuldenberg von fast 2 Billionen Euro vor sich her. Obwohl das Land seine Daten ebenfalls schönt und das Schuldenausmaß viel größer ist, wird aber kaum von Italien als Pleitekandidat gesprochen.

Für Griechenland werden die neuen Vorwürfe nun von der EU überprüft. Man habe die Athener Behörden gebeten, bis Monatsende dazu Stellung zu nehmen, sagte der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn in Brüssel. Dabei verwundert erneut, warum nicht auch Italien zur Stellungnahme aufgefordert wird. Die Frage ist, ob vielleicht Italien noch ganz andere kreative Angebote der US-Großbanken zum Verschleiern genutzt hat. So soll im November Goldmann Sachs den Griechen angeboten haben, auch die Schulden aus dem defizitären Gesundheitssystem zu verstecken. Der Chief Operating Officer (COO) von Goldman Sachs, Gary Cohn, sei eigens dafür nach Athen gereist. Die neue sozialistische Regierung habe das Angebot allerdings abgelehnt. Anders als die abgewählten Konservativen setzen die Sozialisten (Pasok) offensichtlich auf mehr Transparenz und Ehrlichkeit.