Kritik unerwünscht? Deutscher Abgeordneter über Ausweisung aus Ukraine
Diplomatischer Eklat: MdB an Grenze festgehalten und abgeschoben. Deutsche Botschaft in Kiew überrascht. Offizielle Begründung steht aus.
Regelmäßig besuchen Politiker aus EU-Staaten die Ukraine. Meist gibt es dafür viel mediale Aufmerksamkeit – vorwiegend dann, wenn sie weitere militärische Unterstützung versprechen.
Bei Sören Pellmann war das anders. Der Co-Vorsitzende der Linken-Gruppe im Deutschen Bundestag wurde im westukrainischen Lwiw aus dem Zug geholt und an der Weiterreise gehindert.
Es hieß, für ihn bestehe ein Einreiseverbot. Passiert ist das am 9. Juli dieses Jahres. Über die Umstände und die Folgen sprach Dietmar Ringel im Telepolis-Podcast mit Sören Pellmann.
▶ Was genau hat sich abgespielt am 9. Juli auf dem Bahnhof von Lwiw?
Sören Pellmann: Es begann bereits im Zug kurz vor Lwiw, als die Zollbeamten die Pässe kontrolliert haben. Eigentlich eine Routine. Beim Einlesen meines Passes gab es Fragen, wie oft ich schon in der Ukraine war, ob das meine erste Reise sei. Ja, es war meine erste Reise in die Ukraine. Dann verschwanden sie mit dem Reisepass und mussten etwas klären. Es kam eine zweite Beamtin, die auch wieder die Frage stellte, ob das die erste Reise war. Wieder hieß es, man müsse etwas klären.
Und am Bahnhof Lwiw wurde mir dann durch die anwesenden Beamten mitgeteilt, man habe den Sachverhalt nicht klären können. Damit er geklärt werde, müsse ich jetzt diesen Zug mit ihnen verlassen.
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▶ Dann standen Sie auf dem Bahnhof – und wie ging es weiter?
Sören Pellmann: Der Zug hat eine gute Stunde gewartet, weil nicht klar war, ob ich weiterfahren darf oder nicht. Geplant war eigentlich nur ein Aufenthalt von fünf oder sechs Minuten, glaube ich. Letzten Endes kam der Zug zwei Stunden verspätet in Kiew an. Die Beamten telefonierten unterdessen am Bahnsteig.
In dieser Zeit haben wir mit der Deutschen Botschaft in Kiew Kontakt aufgenommen. Dort war man völlig überrascht, dass so etwas möglich ist. Zumal die Einreise von mir angekündigt war und ich außerdem mit einem Diplomatenpass eingereist bin. Einen solchen Vorfall habe es noch nie gegeben, hieß es. Aber auch die Botschaft in Kiew ist nicht wirklich weitergekommen.
Das Gespräch mit den Beamten der ukrainischen Zollbehörde verlagerte sich dann nach einer Stunde in eine Art Polizeistation. Das war ein nicht gekennzeichnetes Gebäude. Viele dunkle Gänge führten dahin und wir landeten dann letztlich auf einem Gang, wo aber kein Gespräch stattfand.
Wir haben weiter telefoniert, versucht etwas herauszubekommen. Die Situation war ziemlich unangenehm. Wenn rechts und links jeweils zwei Beamte mit Maschinenpistolen und normalen Pistolen stehen, ist das ein eher bedrückendes Gefühl. Nach etwa einer Stunde wurden meine beiden Mitreisenden gebeten, diese Polizei- oder Zollstation zu verlassen, da der Sachverhalt nur mit mir zu klären sei.
Das war ein solches Moment, wo man das erste Mal schon mehr nachdenkt. Was passiert hier gerade? Wie geht es jetzt weiter? Und nach einer weiteren reichlichen Stunde wurde mir dann durch die Beamtin vor Ort mitgeteilt, dass mir die Einreise verboten sei.
▶ Und mit welcher Begründung?
Sören Pellmann: Das wollte ich auch wissen. Die Beamtin sagte, sie wisse es nicht. Es sei nichts, was sie gerade festgestellt habe, sondern es gebe irgendeinen Dateneintrag, der die Grundlage für das Einreiseverbot sei.
▶ Zu vermuten ist ja, dass es Ihre kritische Haltung gegenüber Waffenlieferungen in die Ukraine sein könnte. Haben Sie da mittlerweile mehr Klarheit?
Sören Pellmann: Wir haben versucht, über das Auswärtige Amt in Berlin etwas herauszubekommen. Außerdem habe ich über die deutsche Botschaft in Kiew ein offizielles Auskunftsersuchen an das ukrainische Außenministerium gerichtet, um die Gründe zu erfahren, die zu dieser Einreisesperre geführt haben. Später habe ich nämlich erfahren, dass die Sperre für drei Jahre gilt. Bis heute liegt mir aber keine Begründung vor.
▶ Sie haben gesagt, das Auswärtige Amt habe sich bemüht, Ihnen zur Seite zu stehen. Aber die Frage ist doch: Hätte man nicht verhindern können, dass man Sie da auf dem Bahnhof von Lwiw stehen lässt? Sie sind Bundestagsabgeordneter, Sie haben einen Diplomatenpass. Ich finde, das ist ein starkes Stück. Hatten Sie den Eindruck, dass das Auswärtige Amt tatsächlich nichts tun könnte? Oder wollte es Ihnen vielleicht nicht wirklich helfen?
Sören Pellmann: Nein, diesen Eindruck hatte ich nicht. Ich habe dazu auch eine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung gestellt. In der Antwort heißt es, es sei der erste Fall, dass einem Bundestagsabgeordneten oder einem deutschen Diplomaten die Einreise in die Ukraine verwehrt wurde.
In meinen Telefongesprächen sowohl mit dem Auswärtigen Amt in Berlin als auch mit der Deutschen Botschaft in Kiew hatte ich den Eindruck, dass sie wirklich versucht haben, mit den ukrainischen Behörden Kontakt aufzunehmen, mit dem dortigen Außenministerium bis auf die Ministerebene.
Es gab auch den Versuch, die deutsche Außenministerin, Frau Baerbock, zu erreichen. Das gelang aber nicht, weil sie zu diesem Zeitpunkt wohl gerade im Flugzeug nach Washington saß. Ich glaube, das Auswärtige Amt wie auch die deutsche Botschaft haben alles versucht, dass es für mich weitergeht. Also nicht nach Hause, sondern weiter Richtung Kiew.
▶ Eine andere Frage ist, ob das Auswärtige Amt eine Protestnote hinterher schickt oder es einfach so durchgehen lässt. Wissen Sie, ob da etwas passiert ist?
Sören Pellmann: Ich weiß, dass es Thema in der Kabinettssitzung war, also in der Kanzlerrunde. Es gibt wohl auch ein Schreiben an das ukrainische Außenministerium und an die ukrainische Botschaft in Deutschland, wo zum einen Missfallen bekundet, aber insbesondere um Aufklärung gebeten wird. Noch mehr interessiert mich aber, dass die Einreisesperre aufgehoben wird.
▶ Sie haben also vor, wieder hinzufahren?
Sören Pellmann: Ja, denn ich wollte mir ja nicht ein paar nette Tage machen. Kiew ist die Partnerstadt von Leipzig, da gibt es viele gute partnerschaftliche Beziehungen. Ich hatte vor der Reise Gespräche mit den Organisatoren von Hilfslieferungen aus der Leipziger Zivilgesellschaft.
Ich hatte gar nicht vor, aus meinem Besuch in Kiew ein mediales Ereignis zu machen. Ich wollte vorwiegend eigene Einblicke bekommen. Und ich war schon auf dem Hinweg gezeichnet von den Ereignissen, die am Montag davor passiert sind, mit dem Angriff auf das Kinderkrankenhaus in Kiew. Das hat mich schon einigermaßen gelähmt.
Mir ging vieles durch den Kopf – was erwartet Dich jetzt in Kiew? Wie wirst du aufgenommen? Auch mit deiner kritischen Haltung, was Waffenlieferungen betrifft, die ich bisher immer abgelehnt habe und die ich auch weiter ablehne.
Aber die Frage ist auch, wie sieht es zum Beispiel aus mit dem militärischen Abwehrschirm, also dass die Raketen Krankenhäuser gar nicht mehr treffen können, weil sie vorher abgefangen werden. Das hätte vielleicht auf mich noch mal anders gewirkt, wenn ich es vor Ort gesehen hätte.
▶ Wen wollten Sie treffen in der Ukraine? Und hatten Sie das Mandat der Linkspartei oder war das Ihre persönliche Aktivität?
Sören Pellmann: Also ich hatte das logischerweise mit der Abgeordnetengruppe der Linken abgesprochen. Außerdem bin ich auch noch Stadtrat in Leipzig in einer Fraktion, wo wir partnerschaftliche Beziehungen zu Kiew haben. Es gab mehrere Termine, die mit der Zivilgesellschaft hätten stattfinden sollen, auch mit Partnerorganisationen meiner Heimatstadt Leipzig in Kiew. Dort war man im Nachgang sehr überrascht, dass diese Treffen nicht stattfinden konnten. Ich hätte mich aber auch mit kritischer Zivilbevölkerung getroffen.
Auch mit Leuten – und das macht mich recht nachdenklich – die ein bisschen Angst davor hatten, sich in Kiew mit mir zu treffen. Bei diesen Treffen hätten wir keine Fotos oder große Öffentlichkeitsarbeit gemacht.
Aber man hätte ein Gefühl dafür bekommen, wie und was da gerade in einer Kriegssituation in diesem Land abläuft und auch, wo es vielleicht mit Blick auf Demokratie Defizite gibt. Die Ukraine will demnächst in die Europäische Union aufgenommen werden. Da braucht es zumindest einen gewissen Demokratie-Korridor, den man auch in schwierigen Situationen einhalten muss.
▶ Mit Angst meinen Sie, dass mögliche Gesprächspartner von Ihnen Sorge hatten, sie könnten im eigenen Land unter Druck geraten?
Sören Pellmann: So ist es mir von Zweien signalisiert worden. Und ein Dritter hat wegen solcher Ängste ein Gesprächsangebot von mir abgelehnt. Es sei zu gefährlich. Er sagte, wenn es rauskäme, würde MIR zwar nichts passieren, aber ER habe Angst. Was genau das bedeutet, konnte oder wollte er nicht sagen. Aber es schwang schon mit, dass es nicht ganz einfach ist, wenn man sich mit kritischen Leuten trifft.
▶ In der Linkspartei gibt es zwar die Grundhaltung, dass man Waffenexporten gegenüber skeptisch ist, auch in die Ukraine. Die Linkspartei hat auch gegen das sogenannte Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr gestimmt. Aber es gibt ja auch Leute in der Partei, die das ein bisschen anders sehen und die auch Ihnen gegenüber mit der Position, die Sie vorhin beschrieben haben, nicht so ganz einverstanden sind. Gab es in der Partei eine Auseinandersetzung über das, was Sie erlebt haben?
Sören Pellmann: Es gab eine große Sympathie, und zwar sowohl von Mitgliedern, die so ähnlich wie ich ticken, als auch seitens der Bundestagsgruppe. Und auch der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow hat mir gesagt, er hätte nicht erwartet, dass mir die Einreise verwehrt wird. Ramelow hat ja mit Blick auf die Ukraine eine etwas andere Haltung als ich. Aber auch er hat gesagt, es müsse doch möglich sein, dass auch kritische Geister, die vielleicht eine Minderheitsmeinung vertreten, sich ein eigenes Bild machen können. Also – Kritik an meiner Reise habe ich von keinem gehört.
▶ In den öffentlichen Äußerungen, zum Beispiel, was beim NATO-Gipfel in Washington zu hören war, ist die Linie klar: Mehr Waffen für die Ukraine, die Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren. Von einem Waffenstillstand ist man weit entfernt. Und Leute wie der ungarische Ministerpräsident Orban, der nach Moskau und Peking gereist ist, werden heftig kritisiert. Wie bewerten Sie das?
Sören Pellmann: Der Krieg läuft jetzt über zwei Jahre, und es kommen immer mehr und immer schwerere Waffen zum Einsatz. Auch solche Waffen, die nicht nur zur Verteidigung dienen, sondern für Angriffe bis in russisches Staatsgebiet hinein. Das alles wurde vom Westen geliefert.
Jetzt ist es ein Stellungskrieg, der jeden Tag auf beiden Seiten zu unzähligen Toten führt. Es gibt kaum Bewegung. Und deswegen sage ich sehr deutlich, dass es über militärische Entscheidungen nicht zu einem Kriegsende kommen wird. Mittlerweile finde ich es fast zweitrangig, wer sich bemüht, beide Seiten an einen Tisch zu holen, wenn es doch nur gelingen würde, dass sie am Verhandlungstisch landen.
Wenn ich sowohl ukrainische als auch russische Meldungen interpretiere, habe ich den Eindruck, dass vielleicht der eine oder andere verstanden hat, dass man diesen Pfad der Diplomatie, der Verhandlung doch mehr und intensiver in den Fokus nehmen muss. Vielleicht gelingt ein erster Schritt, dass möglicherweise der chinesische oder der indische Präsident mit Putin aushandeln, dass zunächst mal 14 Tage lang die Waffen schweigen. Das wäre ein erster Schritt.
Dietmar Ringel sprach im Telepolis-Podcast mit dem Co-Vorsitzenden der Abgeordnetengruppe der Linkspartei im Deutschen Bundestag, Sören Pellmann.