Kriegsverbrechen! So ist er, der Feind

Seite 2: Völkerrecht: Staaten einigen sich auf Regeln ihrer gewaltträchtigen Konkurrenz

Das Humanitäre Völkerrecht beschreibt die idealen Umgangsformen, wie sich Staaten bei ihrem ständigen Kampf um Einfluss und Reichtum auf der Welt verhalten sollten. Bei aller diplomatischen Erpressung und kriegerischen Auseinandersetzung sollten gewisse Regeln eingehalten werden.

Schließlich nutzen eine verbrannte Erde und nur tote Untertanen dem Sieger nichts. Da sollte für ihn noch so viel übrig bleiben, dass er es auch für seine Zwecke nach dem Krieg gebrauchen kann.

Wikipedia beschreibt dies so:

Ein zentraler Grundsatz in vielen Bereichen des humanitären Völkerrechts ist das Prinzip der militärischen Notwendigkeit. Dies bedeutet, dass jede militärische Maßnahme im Rahmen eines internationalen bewaffneten Konflikts in der Art ihrer Ausführung, ihrem zeitlichen und räumlichen Umfang sowie ihren zu erwartenden Auswirkungen aufgrund der konkreten militärischen Strategie und Taktik geboten sein muss. Unter diesen Aspekten nicht notwendige militärische Handlungen haben somit zu unterbleiben.

Andere wichtige Regelungen betreffen die Vermeidung unnötigen Leids und ein dementsprechendes Verbot des Einsatzes von Waffen, Geschossen und Material sowie Methoden der Kriegführung, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen.

Sehr realistisch konzediert das Humanitäre Völkerrecht, dass Kriege zwischen Staaten eine häufige Form der Auseinandersetzung sind. Es verbietet sie entsprechend nicht, sondern beurteilt den Abwurf von Bomben, den Beschuss von gegnerischen Stellungen und ziviler Infrastruktur, die Behandlung Gefangener, die Gefährdung von Kulturgut und viele weitere kriegerische Ereignisse nach dem gebotenen Maß einer normalen Kriegsführung.

Was normal ist, was nicht, schätzen nicht überraschend die jeweiligen Kriegsparteien sehr unterschiedlich ein. Die wechselseitigen Vorwürfe zu Kriegsverbrechen gehören daher regelmäßig zur Propaganda der verfeindeten Seiten.

Das von Baerbock hoch gehaltene Völkerstrafrecht dient hierbei als dankbar interpretationsfähige Berufungsinstanz. Und wirkt nur, insofern Mächte wie die USA samt Verbündete mit ihrer Gewalt versuchen, es gegen ihre Gegner in Anschlag zu bringen. Sie treffen dabei indes im aktuellen Ukraine-Krieg auf die russische Gegengewalt, die auf ihrem Standpunkt beharrt: Wir haben nicht gegen das Völkerrecht verstoßen, ihr aber schon!

Auf das Humanitäre Völkerrecht, diesen abgebrühten Kodex, haben sich nun einmal Staaten verständigt – keine übergeordnete Instanz hat sie ihnen aufgenötigt und wacht über die Befolgung. Dementsprechend fehlt eine Gewalt, die den Kodex durchsetzt – wie es jeder Staat mit seinem Recht innerhalb seines Herrschaftsgebiets unternimmt.

Außerhalb seiner Grenzen funktioniert das bekanntlich nicht, da trifft er auf die Gewalt der anderen Nationen. Also fußt das Völkerrecht auf dem bloßen Willen der Staaten, dieses in ihrem Handeln zu respektieren – oder eben nicht, wenn es ihnen bei ihren Vorhaben in die Quere kommt.

Womit wir bei den erwähnten Herrschaften ankommen, die in Vietnam, in Jugoslawien, im Irak und in Afghanistan es mit dem Völkerrecht nicht so genau nahmen. Führende Politiker von Nationen, die bei anderen Gelegenheiten umso mehr im Namen des Völkerrechts Staaten anklagten und gegen sie die Völkergemeinschaft mobilisierten.

Die Berufung auf das Völkerrecht ist einfach zu schön, die Verfolgung von Interessen als Dienst an einem übergeordneten, höheren Kanon von Regeln erscheinen zu lassen. An dem sich natürlich die Gegenseite aufs Gröbste vergeht – wie aktuell Russland.

Annalena Baerbock beherrscht diese Tour, noch verbissener als schon ihre Vorgänger im Auswärtigen Amt. Deutschland befeuert nicht einfach den Krieg in der Ukraine, um im Schlepptau der USA Russland zu "ruinieren" (O-Ton Baerbock). Nein, man verteidigt schlicht das Völkerrecht!

Jetzt will die Außenministerin sogar den Internationalen Strafgerichtshof reformieren. Er soll in Zukunft grundsätzlich auch das "Verbrechen der Aggression" verfolgen können, auch wenn der Aggressor das Gericht gar nicht anerkennt.

Dies hat sie in einer Rede ausgerechnet vor dem UN-Sicherheitsrat vorgeschlagen. Das ist das Gremium, in dem mit den USA, Russland und China drei Staaten sitzen, die den IStGH seit jeher nicht akzeptieren. ZDF-Korrespondent Andreas Kynast bemerkte dazu ganz realistisch:

Das wird ein sehr langer, sehr mühsamer Weg. Baerbock wird sich auch mit befreundeten Staaten anlegen müssen, wie der Ukraine und vor allem den USA, die den Strafgerichtshof gar nicht anerkannt haben.

Besser dürfte es um das Sondertribunal gegen Putin und weitere russische Politiker bestellt sein: Das wird wohl außerhalb der UN laufen, also ohne die nötige Zustimmung des Sicherheitsrats.

So nutzt der Vorwurf des Kriegsverbrechens einer permanenten Kriegspropaganda. Die Ermittlungen werden eine Weile dauern. Sie werden auf Schwierigkeiten stoßen, weil – auch das wieder ein tauglicher Vorwurf – die Angeklagten unverschämterweise nichts zur Aufklärung beitragen.

Und es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass während des Verfahrens weitere Untaten aufgedeckt werden. Man wird schon etwas finden, und wenn man es erfinden muss, siehe die angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak.

Der russische Präsident ist also erfolgreich an den Pranger gestellt – zumindest des Westens. Dieser achtet daher sehr darauf, wie andere Staaten sich dazu verhalten. Da wird dann ordentlich Druck ausgeübt – auf Südafrika oder auch auf die Länder Südamerikas und der Karibik, wie kürzlich beim Gipfeltreffen mit der Europäischen Union.

Sehr zum Ärgernis der Europäer stimmte der andere Kontinent jedoch nicht in die Verurteilung Russlands mit ein. Einige südamerikanischen Länder zeigten sich auch verwundert, dass dies bei einem Treffen, wo es um wirtschaftliche Fragen gehen sollte, zum Thema gemacht wurde.

Damit konterkarierte Europa zwar sein Ziel, das Verhältnis zu Lateinamerika zu verbessern. Aber für das höhere Ziel, den Feind weltweit ins Abseits zu stellen, war es das offenbar wert.

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