Krankheitskosten: Wer soll das in Zukunft noch bezahlen?

Seite 4: Impfstatus ist politisch geworden

Auch laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags wäre es schwer, hier einen Vorsatz nachzuweisen (WD 9 - 3000 - 109/21 vom 7. Januar 2022, lag dem Autor vor). Die Beweislast liege zudem bei der Krankenversicherung.

Die Fachleute weisen allerdings darauf hin, dass sich das vielleicht mit der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ändern würde. Dann könnte nämlich "das Unterlassen der Schutzimpfung ein vorsätzliches Vergehen durch pflichtwidriges Unterlassen im Sinne des § 52 Abs. 1 […] SGB V darstellen." Das würde von der konkreten Ausgestaltung der Impfpflicht abhängen. Ob die aber wirklich kommt, ist zurzeit noch gar nicht klar.

Dass Impfungen – eines der besten medizinischen Mittel zur Bekämpfung schwerer Erkrankungen – heute vielfach zur Lifestyle-Entscheidung wurden, ist ein Zeichen unserer Zeit. Meines Erachtens äußert sich darin, ähnlich wie in der Beliebtheit von Alternativmedizin, auch eine Unzufriedenheit mit dem herrschenden System.

Dabei sollte man "herrschendes System" nicht nur mit Bezug auf den Gesundheitssektor verstehen. Vielmehr ist der Impfstatus inzwischen politisch geworden. Dass es bei den Impfungen in Deutschland so ein starkes Gefälle zwischen dem Nordwesten und dem Südosten gibt, ist hierfür ein deutliches Indiz.

Zudem sind Regionen mit vielen Ungeimpften oft auch Regionen, in denen tendenziell extreme Parteien oder gar nicht mehr gewählt wird. Anstatt das gewünschte Verhalten zu erzwingen, beispielsweise mit einer Impfpflicht, könnte man sich also auch überlegen, die rund 30 Prozent Nicht- oder AfD-Wähler wieder stärker in die Gesellschaft zu integrieren.

Ausblick

Ich fasse zusammen: Ausschlaggebend sollte nicht das ökonomische Argument sein. Das Gesundheitssystem muss nach wie vor solidarisch sein.

Solidarität ist aber keine Einbahnstraße. Sie schließt auch eine bestimmte Eigenverantwortlichkeit mit ein. Bei Extremsport, bestimmten Hobbys oder Schönheitsmaßnahmen ist das schon heute so.

Wer sich auf die Solidarität beruft, muss auch an die vielen Patientinnen und Patienten denken, denen aufgrund schwerer COVID-Erkrankungen in der Pandemie nicht mehr oder erst zu spät geholfen werden kann. So haben medizinische Fachleute beispielsweise berechnet, dass wegen Covid-19 jede siebte potenziell lebensrettende Tumoroperation abgesagt werden musste.

Auch hier geht es um Patienten und Angehörige, die Solidarität und Schutz verdienen. Es geht nicht nur um abstrakte Kosten, sondern um tatsächliche Menschen, die unnötig gestorben sind, weil andere sich nicht impfen ließen.

Zudem hat uns die Coronapandemie 2020 bis 2022 erst eine Vorschau darauf gegeben, welchem Druck das Gesundheitssystem wegen der überalternden Gesellschaft ausgesetzt ist. Schon heute sind Lohndumping in Medizin und Pflege an der Tagesordnung, bis hin zur schwarzen Beschäftigung ausländischer Pflegekräfte, die mit noch weniger Lohn auskommen. Die Kosten werden in absehbarer Zeit also noch viel stärker zunehmen.

Um den hohen Standard aufrechtzuerhalten, wird man meiner Meinung nach nicht um ein System herumkommen, in dem es auch um individuelle Verantwortung geht. Ein großer Vorteil von Impfungen ist dabei, dass sie – anders als gesunde Ernährung oder Sport – kaum individuellen Aufwand erfordern, insbesondere keine dauerhafte Anstrengung.

Wer Solidarität mit Impfgegnern fordert, der sollte mit einer konkreten Antwort dafür kommen, wie sich das Gesundheitssystem in Zukunft finanzieren lässt. Schon bei den Renten, Pensionen und Staatsschulden kommen auf zukünftige Generationen erhebliche Belastungen zu.

Natürlich gilt es trotzdem, Exzesse durch Privatisierungen und schlechtes Gesundheitsmanagement zu kritisieren und zu verhindern. Zudem sollte der Gesetzgeber eine deutlichere Formulierung finden, als es der heutige § 52 SGB V hergibt – falls er dem Prinzip Verantwortung folgen will.

Einen Richter, der das Prinzip Verantwortung betont, als Populisten darzustellen, halte ich aber in jedem Fall für einen Fehlgriff. Was hat das mit Egoismus und Neid zu tun? Timo Riegs Argumentation scheint mir in Zügen viel populistischer. Doch mit solchen Vorwürfen sollte man sparsam umgehen, weil die Begriffe sonst irgendwann gar nichts mehr bedeuten.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.