Kriegsverbrechen! So ist er, der Feind
Seite 3: Ukrainische Kriegsverbrechen? Was nicht sein darf, kann nicht sein
- Kriegsverbrechen! So ist er, der Feind
- Völkerrecht: Staaten einigen sich auf Regeln ihrer gewaltträchtigen Konkurrenz
- Ukrainische Kriegsverbrechen? Was nicht sein darf, kann nicht sein
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Und wie verhält es sich mit Wolodymyr Selenskyj? Wie bitte, sein Land ist doch angegriffen worden, die Ukraine wehrt sich nur! Dass dabei nicht alles mit rechten Dingen zugeht, darf man allerdings getrost annehmen. Wie in jedem Krieg, den die verfeindeten Staaten mit allen Mitteln versuchen, zu gewinnen.
Schon kurz nach Kriegsbeginn gab es hierzu einen kritischen Artikel in der Berliner tageszeitung. Dort wurde von einem Video berichtet, das gefesselte russische Soldaten mit Augenbinden zeigte, zusammengepfercht liegend. Aus dem Off hört man offenbar einen Ukrainer, der seine Nationalhymne vorträgt und die Gefangenen zwingt, sie mitzusingen.
Man erinnert sich bei dieser Szene an die Vorfälle im irakischen Gefängnis Abu-Ghuraib 2004. Eine US-amerikanische Aufseherin hatte irakische Gefangene erniedrigt. Ein Foto zeigt sie mit einer Hundeleine, das am Halsband eines nackten Häftlings befestigt ist. Aufgrund dessen und weiterer Taten wurde sie des Kriegsverbrechens für schuldig erklärt.
Über eine Ermittlung zum im ukrainischen Video gezeigten Vorfall wurde nichts bekannt – desgleichen nicht zu weiteren Meldungen über Misshandlungen von Gefangenen. Nachforschungen zu Vorwürfen, die Streitkräfte der Ukraine hätten Chemiewaffen eingesetzt, fanden ebenfalls nicht statt.
Der Einsatz von Streumunition in Bomben und Raketen wird indes nicht bestritten, obwohl dies gegen ein internationales Übereinkommen verstößt, das dies verbietet, weil sie "übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können".
Immerhin 111 Staaten haben den Vertrag bisher unterzeichnet, auch Deutschland – jedoch nicht die USA, die Ukraine und Russland.
Das Verbot knüpft an das zitierte Humanitäre Völkerrecht an. Dort wird ebenfalls davon gesprochen, unnötiges Leid sei zu vermeiden. Bekanntlich detonieren die wie Schrot weitläufig über das Ziel abgeschossenen Bomben nicht alle. Sie töten so nicht nur sofort, sondern auch noch später, völlig unberechenbar.
Nun hat die Ukraine von den USA Streumunition geliefert bekommen. Und unter der Verantwortung von Wolodymyr Selenskyj wird diese verheerende Waffe jetzt eingesetzt. Ein Kriegsverbrechen? Wie kann das sein? Dies taugte ja nur zur Propaganda der Gegenseite. Also werden alle Verrenkungen unternommen, diese brutale Eskalation des Kriegs als verantwortungsvoll und begrenzt erscheinen zu lassen.
Es kommt eben sehr darauf an, wer Kriegsverbrechen begeht. Die auf unserer Seite machen so etwas grundsätzlich nicht. Und wenn doch, sind das seltene Ausnahmen, die im Eifer des Gefechts halt passieren, also Nachsicht verdienen. Die andere Seite hingegen begeht systematisch Kriegsverbrechen. Was bei deren moralischer Verkommenheit auch nicht anders zu erwarten ist.
Die Anklage "Kriegsverbrecher" ist gleichzeitig das Urteil: Diesem Bösewicht ist alles Schlechte zuzutrauen. Deshalb muss er, der verhasste Feind, mit allen Mitteln bekämpft und dingfest gemacht werden. Ein Auftrag an die guten Krieger. Der Applaus an der Heimatfront ist ihnen gewiss.
Epilog: Warum Kriegsverbrechen nicht aufhören
Bleibt noch die Frage: Was bringt Menschen dazu, im Krieg zusätzlich zum Tötungsauftrag Massaker zu begehen, Frauen zu vergewaltigen, zu plündern, Gefangene zu erniedrigen und zu foltern? Der Neuropsychologe Thomas Elbert wurde in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs gefragt, was die militärischen Ausbilder unternehmen, um die Gewaltbereitschaft ganz normaler Leute zu erhöhen, auch ganz junger, die noch gar keine Erfahrung im Töten haben:
Die Trainingsmethoden haben sich geändert. Soldaten üben nicht mehr mit Schießscheiben, sondern mit Figuren in Menschenform. Das wichtigste Mittel aber ist Propaganda. Man muss den Soldaten erzählen, dass es gar keine Menschen sind, auf die sie schießen. Sondern eben Untermenschen, Ungeziefer, Leute, die die Welt vernichten wollen.
Christina Berndt: "Wie ein Schuss Heroin", Interview mit Thomas Elbert, Süddeutsche Zeitung, 9. April 2022
Das passt auf die russischen Soldaten, die gegen eine angeblich faschistisch unterwanderte Ukraine vorgehen sollen, also das Böse schlechthin, "Nazis", vernichten.
Auch der Auftrag, eine existenzbedrohende Aufrüstung der Ukraine, womöglich mit Nuklearwaffen, gegen die Heimat zu verhindern, entfaltet eine gewaltige Wirkung. Es passt genauso auf die ukrainischen Soldaten, die sich russischer Unholde erwehren, die wahllos alles zerstören wollen, Haus, Hof, Familie. Für die Feingeister unter ihnen kommen noch die Verteidigung von Freiheit und Demokratie hinzu.
Hüben wie drüben sitzen die Bürger der Propaganda ihres Staates auf. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Bürger die Zwecke ihres Staates teilen.
Die russischen Untertanen setzen dann ihr Leben ein, damit ihr Land militärisch gegenüber dem Westen nicht weiter ins Hintertreffen gerät, die Ukraine nicht zum Aufmarschgebiet der Nato wird. Sie haben davon zwar nichts, aber ihre Herrschaft behauptet im Erfolgsfall ihre Stellung als Weltmacht.
Die ukrainischen Untertanen riskieren ihre Existenz, damit ihr Land einmal Mitglied von EU und Nato wird. Sie haben davon zwar nichts, aber ihre Herrschaft bekommt im Erfolgsfall die Chance, mit dem Reichtum und der Macht des Westens im Rücken mehr als Staat herzumachen. Die einstige Variante, mit Russland besser zu fahren, hatte Kiew 2014 endgültig verworfen.
Solange Nationen ihre aufgehetzten Nationalisten, ihre treuen Bürger und Untertanen, in Kriegen aufeinander loslassen, wird es weiter Verbrechen in diesen Kriegen geben. Denn den verhassten Feind, den Unmenschen pfleglich und schonend zu behandeln, ist eine fast übermenschliche Leistung – angesichts dessen, was den Soldaten eingebläut wird und mit welchen Waffen sie ausgestattet sind.
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